Elegie auf Peter Weibel

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 957

Armin Thurnher
am 06.03.2023

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Aus Falter 14-15/1980

Weibel! Peter! Immer in Eile, immer gedrängt, doch

niemals schlechter Laune, nach außen zumindest, der listige

Blick von unten erfasste den Partner beim Reden, erfasste die

Lücken, die Schwächen, die Stärken wohl auch, Agenda immer

vorwärts, Fortschritt und Avantgarde, Bewegung nach vorne,

Innehalten nicht möglich, Atmen Zeitverschwendung,

Hecheln egal, bloß mitnehmen alles am Weg, keine Pause, denn

Zeit ist Zeit und sie läuft, du Läufer der Läufte, Beweger der

Bilder, du Bilderfluter, am Rücken den Bildschirm, Bewegtbild im

Rucksack, Mikro am Hals und Termine im Nacken, Moral nicht im

Plan, die ist für Verlierer, Sieg in Moral wegen Schwäche in

Macht, das war nichts für dich, aber Macht, die brauchtest du schon, um zu

machen, Projekte, Bilder, Texte, Gedanken, Konzepte und

Shows, um das zu realisieren, was aus der Flut du als

erster erkannt, wenn oft flüchtig, so doch im Flug, im Über-

Flug, ja so will ich dich nennen, Überflugmeister, Anstifter,

Fädenzieher, Raketenstarter, digitaler

Zauberer, aber kein fauler, überfleißiger vielmehr,

Pausenbekämpfer, Spruchfabrikant und laufendes Sprechband.


Weiß noch genau, wie du saßest mit Valie Export im Sechsten,

im Galeriebeisl, eh klar. Ich verkaufte euch einen Falter,

und weil ich schon da war, fragte ich gleich um ein Interview.

Sicher nicht, sagte Valie entschlossen, du aber, freundlich

witternd Gegengeläuf und kritische Publizistik,

warst gleich interessiert und rangest mit Schmeichelworten

Zustimmung endlich ihr ab. Und warst bei den ersten, die dieses

Bühnchen gleich nutzten, für scharfe Kritik an der Kunstpolitik, so

lang, dass es Fortsetzung brauchte, ja und irgendwie waren wir

hip, und du mit Hotel Morphila ein Popstar in Waiting. „Die

Straße ist nass“ und was dergleichen Lyrics zukünftiger

Hits noch waren – wir druckten sie ab, seitenweise. An Covers

fehlte es nicht, an Gesprächen, Verrissen, Konflikten, Zwisten

auch nicht – das alles gab es im Überfluss. Popstar wurdest du

keiner, am Falter lag’s nicht. Dein Tempo, sich überstürzend,

hatte dich längst schon sonstwohin geführt, aber zugleich

warst du immer an allen Orten zuerst und zugleich, oder

fast halt, wie ich erfuhr, als du auftratst mit Band beim Falter-

Opening Graz Achtzigdrei, und ich vor der Halle mit tausend

Fans, in den Händen dein Telegramm aus Hamburg: „Untröstlich,

Peter!“ So zahlte auch ich den Preis deiner Omnipräsenz, aber

Toten ist man darob nicht mehr gram. Ich hebe die Hand, lass sie

brennen wie eine Fackel, wie deine im Hörsaal Eins, was

Kunst war, Protest, aber zugleich endete mit einer Brandwunde.

Ungeschick, Hoppala, Sich-Überstolpern gehörte eben zu

deiner Erscheinung, die immer und überall war und überall

immer vorne dabei; man muss sich da selbst überholen.

Böse war dir am Ende kaum jemand, denn du hattest noch eins, den

Schmäh, in deinem Fall kosmisch gewendet: wir sind nur ein Funke im

Kosmos, ein Hund an der Leine, ein Turmbau zu Babel, Museum aus

Bits oder Bites, Manuskript einer Rede, geschrieben auf der Stufe zur

Bühne. Ja, Bühne war’s immer, und Bildschirm, Maschine, bedient von wem

andern. Das Leben ist eine Versammlung von Menschen, und manche

sammeln, versammeln mehr als die meisten. Unter den Sammlern

warst du der Größte, Weibel, Allesraffer, Zeitraffer,

nicht zu besitzen, nur um vorne zu schwimmen im Meer der

Artefakte, um dich Debris der alles raffenden

Zeit. Nun hat sie dich selbst gerafft, Weibel-Peda. Adieu, sag ich.


Im Übrigen bin ich der Meinung, die Regierung muss die Wiener Zeitung retten.


Im Sinn des Maskenfalls habe ich übrigens mein stehendes Seuchenschlusswort neu formuliert (native speakers aller Länder, feilet daran!): Distance preferably, hands when possible, masks when needed, always considerate! Ihr Armin Thurnher

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