Niederösterreich: Ich entschuldige mich beim Mittelalter

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 969

Armin Thurnher
am 20.03.2023

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Gern verwendete Illustration zum Thema „Dark Ages“: Der Triumph des Todes, Anonym , 1446, Palazzo Abatellis. Bild: © Wikipedia

Unsere digitale Existenz verführt uns dazu, die Grenzen der Dezenz ständig zu überschreiten. Sie bringt uns dazu, uns als Werbeagenten unserer selbst aufzuführen, und auch wenn man das ironisch ausstellt wie ich, muss man doch feststellen, es ist keine gute Entwicklung.

So verführte mich der Unmut über die niederösterreichischen Vorgänge und der Wunsch, sie gebührend zu verteufeln, zum Gebrauch eines Wortes, das ich besser unterlassen hätte. „Gegenaufklärung“ hätte es besser getroffen, jene klerikal-absolutistische Veranstaltung, die gerade im Habsburgerreich derart bleibende Schäden anrichtete, dass man sagen kann, jene Länder, in denen Protestanten damals, in der sogenannten „Gegenreformation“ besonders übel mitgespielt wurde, seien Hochburgen einer Kryptoresistenz, die im Deutschnationalismus und später im Nationalsozialismus wieder aufflackerte: Oberösterreich, Salzburg, Niederösterreich, Kärnten waren dann auch die Kernländer des Nazitums (nur Wien, als Großstadt mit sehr hoher protestantischem Bevölkerungsanteil, entging diesem Los – multikulturelle Metropolen folgen anderen Gesetzen).

Der Tiefenstrom der Geschichte reicht bis in die Gegenwart, wobei es genügt, von Deutschnationalismus oder vielleicht auch nur von Krypto-Antikatholizismus zu sprechen, dessen Geschichte (die des Katholizismus) man ja ebenfalls differenziert sehen muss. Neben den Nazibuam wird man bei der FPÖ gewiss auch den einen oder anderen aufrechten deutschnationalen Liberalen finden, wenn man lange genug sucht.

Welcher Tradition des Katholizismus die niederösterreichische ÖVP anhängt, wird man am besten vielleicht im „Lob der Torheit“ des Erasmus von Rotterdam erklärt bekommen.

Dies aber nur nebenbei, und so wortreich, um zu bemänteln, dass mich der Selbstverkaufsfuror in die Irre führte. Ich wollte nicht nur von der faden Gegenaufklärung reden– „was ist das“, fragen pragmatische Kollegen dann, „das musst du erklären! Die Leute wissen das nicht!“ – sondern saftig formulieren.

Wie so oft, wenn man das Falsche will, rächt sich die Sprache und schickt einen in die Phrasenfalle. Ich schrieb, Niederösterreich werde aufgrund seiner antiwissenschaftlichen Haltung zurück ins Mittelalter geführt. Daraufhin erhielt ich ein Mail eines meiner Lieblingskorrespondenten, nämlich von Professor Franz Karl Praßl, einem eminenten Fachmann für Kirchenmusik und vor allem für Gregorianik, der übrigens wegen seiner Kenntnisse vor zehn Jahren die musikalische Seite der Amtseinführung des jetzigen Papstes in der Peterskirche zu Rom leitete. Praßl also schrieb mir:

»Dem Inhalt Ihrer heutigen Seuchenkolumne kann und will ich nichts entgegnen.

Was mir aber als einem Mediävisten im Bereich der Musik sauer aufstößt, ist der  meines Erachtens gedankenlose Gebrauch des arrogant neuzeitlichen Diktums „zurück ins Mittelalter“. So, als ob das 18. – 20. Jahrhundert einzig und allein der Leuchtturm der Menschheitsentwicklung gewesen wäre.

Den Herrn Terragricola (Landbauer) und seine neue Helfershelferin Hanni mit dem Mittelalter zu vergleichen ist meiner Ansicht nach eine Beleidigung aller Geistesleistungen des Mittelalters in Philosophie und Theologie, in der Entwicklung der Künste und der Musik. Wie kann man nur einen Bänkelsänger aus dem Kreis der Burschenschaften mit Oswald von Wolkenstein vergleichen? Und selbst die frommen Gesänge der katholischen Landeshauptfrau sind in keiner Weise mit dem vergleichbar, was in niederösterreichischen Klöstern so alles an Musikhandschriften vorhanden ist.

Natürlich haben Sie solche Vergleiche nicht explizit angestellt, aber der gedankenlose Gebrauch des „zurück ins Mittelalter“ insinuiert natürlich in einem zweiten Gedankenschritt solche Gleichsetzungen, die ja auch von einer Geschichtsvergessenheit der Sonderklasse zeugen könnten (nicht bei Ihnen).

Fehlt nur noch das „finstere Mittelalter“, das saeculum obscurum.

Gewiss, es hat viel Unerleuchtetes auch im Mittelalter gegeben, aber gestatten Sie mir einen Hinweis: ist nicht ein wirkliches saeculum obscurum das 19. Jahrhundert mit seiner Entwicklung von Nationalismus und Kapitalismus mit allen schlimmen Folgen für das 20. und 21. Jahrhundert?

Dies fragt sich Ihr aufmerksamer Leser

Franz Karl Praßl«

Lieber Herr Professor Praßl, Sie haben völlig recht. Man darf sich von seinem Ärger oder gar seiner Verzweiflung nicht dazu verleiten lassen, zu simplifizieren. Schon gar nicht dazu, plakativ zu werden. Es reicht, wenn das die politischen Gegner tun.


Im Übrigen bin ich der Meinung, die Regierung muss die Wiener Zeitung retten.


Im Sinn des Maskenfalls habe ich übrigens mein stehendes Seuchenschlusswort neu formuliert (native speakers aller Länder, feilet daran!):

Distance preferably, hands when possible, masks when needed, always considerate! Ihr Armin Thurnher

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