Elegie auf den nationalen Anredner Karl Nehammer

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 962

Armin Thurnher
am 11.03.2023

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Nehammer über dem Wienerberg Screenshot © ORF

Niederösterreichs Sohn, du ruhmvoller, Bundeskanzler Karl

Nehammer, dir sollt beginnen das Wort, dir endigen, draußen am

Wienerberg, hoch dort im Loft sollt’st du reden, dass aller Wohl du

förderst, vor allem aber das deine, als Staatsmann mit Stil, den man

wähle, wenn die Zeit dir denn reift. Also rieten es dir die

Rater, verschlagen der Fleischmann, listig der Diekmann, gewaschen mit

allen Wässerchen. Massen massieren, das ist ihr Geschick, aber

als sie dich schickten ins Loft und dir schrieben die Rede oder auch

nicht – denn sie floss von den Lippen, als müssest im Augenblick du sie erst

fassen – ging das nicht recht gut, denn du rangest mit dem Wort, mit dem

Schlüpfrigen, immer entglitt es dir wieder und immer flohst du zur

Phrase. Alles, dachtest du wohl, das pack ich hinein und es

wird mich aussehen lassen wie einen, der alles erwägt für das

Volk. Aber wie du so sprachst und betrachtest die Menge der übel-

wollenden Pfründner, den tückisch grinsenden Sobotka vorne-

weg, da wollte dir scheinen, als hätts’t überfordert du deine

Kräfte. Besonderes wolltest du leisten, in besonderer Zeit,

zugehen auch aufeinander, Herausforderungen benennen,

Umtriebe umtreiben, kommen ins Tun, Unmögliches möglich

machen, einordnen, orientieren, doch wie du so sprachst, da

merkst du, die Schlingel haben verlockt dich auf schlüpfrigen Grund, da

steckst du im Phrasensumpf und je stärker du strampfst, desto tiefer du

sinkst. Auf die Uhr zu sehen ist keine Option, aber wie, fragst du

dich im Moment, als du sagtest, wir müssten aufeinander

zugehen, wie soll das ausgehen, noch sind eineinhalb Stunden,

Stunden, die nie vergehen. Staatsmann und Stil, Fleischmann und

Diekmann, wenigstens eine Idee, eine klitzekleine, ein

Echtwort, kein Phraserl, etwas, von dem du spürst, dass es

wirkt und dass es ergreift und dass es zugeht auf die

Menschen da vor dir wenigstens, diese grinsenden Pfründner, du

kannst das Gesicht nicht mehr sehen, Plastikblumen für zwölftausend

Euro, ja spinnt der, und hier steht: wir sind eine Autonation. Was

Soll denn das heißen? „Autós“ heißt selbst, soll es heißen wir

sind von selbst Nation? Gut, die wollten die Klebrigen ärgern,

weißt schon, aber muss denn das alles so dumpf sein? Esprit, der

fehlt dir bekanntlich, aber Diekfleisch, die kriegen dafür  doch

fette Honorare. Den Kurz zu befrieden, die Aufsage-

puppe, hast du den Fleischmann behalten, auf dass er dich ausstatt’ mit

sanft einnehmenden Worten. Aber jetzt stehst du da, einnimmst niemand.

„Óutis“ heißt Niemand bei Homer, und dass dich das Diekfleisch

jetzt so verarscht, das bleibt nicht ohne Folgen, so denkest du jetzt und

redest und redest und redest. Und wie du dir zuhörst merkst du, du

red’st dich um alles, zeigst durch dein Reden, dass du es nicht bist, der

Staatsmann, der große, mit Weitblick, dem klaren, und Stil, der bezaubert.

Dir ziemt’s vor allen, zu reden ein Wort, und zu hören,

was es wohl trägt auf dem Herzen, das Volk, dem die Botschaft du bringst,

dass du ihm redest zum Heil; denn es entscheidet, was sein soll.

Du aber spürst wohl, dass dir von alledem gar nichts gelungen.–

„So etwas, sag ich euch, mache ich nimmer“, dachte der reisige

Nehammer; hatte jedoch erst ein paar Minuten gesprochen.


Im Übrigen bin ich der Meinung, die Regierung muss die Wiener Zeitung retten.


Im Sinn des Maskenfalls habe ich übrigens mein stehendes Seuchenschlusswort neu formuliert (native speakers aller Länder, feilet daran!):

Distance preferably, hands when possible, masks when needed, always considerate! Ihr Armin Thurnher

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