Eine Frage an die Republik der Gräbenschütterinnen und Grabschaufler.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 970

Armin Thurnher
am 21.03.2023

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„The falcon cannot hear the falconer; Things fall apart; the centre cannot hold…“ Foto © Armin Thurnher

Es müsse doch irgendwo noch christlichsoziale Politiker geben, stöhnte Stefan Schulmeister gestern leicht genervt auf Twitter. Er meinte, eine bessere ÖVP. Ja, die müsste es aus statistischen Gründen geben, die können sich nicht alle zu den Neos oder zu den Grünen vertschüsst haben. Es gibt Othmar Karas, der verlässlich einen übelgelaunten Dissidentenkringel auf den neusten reaktionären schwürkisen Wahnsinn setzt, loyal bis zum Abwinken. Und naturgemäß gibt es in Ländern, Städten und Gemeinden Schwarze, die total in Ordnung sind. Ich nenne keine Namen, um niemanden zu schaden, ich stehe unter Beobachtung.

Dann fiel mir noch etwas ein. Erhard Busek, vor ziemlich genau einem Jahr gestorben, am 13. März,  das war so einer. Ich schrieb für ein Buch, das zum Todestag erscheinen soll, einen Erinnerungs-Essay (wenn das Buch erscheint, werde ich berichten). Bei dieser Gelegenheit kramte ich ein altes Interview heraus, das ich unbedingt zitieren wollte. Daraus nehme ich eine kurze Passage, die ganz gut zur Eingangsfrage und zur Sankt Pöltner Tristesse passt.

Es war 1983, ein Jahr vor der Besetzung der Hainburger Au. Es gärte in den sozialen Bewegungen, wie man das damals nannte. Die Gründung einer Partei stand an, aber die potenziellen Grünen zierten sich, wollten außerhalb des Parlaments bleiben, nannten sich noch nicht Grüne, sondern „Alternative Liste“ und dergleichen. Da sagte Erhard Busek, immerhin seit 1976, dem Jahr der Arena-Besetzung Wiener Parteiobmann der ÖVP, und durchaus für die SPÖ beängstigend erfolgreich bei Wahlen, für ihn sei der natürliche Koalitionspartner die Alternative Liste.

Daraufhin schien es dem Kollegen Mischa Jäger und mir Zeit, mit „der Politik“ das Gespräch aufzunehmen, wir gingen hin und interviewten Erhard Busek. Ich kann mich an unsere Skepsis vor diesem Gespräch erinnern; wir hatten noch nie einen etablierten Politiker interviewt. Einerseits um, wie wir sagten, damit dem Leben unsere Verachtung zu zeigen. Und andererseits, weil uns die meisten eh kein Interview gegeben hätten.

Ich wusste von meinen Frankfurter Kollegen vom Pflasterstrand, der Zeitschrift Daniel Cohn-Bendits, dass in Deutschland Gespräche sowohl mit der SPD als auch mit der CDU liefen, mit Gerhard Schröder wie mit Heiner Geißler, die auf eine zukünftige Regierungsbeteiligung der Grünen abzielten. Solche politischen Perspektiven waren unseren Alternativen fremd, sie plagten sich noch mit der Frage, ob sie eine parlamentarische Partei werden sollten oder nicht.

Anders Erhard Busek. Er hatte ganz offenbar eine ähnliche Perspektive wie die deutschen Grünen. Unser Gespräch dauerte ziemlich lange, und wir brachten es im Falter in zwei Folgen zu jeweils einer Doppelseite. Das war ziemlich viel Platz für jemanden, den wir knapp zuvor noch gnadenlos verarscht hatten, weil er mit aufmontierter Beatles-Frisur posierte; aber dass ein führender Politiker sich auf eine offene, phrasenarme politische Diskussion mit uns einließ, die wir vom Rest des politmedialen Komplexes zu Recht als randständige Sonderlinge betrachtet wurden, das wussten wir doch zu würdigen.


Der Busek des Jahres 1983 zeigt sich in diesem Gespräch nicht nur in Bezug auf die Vorwegnahme von Schwarz-Grün weit seiner Zeit voraus. Als wir ihn auf fehlende Distanzierung vom Antisemitismus in einer von der ÖVP veranstalteten Lueger-Ausstellung ansprachen, die im Falter kritisiert wurde, sagte er: „Wir haben nur Lueger als Kommunalpolitiker gebracht. Wenn Ihr Rezensent den Katalog gelesen hat, war die Distanzierung vom Antisemitismus in der Einleitung drinnen, das wurde auch bei der Eröffnung der Ausstellung von mir deutlich gesagt.“ Auf unseren Einwand, er habe das doch vom Antisemitismus Schönerers unterschieden (wir hatten uns vorbereitet!), entgegnete er: „Es gibt unterschiedlichen Antisemitismus. Der Schönerer-Antisemitismus ist ein deutschnationaler Antisemitismus, Luegers Antisemitismus ist ein opportunistischer, taktisch politischer. Es ist kein Antisemitismus gut. Es gibt auch den Antisemitismus des Sozialdemokraten Pernerstorfer, der ein antikapitalistischer Antisemitismus gewesen ist. Es ist keiner gut, es gibt nur verschiedene Beweggründe.“ Er glaube nur, dass auch eine Stadt wie Wien mit Personen wie Lueger leben müsse. Man solle nicht bestreiten, was Lueger der Infrastruktur dieser Stadt gebracht habe, nur weil er ein Antisemit war. „Ich glaube, dass es notwendig ist, dazuzusagen, dass diese Facette des Lueger abzulehnen ist und Dinge erzeugt hat, die mehr als problematisch sind. Aber man soll sich seine Geschichte nicht nehmen lassen. Wir sind sogar, da das eine der Wurzeln der ÖVP ist, verantwortlich dafür. Wir müssen uns zur Person, zu den Leistungen und den Fehlern bekennen. Man kann sich’s nicht aussuchen.“

Man vergleiche das mit dem Gelalle Sobotkas. Jedenfalls war es erstaunlich offen, ebenso Buseks Mut, ja Lust, sich von den Betonierern und Reaktionären in der eigenen Partei zu distanzieren. Auf freundliche, aber bestimmte Weise: „Es gibt Konflikte, und die trage ich aus, weil ich glaube, dass das einfach notwendig ist. Am deutlichsten ist für mich der unterschiedliche Bewusstseinszustand immer im Gespräch mit dem Tiroler Landeshauptmann Wallnöfer, den ich sehr schätze. Der sagt: Mehr Beton bedeutet mehr Freiheit und mehr Entwicklungsmöglichkeit für Bauern oben auf der Alm, und mehr Strom bedeutet mehr Arbeitserleichterung. Und ich sage ihm immer wieder, dass wir eh schon ein Ausmaß erreicht haben, das eigentlich schon einen Sättigungsgrad hat, und dass das daher alles problematisch ist, weil es uns in jeder Hinsicht aus dem Gleichgewicht bringt. Und Sie sehen an diesen unterschiedlichen Generationen, um welches Problem es sich wirklich handelt: Er macht ja das nicht aus Freud am Beton oder aus Freud am Strom, sondern auch aus einem gewissen Befreiungswunsch, den er in sich hat. Nur glaube ich, sind die Befreiungssehnsüchte heute woanders, als er sie ortet – aus meiner Sicht.“


Ja, das ist lange her. Klingt fast wie der Glanz des Hochmittelalters, wie ein dolce stil politico nuovo. Ist aber tempi passati. Die Frage allerdings, wo sich die Busekleute der zweiten und dritten Generation herumtreiben, und wie man sie heute nennen soll, die darf in der Republik der Gräbenschütterinnen und Grabschaufler ruhig gestellt werden. Sie werden doch nicht ruhiggestellt werden!


Im Übrigen bin ich der Meinung, die Regierung muss die Wiener Zeitung retten.


Im Sinn des Maskenfalls habe ich übrigens mein stehendes Seuchenschlusswort neu formuliert (native speakers aller Länder, feilet daran!):

Distance preferably, hands when possible, masks when needed, always considerate! Ihr Armin Thurnher

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