Hannibals Heimholung

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 945

Armin Thurnher
am 20.02.2023

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Während die Woche beginnt, und Karl Nehammer die Zukunft in den Griff nimmt, jetzt aber wirklich, und die SPÖ wieder und weiter eine Personaldebatte führt, haben wir ein Personalproblem ganz anderer Art. Mit dem Kater geht es dem Ende zu.

Gestern holten wir ihn von seinen Pflegeltern. Aufopfernd haben sie ihn umsorgt, gepflegt und gefüttert. Er fraß fast nichts mehr, trank viel, kippte aber nach ein paar Schritten einfach um. Er verlor die Hälfte seines Körpergewichts, ist nur mehr Haut und Knochen. Es ging offenbar nur noch darum, ihm ein würdiges Ende zu bereiten.

Ich war vorbereitet. Unter einem dramatischen Himmel fuhr ich hin. Hinter schwerem dunklen Feuchtgrau legten sich wechselnd große Streifen vom Licht über den Horizont, die mit goldenen Cumulus aufgeputzt waren. Dazwischen kurze, heftige Schauer, dann wieder alles Grau. Als wir bei der Rückkehr zum Manhartsberg kamen, sahen wir das ungewöhnliche Schauspiel, dass über unserem Waldviertler Eck ein blaues Himmelfenster lag. So war die Heimkehr halbwegs heiter.

Im Auto gab Hannibal die mehr als hundert Kilometer keinen Laut von sich, lag einfach auf der Decke neben meiner Frau und ließ sich von ihr streicheln. Sonst pflegte er bei weit kürzeren Transporten heftig zu protestieren. Wir erinnerten uns des freundlichen Tierarzts, der bei meinem Anblick, als ich den kranken Hund aus dem Kofferraum des Autos hob, sagte: Wie lange wollen Sie ihn noch quälen?

Bei Katzen soll das anders sein. Vor mehr als zwei Jahren war es bereits so weit. Scheinbar. Hannibal legte sich an einer warmen Stelle auf die nackte Erde. Die Geschichte mit den Zähnen habe ich schon einmal erzählt, die tüchtige Tierärztin zog sie ihm zu gegebener Zeit und verlängerte seine Frist um mehr als zwei Jahre. Morgen werden wir sie besuchen und mit ihr beraten, was im Fall Hannibal zu tun ist.

Hannibal hinter der Türe

So federleicht trägt er sich jetzt! Kann er noch laufen? Fast nicht möglich. Und doch, kaum in der heimatlichen Küche, stand er auf und ging zur Tür. Das war eindeutig. Er wollte hinaus. Trag ihn, forderte meine Frau. Also trug ihn ich über die Stiege hinunter und setzte ihn ab. Er trabte zur vorderen Tür. Zwei Pausen legte er ein. Durch die Lücke, welche die von der alten Baronin gezüchteten Dackel freigenagt hatten, schlüpfte er sonst durch. Jetzt aber kontemplierte er sie, bis ich ihm die Tür öffnete. Dann machte er ein paar Schritte, setzte sich, wieder ein paar Schritte, warf einen Blick auf das, was einmal sein Reich gewesen war, und konnte nicht mehr.

Ich trug ihn zurück.

Wenige Minuten später wiederholt er das Ganze mit meiner Frau. Sie trug ihn bei der Hintertür hinaus, von wo er einst serienweise erjagte Vögel zurück in den Hof gebracht hatte. Es war ein Nest in einem verwachsenen Strauch, für uns unzugänglich, wir schafften es nicht, ihn davon abzuhalten, das Nest auszuräumen. Das macht er nicht mehr. Der Garten interessierte ihn weniger, er insistierte auf der Vordertür.

Das war deswegen, weil er von dort nicht nur sein Reich überblickte, sondern auch hinüberschauen konnte zum Nachbarhof, wo sich seine zwei (uns bekannten) Freunde herumtreiben. Zweifelhafte Freunde, gewiss. Der schneeweiße Freddie, der ganze Körper ein kompakter Muskel, die Killerpfötchen rosarot, war es gewiss gewesen, der Hannibal einst des Nachts eine Pranke ins Aug hieb, sodass wir glaubten, er würde das Auge verlieren. Obwohl wir weder Marder noch Fuchs ausschließen konnten. Der Tierarzt blieb gelassen. Wird schon wieder, sagte er, während wir verzweifelt zusahen, wie Hannibals Auge wochenlag auszurinnen schien. Am Ende wurde es wieder, einigermaßen.

Mit Freddie konnte man ihn auch schmusen sehen, genauso wie mit dem anderen ihm farblich ähnlichen, Fuzzy genannten Kater, scheuer und vermutlich weniger brutal als Freddie.

Jetzt spähte er hinüber, als könnte er sie sehen, und sie auffordern, etwas mit ihm anzufangen. Wir sahen nur sein Ende, er sah lauter Anfänge. Katzen haben keine Vorstellung vom Ende, sie leben nur im Hier und Jetzt, sagt der Katzenphilosoph John Gray. „Da Katzen kein Selbstbild haben, brauchen sie sich nicht von der Tatsache abzulenken, dass sie eines Tages nicht existieren werden. Folglich leben sie ohne Angst, dass die Zeit zu schnell oder zu langsam vergeht.“ Während wir unsere eigene Todesangst ständig verdrängen, unser Ende uns selten vorstellen und dafür allerlei Todesgedanken auf andere projizieren, zum Beispiel auf den Kater.

Morgen, wie gesagt, besuchen wir die Tierärztin. Dann werden wir weiter sehen. Oder nicht.


Im Übrigen bin ich der Meinung, die Regierung muss die Wiener Zeitung retten.


Distance, hands, masks, be considerate! Ihr Armin Thurnher

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