Nation an Nehammer: „Ich bin bereit. Sprich zu mir!“

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 961

Armin Thurnher
am 10.03.2023

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Hammering Man, Frankfurt am Main Foto © Wikipedia

War wieder einmal in Wien, diskutieren bei Meinrad Knapp, dem Lieblingsmoderator. Nicht weil er so freundlich zu mir ist, sondern weil er sich nicht fürchtet.Weil er vorbereitet ist und sich auf ein Gespräch einlässt. Schmäh hat er auch. Grund genug, ihn nicht im ORF am Werk zu sehen. Er stellte mir die Fleißaufgabe, etwas zu Karl Nehammers Rede an die Nation zu sagen.

Ein frivoles Unterfangen, weil ich nicht weiß, was er sagen wird und über keine Kontakte in seine Umgebung verfüge, die es mir verraten würden. Und hätte ich die, dürfte ich es nicht verraten. Typische Journalistenfalle, in die ich gerne tappte.

Sagte also ein paar Selbstverständlichkeiten, wie, dass mich die Rede von den Pflöcken, die jemand einschlägt, immer an Karl Mays Story vom Llano estacado erinnert, wo die Bösen die Wegzeichen in der Wüste, die Pflöcke, die Stakes (estacado), umstecken, um die verirrten, verhungernden und verdurstenden Reisenden zu berauben. Nachzulesen im Band „Unter Geiern“.

Fern sei mir, zu behaupten, Karl Nehammer und die Seinen möchten uns in die Irre führen. Sie wollen uns nirgendwohin führen, und das ist nicht einmal das Schlimmste. Allerdings, nasführen wollen sie uns schon, das garantieren ihre Berater, Kai Diekmann aus dem Springer Imperium, ehemals Chefredakteur der Bild Zeitung, und Gerald Fleischmann, Mr. Message-Massacre und Autor eines unterhaltenden, volkstümlichen Werks über das Nasführen von Öffentlichkeiten durch Einschlagen falscher Pflöcke.

Aber die Rede an die Nation, die ist eine schöne Idee, vor allem, wenn es sich bei der Nation im übereinstimmenden Urteil von so ausgewiesenen Historikern wie Oliver Rathkolb, Lukas Resetarits und mir (die beiden letzten halten übrigens eine historisch extemporierende Vorlesung am 23.4. im Stadtsaal, ich hoffe, Sie haben schon Karten!) um eine paradoxe Nation handelt.

Ich führe das nicht näher aus, denke aber, es hat einen gewissen Reiz, als nicht national oder höchstens übernational konzipiertes Staatswesen, das sogar die Negation der deutschen Identität in der Verfassung stehen hat, sich vom Kanzler als Nation anreden zu lassen.

„He, Nation, wie geht’s dir, weißt du eigentlich schon, wer du bist? Bist du noch neutral oder nicht nur westlich eingebetttet, sondern fester Teil des Westens? Bist du eh, aber ich besteh darauf, dir zu versichern, dass du neutral bist. Fest in der Allianz des Westmilitärs, denn unsere Neutralität ist politisch, aber nicht militärisch oder umgekehrt.“

„Kai, hol mal den Hammer, ich muss pflocken!“

Wissen Sie, was das Wichtigste bei einer Rede an die Nation ist? Oder wäre? Damit die Rede so richtig schwer und bedeutend wird, muss die Nation wichtig und mächtig sein, auf dass jeder Satz des nationalen Redners, des die Nation anredenden Redners für das Leben vieler Menschen eine Bedeutung bekommt.

Bei einer paradoxen Nation ist es umgekehrt: der Nepflocker kann sagen, was er will, es bedeutet nichts außer etwas für sein persönliches politisches Fortkommen, also für sein temporäres Überleben. Und damit man ihm den Hammer glaubt, dem Nehammer, muss er pflocken.

Mit jedem seiner Hammerschläge hallt die Arena vor Fragen wider wie: Wird er sich als Stimmenbringer inszenieren können? Wird er das Spiel, „pflanzt die SPÖ“ ad infinitum mit deren gütiger Mitwirkung fortspielen können? Wird er den blauen Kanzlerprätendenten auf Distanz halten, aber nicht so weit von sich entfremden, dass dieser gern wieder mit ihm koalieren wird?

Reden an die Nation sind, ich sagte es, in der paradoxen Nation ein Hund. Der Redner und sein Team wissen sich zu helfen. Da es ja nicht um die Nation geht, sondern darum, den Redner mit Bedeutung auszustatten, müssen Rituale her und Insignien. So etwas lernt man durch Beobachtung republikanischer Parteitage in den USA. Also marschieren die Granden dann ein zu Fahnenmeer, Spalier und Musik. Da braucht es Pose und Phrase und Hand aufs Herz, allseits wird Haltung angenommen, die Granden müssen zum Redner aufschauen und durch ihre grandiose Grandenhaftigkeit diesen als den Übergranden stilisieren, damit das auch beim lauschenden Volk ankommt: du grandige, pardon, grandiose Nation wirst von einem Grandioso geführt (ein ausgezeichnetes Weißbrot der Bäckerei Mann, übrigens, das Grandioso)!

Diesmal dürfen wir uns das alles nur denken. Es wird spartanisch, wenn nicht brotlos. Das Volk ist paradoxerweise nur in Gestalt jener Lauscherinnen und Lauscher vertreten, die es am kräftigsten verachtet, nämlich der Journalistinnen und Journalisten. Sie dürfen die Herolde der Grandiosohaftigkeit geben, die da sinnreich, stilvoll und ausgeklügelt sparsam vor ihnen ausgebreitet wird, und sie, also wir dürfen, obwohl dumm wie Brot, wieder für die wundersame Image-Brotvermehrung sorgen, ehe Nehammer und die Seinen uns die Butter vom Brot nehmen. Das ist grandios!

Nehammer, wir sind bereit. Sprich!


Im Übrigen bin ich der Meinung, die Regierung muss die Wiener Zeitung retten.


Im Sinn des Maskenfalls habe ich übrigens mein stehendes Seuchenschlusswort neu formuliert (native speakers aller Länder, feilet daran!):

Distance preferably, hands when possible, masks when needed, always considerate! Ihr Armin Thurnher

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