Hilfe, ein Ausbruch! Über Selbstausschaltung und den Zustand Republik.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 958

Armin Thurnher
am 07.03.2023

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An einem Sonntag im Süden Österreichs wird nicht das Schicksal der Republik entschieden, auch wenn man so etwas glauben möchte, wenn man Zeitung liest. Die einen untersuchen den Kehlkopf eines sozialdemokratischen Machtprätendenten, die anderen ziehen eine Gänsehaut auf, indem sie sich den dritten Rechtsextremen als kommenden Kanzler vorstellen. Wirtschaftsforscher reden davon, die Regierung müsse endlich aufhören, das Geld beim Fenster hinauszuwerfen. Ich stellte mich unter ein Regierungsfenster, aber es kam nichts herunter. Der Wirtschaftsfachmann hatte nicht dazugesagt, dass Geld die Eigenschaft hat, nach oben zu fliegen.

Kürzlich ging ich vom Karlsplatz zum Ring am ÖAMTC-Gebäude vorbei und besichtigte das Klingelschild des Büros der weiland Kurzbuben, der Buberlpartie mit der höchsten Frauenquote der zweiten Republik. „SK Management GMBH“ stand dort, SK nicht für Selbstkorrektur, sondern für Superkarriere. Naturgemäß für jene des Sebastian Kurz.

Im Parlament vergisst der noch von SK eingesetzte Präsident absichtsvoll, der Ausschaltung des Hauses am 7.3. 1933 durch den Diktator Engelbert Dollfuß zu gedenken. Ihr war die sogenannte Selbstausschaltung dieses Hauses vorangegangen. Wenn es auch nicht wirklich eine solche war (alle drei Parteien blockierten einander um des jeweiligen Vorteils wegen, und Dollfuß ergriff die Gelegenheit), so erscheint mir „Selbstausschaltung“ ein  prima Stichwort für unsere politische Verfasstheit zu sein.

Mit meditativen Techniken und mit Designerdrogen versucht ein großer Teil der Menschheit sich selbst partiell auszuschalten. Auch die Religionen nehmen teil: Sonntag soll einst eine Art Selbstausschaltung zwecks Rast von der Hektik des Alltags gewesen sein, heute stellt er aber das Ende der Kurzflucht ins Wochenende mit Stau und Vorstress mit Blick auf den Montag dar, also den Beginn unserer Wiedereinschaltung.

Die Selbstausschaltung der Vernunft ist in vielerlei Gestalt zu erleben. In medialer, indem demokratische Politikerinnen daran gehen, die demokratische Öffentlichkeit abzumontieren. Ach ja, dieses Thema langweilt alle, aber ich sage es, weil es eh schon spät ist, und Untergänge sich doch auf Dauer als überhaupt nicht langweilig erweisen, denken Sie nur an das Parlament oder die Titanic, versenkt vor 90 oder gesunken vor 111 Jahren, als Themen noch immer interessant.

Ich weiß schon nicht mehr, wie ich diese Schwarzen nennen soll, Türkislinge, Posttürkise oder doch schon Prätürkise, also jedenfalls gefallen sich diese politische, derzeit von Karl Nehammer geführte Partei und die von Werner Kogler geführten Grünen darin, vom ORF über die Wiener Zeitung bis zur Medienförderung alles kaputtzumachen, was wert ist, dass es besteht, und alles aufzupeppen, das wert ist, dass es zugrunde geht. Nur weil sie meinen, dann besser in diesen Medien vorzukommen. Selbstausschaltung der politischen Vernunft in medienpolitischer Form.

Das ist umso bitterer, als wir uns in einem weltweiten Bürgerkrieg befinden. Es ist ein Krieg, der ebenfalls zur Ausschaltung der Vernunft geführt und von den Bedrohten hierzulande mit derart untauglichen Mitteln betrieben wird, als wünschten sie selbst diese Ausschaltung. Wählerwunsch: Selbstausschaltung.

Ausschaltung ist andererseits ein sehr mechanischer Begriff, unangemessen den Vorgängen, wo Ab- und Ausschaltungen bei munter fortschreitenden Betrieb vor sich gehen, es sind ja so viele Systeme gleichzeitig in Kraft, dass man es kaum bemerkt, wenn so ein Schaltkreis wie jener der Demokratie wackelt, wo doch gleichzeitig soviel Unterhaltung stattfindet.

Selbst die goldlosen Skiweltmeisterschaften, eine Abschaltung eigener Art, der Verlust des alpinen Goldstandards haben nicht zu Unruhen geführt. Bronzenation Österreich. Ich fürchte, auch die neue pandemische Politseuche namens SPÖ-Debatte tut das nicht. „Postpandemische Politik“ habe ich meinen Kommentar im kommenden Falter benannt, ehe ich im ORF-Teletext las, die SPÖ-Debatte sei „neu ausgebrochen“. Ich ordne unverzüglich einen roten Lockdown an, Cordon sanitaire ums Burgenland, Verbot sämtlicher TV-Auftritte, Interviewsperre und politisches Vollmaskengebot bis nach der Salzburgwahl.

Ich fürchte aber, ich werde mich nicht durchsetzen.

Wer ist an alldem schuld? Die Journalisten und die Medien, klarerweise, aber wer das sagt, wird ausgelacht. Sie sind auch nicht wirklich nicht schuld, sie folgen bloß den Gesetzen des Journalismus, das wissen wir doch seit Hermann („Wer woar des? – Des waaß niemand“) Nitsch oder Niklas („It’s the system, stupid!“) Luhmann.

Ich, der ich bei Gott kein Luhmannianer bin, weiß aber mindestens von ihm, dass das System Journalismus seinen eigenen Gesetzen folgt; wie ich behaupte, pandemischen Gesetzen, und ich kann das mit einer ORF-Teletext-Zeile belegen. Das Debattenvirus bricht aus, und zwar dort, wo die Viren Vulnerabilität im System orten. Herr Kickl, der ja soviel Mist dahergeredet hat wie kaum einer und das munter fortsetzt, hat sich damit anscheinend wie Kinder, die im Dreck spielen, gegen solche Debatten immunisiert; wie das Karl Nehammer gelang, der doch einen ausgesprochen properen, geradezu eingeseiften Eindruck macht, erstaunt mich täglich mehr (da müssen tüchtige Epidemiologen dahinterstecken). Die Seuche bricht halt aus, wo sie will.

Wahrlich, ich aber sage euch: ich sehe Düsternis am Ende des Tunnels!

Lassen Sie sich nicht trotzdem nicht ausschalten.


Im Übrigen bin ich der Meinung, die Regierung muss die Wiener Zeitung retten.


Im Sinn des Maskenfalls habe ich übrigens mein stehendes Seuchenschlusswort neu formuliert (native speakers aller Länder, feilet daran!):

Distance preferably, hands when possible, masks when needed, always considerate! Ihr Armin Thurnher

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