Mehr zur Corona-Übersterblichkeit. Warum die Schweiz besser abschnitt als wir.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 956

Armin Thurnher
am 04.03.2023

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Folge zwei zum Thema Übersterblichkeit. In der letzten Folge hat Epidemiologe Robert Zangerle sie als „Anstieg der Gesamtsterblichkeit im Vergleich zur erwarteten Sterblichkeit“ definiert. Heute liefert er mit einem Vergleich Schweiz Österreich weiter Argumente gegen Leute, die behaupten Corona sei ja eigentlich ganz harmlos gewesen. A.T.

»Die Übersterblichkeit in einer Pro-Kopf Rate ist nicht die einzige nützliche Kennzahl zur Beurteilung der gesundheitlichen Folgen einer Pandemie. Man kann auch den Anteil der Todesfälle oberhalb der Norm („erwartete Todesfälle“) angeben, der leicht unterschiedliche Ergebnisse liefern kann. Zum Beispiel lag die Zahl der Todesfälle 2020 und 2021 in Deutschland während der Pandemie 6,5 % über dem Normalwert, während sie in Schweden um 7,5 % über der Norm lag (auch wenn die Pro-Kopf-Überschreitungsrate in Deutschland höher ist als die Schwedens). Alle diese Kennzahlen sind mit einer Reihe von Unsicherheiten – oder ,glaubwürdigen Intervallen‘ („Konfidenz- oder Sicherheitsintervallen, wie die Forscher sie bezeichnen), zu sehen. Doch selbst wenn sich die glaubwürdigen Intervalle zweier Länder überschneiden, hat das Land mit der höheren Schätzung eine größere Wahrscheinlichkeit, dass es tatsächlich eine höhere Sterberate hat.

Die Zahlen der Todesfälle zeigen zwar, wie stark Länder im Verhältnis zueinander von der Pandemie betroffen waren, aber das größere Problem bei Vergleichen ist, dass sich darin zum Teil demografische und sozialpolitische Unterschiede widerspiegeln. In den EU-Mitgliedstaaten lag das Durchschnittsalter zwischen 38,3 Jahren in Zypern und 48 Jahren in Italien (Österreich 43,6), was die relativ junge und relativ alte Bevölkerungsstruktur in jedem dieser Mitgliedstaaten bestätigt: So liegt der Anteil der Altersgruppe 80+ in Zypern bei 3,9%, in Italien bei 7,6% und in Österreich bei 5,8%. Der Anteil der Ein-Personenhaushalte schwankt in Europa von 20% in Malta bis zu 50% in Schweden. Dauer und Höhe des Krankengeldes sind in der Schweiz großzügig geregelt, während dies in Großbritannien innerhalb Westeuropas am restriktivsten geregelt ist. Obwohl Vergleiche also kompliziert sind, wagt die Seuchenkolumne dennoch erneut einen Vergleich mit der Schweiz.

Möchte man den relativen Erfolg der Pandemiebekämpfungsstrategie eines Landes einschätzen, so ist es entscheidend, Zahlen zu verwenden, die den demografischen Gegebenheiten des Landes angepasst sind, denn das Covid-Sterberisiko ist für ältere Menschen besonders hoch und für Männer etwas höher. Die altersstandardisierte Sterberate gibt an, wie viele Sterbefälle aufgrund der jeweils herrschenden Sterblichkeitsverhältnisse auf 100.000 Lebende entfallen wären, wenn der Altersaufbau der Bevölkerung in der betreffenden Berichtsperiode dem einer sogenannten Standardbevölkerung entsprochen hätte. Der kontinuierlichen Abnahme der altersstandardisierten Sterberate liegt hauptsächlich die kontinuierliche Zunahme der Lebenserwartung zugrunde. Die Veränderung in der Lebenserwartung wird bei der Berechnung der altersspezifischen Raten nicht berücksichtigt. In einer solchen Darstellung macht sich die vermehrte Sterblichkeit als kleiner Knick nach oben für die Jahre 2020 und 2021 (2022 ist erwartungsgemäß ausständig) bemerkbar.

Wenn die altersstandardisierte Sterberate auf eine europäische Standardbevölkerung bezogen wird (von Eurostat 2013 festgelegt), dann beziehen sich die Sterbefälle auf eine fiktive Bevölkerung, die über die Zeit im Hinblick auf die Personenzahl sowie ihre Zusammensetzung nach Alter und Geschlecht unverändert belassen wird. Damit können Veränderungen ausgeschlossen werden, die sich nur aufgrund einer Zunahme der Einwohnerzahl ergeben (bei mehr Einwohnerinnen und Einwohnern sterben auch mehr Personen) oder durch das Aufrücken von mehr Personen in höhere Altersgruppen mit entsprechend höherer Sterbewahrscheinlichkeit. Das kann man auch für jede Woche im Jahr machen, wie es in der nächsten Abbildung im unteren Teil dargestellt wird. Hierbei wurden die rohen Sterberaten (Sterbefälle je 100.000 der Bevölkerung) der beobachteten Altersgruppe mit dem Anteil der Bevölkerung derselben Altersgruppe laut Europäischer Standardbevölkerung multipliziert.Wenn man die beiden Kurven der nächsten Abbildung anschaut, dann fällt einmal auf, dass die farbigen Kurven (die rezenteren) bei den Sterbefällen oben und bei der altersstandardisierten eher unten zu liegen kommen. Das ist zuerst einmal trivial, es sterben mehr Leute (Bevölkerung wächst, es gibt kontinuierlich mehr ältere Menschen). Die altersstandardisierte Sterberate nimmt über die Jahre ab. Dieser Griff, also die Altersstandardisierung, schließt Veränderungen aus, die sich nur aufgrund einer Zunahme der Einwohnerzahl oder durch das Aufrücken von mehr Personen in höhere Altersgruppen mit entsprechend höherer Sterbewahrscheinlichkeit ergeben.

Die über die Zeit beobachteten Niveauunterschiede in der Sterblichkeit sind somit weitestgehend Konsequenz der steigenden Lebenserwartung und erschweren die Vergleichbarkeit mit weiter zurückliegenden Jahren. Da für die Berechnung eine fiktive Standardbevölkerung herangezogen wird, sind die altersstandardisierten Sterberaten nur im Vergleich zueinander interpretierbar, nicht jedoch in der Höhe ihrer einzelnen absoluten Werte. Dennoch lassen sich drei Dinge klar benennen: Erstens die enorme Abweichung im Herbst 2020 und 2021. Zweitens die Abweichung 2022 jeweils bei den Wellen im Frühjahr, Sommer und Herbst (hervorgehoben durch  den roten Stern). Konkret hat die Übersterblichkeit auch 2022 mit Covid zu tun, allein im Dezember 2022 wird vermutlich die Grippe hauptverantwortlich für die massive Übersterblichkeit sein (analog zu 2016).  Drittens ist der Rückgang der Sterberate Anfang 2023 (fette dunkelrote Kurve) sehr eindrucksvoll, der in dieser Steilheit ungewöhnlich ist und möglicherweise dem auch international zu beobachtenden raschen Abfall der Grippeepidemie dieses Winters entspricht.

Eine weitere nützliche Kennzahl ist die durchschnittliche Lebenserwartung – die anhand altersspezifischer Mortalitätsraten berechnet wird. Die Covid-Pandemie mit ihrem seit vielen Jahrzehnten noch nie dagewesenen Anstieg der Sterblichkeit löste, mit wenigen Ausnahmen, weltweit einen Rückgang der Lebenserwartung aus. Eine internationale Arbeitsgruppe schätzte die Veränderungen in der Lebenserwartung in 29 Ländern. Auf der Grundlage dieser Berechnungen  schnitt beispielsweise Großbritannien schlechter ab als Spanien und Italien, was die verlorene Lebenserwartung in den letzten zwei Jahren betrifft, obwohl diese drei Länder weitgehend ähnliche Sterbeziffern aufweisen. Spanien, Italien und Deutschland haben etwa gleiche Werte für die Lebenserwartung, und Schweden und andere skandinavische Länder haben bis Ende 2021 die durch die Pandemie verursachten durchschnittlichen durch die Pandemie verursachten Verluste aufgeholt. Die Defizite in der Lebenserwartung im Herbst/Winter 2020/2021 korrelierten in allen Ländern negativ mit der Impfquote: Je weniger Menschen geimpft, umso ausgeprägter der Rückgang der Lebenserwartung.

Die Lebenserwartung in Österreich liegt für 2022 weiterhin unter dem Niveau der Jahre 2016 bis 2019. Im dritten Jahr der Corona-Pandemie (2022) liegt die durchschnittliche Lebenserwartung für Männer bei 78,99 Jahren und für Frauen bei 83,73 Jahren. Gegenüber dem Vorjahr 2021 stieg die Lebenserwartung bei Männern leicht an (2021: 78,80 Jahre), während sie bei Frauen nahezu unverändert blieb (2021: 83,76 Jahre). Bei beiden Geschlechtern liegt die Lebenserwartung jedoch weiterhin merklich unter dem Niveau vor Beginn der Corona-Pandemie (2019: 79,54 Jahre bei Männern und 84,21 Jahre bei Frauen), also ein ca. ein halbes Jahr weniger.

Es gäbe noch eine Kennzahl: Jonas Schöley vom Max-Planck-Institut für Demografische Forschung in Rostock hat für den Wirtschaftsdienst, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, den wissenschaftlichen Hintergrund des auf 2,1 Mrd. Euro geschätzten Überschusses der Deutschen Rentenversicherung beleuchtet. Das durch die Übersterblichkeit bedingte Bevölkerungsdefizit in der Altersgruppe ab 65 Jahren macht für Deutschland, Frankreich und Österreich 0,8 % aus, ein im europäischen Vergleich, vor allem gegenüber Osteuropa, geringes Defizit. Ohne die Pandemie wären zum Dezember 2022 in Bulgarien schätzungsweise 3,4 % mehr Menschen in der Altersgruppe ab 65 Jahren noch am Leben. Dennoch, dieses Defizit ändert nichts an dem grundsätzlichen Trend zur Bevölkerungsalterung. So ist der Anteil der über 65-Jährigen an der Gesamtbevölkerung Deutschlands seit 2019 weiter gewachsen, da sie maßgeblich durch den jetzigen Altersaufbau vorherbestimmt ist.Zurück zur Übersterblichkeit und dem Vergleich mit der Schweiz: die Schweizer Forscher wundern sich und beklagen ein wenig, dass die auch 2022 anhaltende Übersterblichkeit so wenig zur Diskussion steht. Leider fällt diese Diskussion in Österreich aber noch spärlicher aus. Die folgende Grafik habe ich dem Schweizer Tagesanzeiger  (2 Franken Entgelt) vom 11. Jänner entnommen. Sie zeigt eine im historischen Vergleich erhebliche Übersterblichkeit für 2020 und 2022, nicht für 2021.

Wenn wir hoffen, Lehren aus den vergangenen Jahren zu ziehen, sollten wir dem zweiten Jahr der Pandemie besonders viel Aufmerksamkeit schenken. Vielleicht machten sich da Lernprozesse bemerkbar. Bevor aber der Vergleich Schweiz Österreich überhaupt versucht werden soll, nochmals die zentrale Frage: stimmen die Zahlen überhaupt?Eine Annäherung kann nur mit der Beurteilung der Übersterblichkeit gelingen. In der Schweiz klafft eine wesentlich größere Lücke zwischen erfassten Covid-Todesfällen und der Übersterblichkeit. Wieso das so ist, kann ich nicht beantworten. Der Vergleich stützt sich auf das aktuelle Modell aus The Economist (folgende Abbildung) und dem Modell des World Mortality Dataset (übernächste Abbildung). Die strichlierten vertikalen Linien markieren jeweils den Jahresanfang, sodass das Jahr 2021 dazwischen liegt. Österreich hatte  2021 mehr als doppelt so viele Todesfälle wie die Schweiz. Ein wirklich wichtiger Unterschied, bei dem Aufklärung nottut.

Die Schweiz hat die Übersterblichkeit in zwei eindrucksvollen wissenschaftlichen Arbeiten analysiert. Die erste versuchte anhand von Todesfällen der Jahre 2011-2019 die erwartete Zahl der Todesfälle vorherzusagen und diese mit den bestätigten Covid Todesfällen von Februar 2020 bis April 2022 zu vergleichen. Die Covid-bedingte Sterblichkeit wurde in diesem Zeitraum über die regulären Meldungen nur etwa zu 70 % erfasst (95% Glaubwürdigkeitsintervall: 0,46-0,78). Insgesamt war Covid während des Untersuchungszeitraums für schätzungsweise 18.000 Todesfälle direkt verantwortlich, während nur etwa 13.000 Covid-bedingte Todesfälle gemeldet wurden. Schließlich könnte die Pandemie einen indirekten positiven Effekt auf die Sterblichkeit in den Altersgruppen 40-69 gehabt haben, weil in dieser Altersgruppe die Sterblichkeit in dieser Zeit geringer war. Mögliche negative Auswirkungen der präventiven Maßnahmen könnten also auch durch positive Effekte ausgeglichen worden sein. Diese Ergebnisse haben wichtige Auswirkungen auf die laufende Debatte über die Angemessenheit von Covid-Kontrollmaßnahmen – Stichworte „Aufarbeitung“, „Lockdowns haben nur geschadet“, etc. Die zweite Arbeit versuchte die historische Dimension zu erfassen (siehe auch die Abbildung aus dem Tagesanzeiger), weshalb die Übersterblichkeiten für die drei im 2. Weltkrieg neutralen Länder Schweiz, Spanien und Schweden verglichen wurden. In allen drei Ländern wurde seit Beginn des 20. Jahrhunderts im Jahr 2020 die zweitgrößte infektionsbedingte Übersterblichkeit beobachtet, trotz vieler Grippe- und Hitzewellen in dieser langen Zeit. Nur die „Spanische Grippe“ 1918 führte zu deutlich höherer Übersterblichkeit.Wenn man mit einem anderen Modell (World Mortality Dataset) die sich anhäufende (“kumulative“) Übersterblichkeit vergleicht, fällt die Schweiz im Jahr 2021 mit nur geringer Steigerung gegenüber Deutschland und Österreich auf. Wiederum markieren die strichlierten Linien den jeweiligen Jahresanfang.

Wieso schnitt die Schweiz 2021 so viel besser ab? Für die Aufarbeitung der Pandemie täte Österreich gut daran, sich dieser Frage zu stellen. Bereits im Juni 2022 habe ich versucht einige Begründungen dafür anzugeben, bitte den hypothetischen Charakter im Auge behalten:

Das Auf-Zu-Auf-Zu wirkte sich ungünstig auf die Glaubwürdigkeit für präventive Maßnahmen aus, auch der Rechnungshof sieht das so. Das begünstigt ein Verhalten, wie wenn man im Auto bereits beim ersten Anblick des noch 100 Meter entfernten Schildes „Ende 50km/h“ ordentlich beschleunigt. Um von diesem Sachverhalt abzulenken, wird einfach behauptet „die Leute halten sich nicht daran“. Schon eine Chuzpe. Ein Beispiel: Die Schweiz schloss die Restaurants Ende 2020 sofort für drei Monate bis Ende Februar. Und erachtete eine Verlängerung von Anfang an für möglich. In Österreich warfen Verantwortliche wiederholt ein „nie mehr“ oder ein „unmöglich“ in die Diskussion, sodass das Pandemiemanagement zu politischer Taktiererei verkam.

In der Schweiz galt ein verpflichtendes Home Office, ein sehr effektives Bündel mit Folgen: weniger Mobilität, kein gemeinsames Mittagessen, keine gemeinsamen Pausen u.a. Woraus man auch schließen kann, dass die Leute generell weniger Kontakte außerhalb ihres Haushalts hatten. Österreichs Freiwilligkeit beim Home-Office war den Vorgaben der Sozialpartner geschuldet. Auch die öffentliche Hand löste das allzu schlampig. Aus Vorarlberg ist mir ein Fall aus der Hoheitsverwaltung bekannt, wo in den Büros sogar ein Fitnessstudio eingerichtet wurde, weil die regulären Fitnessstudios ja geschlossen waren.

Dann gibt es noch einen Effekt, dessen ich erst vor wenigen Monaten anlässlich einer wissenschaftlichen Veranstaltung in Salzburg gewahr wurde. Ein pensionierter Biostatistiker aus der Schweiz erzählte mir, dass er die strengere Zeit der Pandemie immer wieder auch stresshaft erlebte, weil es immer wieder eines Weckers bedurfte, um einen Slot für den Online Lebensmitteleinkauf zu ergattern. Ich war ganz baff, dass er trotz seines Schweizer Freisinns sich dazu verpflichtet fühlte, das so mühevoll zu organisieren – anstelle einfach in den nächsten MIGROS-Markt einkaufen zu gehen und damit aber auch zu infektionsfördernden Menschenansammlungen beizutragen. Er war da überhaupt kein Einzelfall. Ich habe nicht so gehandelt. Dass ein beträchtlicher Teil der Schweizer Bevölkerung „eigen“verantwortlicher handelte, würde deshalb nicht verwundern.

Dann gibt es noch einen zusätzlichen Punkt, der betont werden muss, nämlich die beiden Referenden zu den Covid Gesetzen, im Juni und November 2021. In der Schweiz wurden die Maßnahmen mehrheitlich gutgeheißen. Das ist dann schon ein anderer Ausgangspunkt für „Aufarbeitung“.

Man kann von der Schweiz, auch von Schweden, lernen, aber sicher anders, als es unsere Besorgten in ihrer gekränkten Freiheit weismachen wollen.Zum Abschluss ein kurzer Kommentar zur aktuellen Welle, die sich gerade auf dem Maximalpunkt befindet. Um die veränderte Situation gegenüber früher zu veranschaulichen, habe ich die Krankenhausbelegung durch Covid Patienten (Normalpflege und Intensivpflege) mit einer Grafik vom Abwasser kombiniert, die anhand von Modellen versucht, die Zahl der fiktiven Ausscheider zu quantifizieren. Man kann feststellen, und darüber bin ich sehr froh, dass der Höhepunkt der aktuellen Welle mit der Virusvariante XBB.1.5 oder was auch immer, erreicht ist. Man sieht, dass neben der stärker krankmachenden Virusvariante Delta (Herbst 2021, erster Gipfel von links) aber auch die sich veränderte Immunität aufgrund von Impfungen, Infektionen oder beidem dazu beiträgt, dass der Anteil der Hospitalisierungen kleiner wird. Und zu Weihnachten gab es keine V-Welle, sondern einen „Weihnachtsartefakt“ (vorzeitige Entlassungen zu Weihnachten und v.a. schlechtere Erfassung von Krankenhausaufenthalten wegen der Feiertage). Getestet wird auch weniger (rote Kurve). Nur Tirol? Nein,  aber anderswo kann man es nicht so akkurat veranschaulichen.

Ob es möglich ist, dass das Abwasser, bei mehr oder minder völlig aufgehobenen Maßnahmen, die tatsächliche Viruslast in Gebieten mit einem großen Zustrom von Touristen oder Pendlern überschätzt, wie es eine Studie aus Las Vegas nahelegt? Wissen wir, ob und wie Burgenländer und Waldviertler die Toiletten in Wien benützen? Der Nachweis von SARS-CoV-2-RNA im Abwasser ist nicht gleichbedeutend mit Infektiosität. Auch wenn Touristen und Pendler zur signifikanten Viruslast beitragen können, ist dies nicht unbedingt ein Beweis dafür, dass Besucher einen wesentlichen Beitrag zur lokalen Übertragung leisten. Studien zeigen, dass infizierte Personen SARS-CoV-2-RNA noch mehrere Wochen nach Ausbruch der Infektion in den Fäkalien ausscheiden können, so dass Besucher in ihrem erholten oder „genesenen“ Zustand möglicherweise SARS-CoV-2-RNA in die örtlichen Abwasserkanäle eintragen.

Das Risiko, an einem der Krankheitsbilder von Long Covid zu erkranken, wird durch die Impfung oder Reinfektion deutlich reduziert. Noch aber nimmt das Risiko, Folgen davonzutragen kumulierend zu. Denn auch wenn Infektionen die Immunitätslage verbessern, so besteht immer (noch?) die Möglichkeit, Long Covid zu akquirieren. Deshalb bleibt unverändert aufrecht: Keine Infektion ist besser als eine; eine ist besser als zwei; zwei sind besser als drei…. Ich bin zur selektiven Infektionsvermeidung übergegangen. Man kann das mit einer gewissen Logik betreiben, man kann z.B. für sich bedeutende soziale Situationen aus Gründen ohne Maske absolvieren, weil sie einem wichtig genug sind, um ein Risiko einzugehen. Gelegentlich kippt man in ein irrational angehauchtes Verhalten und glaubt nie mehr Maske auch dort tragen zu sollen, wo man es doch praktiziert hat, wie im öffentlichen Verkehr oder in überfüllten Geschäften, obwohl es auch dort seltener geworden ist. Als hätte man die Seiten gewechselt und als gäbe es nur zwei Seiten, und man müsse die Seite verteidigen, auf der man sich wähnt. Schon ein archaisches Verhalten. Wenn man doch nur der gesunden Luft mehr Aufmerksamkeit schenkte!«  R. Z. 


Im Übrigen bin ich der Meinung, die Regierung muss die Wiener Zeitung retten.


Im Sinn des Maskenfalls habe ich übrigens mein stehendes Seuchenschlusswort neu formuliert (native speakers aller Länder, feilet daran!): Distance preferably, hands when possible, masks when needed, always considerate! Ihr Armin Thurnher

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