Schönheit der Eigenwelt – der Dichter Ludwig Hartinger

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 953

Armin Thurnher
am 01.03.2023

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Ludwig Hartinger Foto: Otto Müller Verlag

Mit dieser Kolumne Leidende wissen, dass ich Gedichte schreibe. Ich weiß nicht, ob Sie es zu schätzen wissen, dass ich mich mit deren Veröffentlichung stark zurückhalte. Zu stark aber habe ich mich in letzter Zeit mit der Anpreisung von Lyrik zurückgehalten, zumal es schwer gelingt, meine lyrische Twitter-Korrespondenz mit Herrn Pándi wieder aufzunehmen. Einmal vergesse ich sie, dann wieder versäumt er sie, und so ergibt es sich, dass uns am Ende alles genommen ist.

So weit soll es hier nicht kommen. Heute berichte ich von einem Meister des Gedichts, und schicke gleich eine notwendige Information voraus. Es handelt sich bei Ludwig Hartinger nicht nur um einen hervorragenden Dichter und ausgewiesenen Verlagslektor von Lyrik, sondern auch um einen meiner bevorzugten Gesprächspartner zu diesem Thema.

Davon aber ist mein Urteil, soweit ich das beurteilen kann, nicht getrübt. Hartinger, 1952 in Saalfelden geboren, legt nun mit „Leerzeichen“ den dritten Band „aus dem dichterischen Tagebuch“ vor. Der Untertitel deutet es an, es handelt sich um Auszüge aus einem viel umfangreicheren Werk. Hartinger begann die Veröffentlichung seines ab 2001 gedichteten Tagebuchs auf Slowenisch 2007 mit dem Band „Ostrina bilk“ (die Schärfe des Halms, deutsch erweitert bis 2012 bei Edition Thanhäuser), es folgten „Schatten säumen“ (2012-2018, bei Otto Müller), und nun ebendort die Leerzeichen (2018 – 2022).

Leerzeichen? Hartinger gibt selbst die Erklärung. „Die Taste zwischen Worten? Genau, und nicht nur das. Was sich in Ort und Weite, im Schauen, Spüren, Sinnen ereignet und ein/sein Zeichen gibt, ein Wink des Ungesehenen, Unausgesprochenen, ein Aufschein des Vorschweigens … das fließende Diarium eines Säumlings – von Augenblick und Dauer.“

Mit Maschinenzeichen ist hier nicht zu rechnen. Hier wird Natur angeschaut, innere und äußere, und zwar ganz genau angeschaut. Und, wie man an diesem einen zitierten Satz schon sieht, wird hier vom „Vorschweigen“ bis zum „Säumling“ märchenhaft phantastisch wortgeschöpft. Der Säumling als wundersames Gegenbild zum hektisch wischenden, gejagten  Augenblicksjäger, dem Däumling, ist nicht romantisch entrückt, vielmehr besinnt sich der Säumling auf die Selbstbeherrschung, auch etwas versäumen zu können, ja zu wollen. Freiheit durch Auslassung. Und natürlich der Doppelsinn: säumen nicht nur als verpassen, sondern als den Rand von etwas einfassen, von Schatten zum Beispiel.

Die Tagebucheintragungen reichen vom Zweizeiler bis zum Achtzeiler und mehr (selten) und  sind durchgehend fortgesponnen, unterbrochen nur durch ein längeres Gedicht namens „anderland“, eine explizite Kindheitserinnerung, die frühere Motive aufnimmt („als wir… auf der schärfe des halms früh / die schatten unserer träume säumten“), und eine Hommage an den Marillenbaum.

Auch die Schauplätze dieses Buchs gehen ineinander über, mal befinden wir uns auf offener See, dann im Gebirge. Das Steinerne Meer ist Hartingers erste Heimat, der Karst seine zweite, dessen Dichter Srečko Kosovel sein Hausheiliger. Diesen genialen slowenischen Avantgardisten, 1926 im jugendlichen Alter von 21 Jahren verstorben, mit trotzdem beindruckendem, ja großartigen Werk, hat Hartinger übersetzt und herausgegeben (davon ein andermal).

Indirekt hat Kosovel auch den Titel beigesteuert; er wird mit den Worten zitiert „doch hinter jedem wort / weicht der raum ins leere“. Hartinger hat die Freundlichkeit, seine Zitate auszuweisen und mit Quellenangaben am Ende des Bandes zu versehen; ein bescheidener Hinweis auf die immense Belesenheit dieses Autors.

Hartinger hat Slowenisch gelernt, so gut, dass er nicht nur wichtige Dichter übersetzt, sondern auf slowenisch dichtet, was er dann selbst ins Deutsche übersetzt; beiläufig ist da und dort auch ein Stropherl auf slowenisch eingestreut.

Hier dreht einer die Wortspindel, spinnt Worte (die Spindel, dieses Märcheninstrument ist eines der am häufigsten gebrauchten Wörter im Buch), zaubert Szenen aus dem Flachs der Wahrnehmung. Aber er zeichnet auch „mit windgriffeln“, er sammelt („vom steinsitz weitet sich / dein hinterland des worts / sammelst zwischen zeilen / ranken zeichen im herbst“), er deutet Beziehungen an, „herzplanken blitzen auf“. Und immer verknüpft der Zeichner, Zwischenraumsammler, Leerstellen-Akkumulator innere und äußere Naturbilder miteinander: „rauscht die vogelkirsche / stärker ins erste grün / was verpuppt sich in uns / hinter knappen larven / (bleibst du dir verwandt)“.

Aus hunderten einzelnen Bildern fügt sich eine Art Hartingersche innere und äußere Universal-Landschaft zusammen, von vielen Orten, Salzburg, dem Toten Gebirge, dem Karst, dem Meer, voller Atem, voller Leerstellen, voller Wind und Wellen, voller originärer Wörter: „maissaiten klingen“ und „wortwinke“ winken, „wir pausen uns stille“ und halten inne mit diesem Buch.

„unter der treppe schläft schon / eine steige licht“. Wer die Welt so mit Wörtern zu umspinnen vermag, ohne ihre Leerstellen zu verdecken, der lässt sie atmen, und eine schön gewebte Eigenwelt entsteht.

Hier ist diese Welt aufgeschrieben. Lesen Sie sie.


Im Übrigen bin ich der Meinung, die Regierung muss die Wiener Zeitung retten.


Distance, hands, masks, be considerate! Ihr Armin Thurnher

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