Falkentag

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 933

Armin Thurnher
am 06.02.2023

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Turmfalke Foto: Wikipedia © Artur Mikołajewski

Vorgestern machte der Kurzwinter ein Fenster auf, der Garten zeigte sich trocken, und ich nützte die Gelegenheit, um einen Ausflug in den Park zu machen. Der Wind hatte einen Riesenast von der amerikanischen Schwarznuss gerissen (Neophyt), er lag seit Monaten in der Wiese herum. Gestern konnte ich zu ihm hinfahren, ihn in meterlange Stücke zersägen und zum Stapelort für Altholz abtransportieren.

Weiter hinten im Park gab es besseres Holz, ein großer Ast war, ebenfalls schon vor einiger Zeit, von einer Eiche abgebrochen. Der Eichenast wird zu Brennholz verarbeitet, schon beim Heben spürt man den Unterschied im Brennwert. Kaum tut man solche Dinge, fühlt man sich auf eine andere Weise nützlich, als wenn man auf den Fernseher starrt und die neuesten politischen Déja-Vu-Desaster registriert.

Es kam mir vor, als hätte ich selbst den Himmel blau gefegt, der sich mit einem Mal strahlend zeigte. Schon kamen die nächsten Wolken, und wieder fiel mir ein, dass sich die Falken nicht mehr zeigen. Jeden Morgen fällt es mir ein, wenn ich als erstes auf jene Stelle schaue, an der er saß, der gleiche Falke, schien mir, obwohl es immer ein anderer gewesen sein mochte und über die Jahre hinweg gewiss ein anderer Falke war.

Den ganzen Sommer lang hob ich jeden Tag den Kopf zum Dach und sah auf die Stelle, einen Sporn oberhalb eines Fensters, auf dem er saß, oft stundenlang, regungslos. Ich kann diesen Sporn nicht mehr falkenlos sehen, auch wenn kein Falke auf ihm sitzt. Ich weiß nicht, ob es unsere dauernde Anwesenheit ist, die den Falken störte, oder ob sich Familie Falke in einem der nahen hohen Bäume einfach bequemer eingerichtet hat.

Als wir das Haus bezogen, war es ziemlich desolat. In einem Dachzimmer hatte sich Müll aus Jahrhunderten angesammelt, altes Spielzeug, wurmstichige Möbel, zerrissene Bücher, verrostete Matratzenunterlagen. Im Fenster bewegte sich etwas. Das äußere Fenster war zerbrochen, und die Falken hatten ihr Nest hineingebaut. Die Jungen konnten nicht fliegen, waren aber offenbar durch uns irritiert, hoben die Köpfchen, graue, runde Schemen. Die Alten ergriffen die Flucht. Wir betraten das Zimmer nicht mehr, bis die Jungen flügge waren; später reparierten wir das Fenster, und die Falken kehrten nicht mehr dorthin zurück.

Vielleicht begann damals die Geschichte unserer Entfremdung. Aber dass sie so weit geht, dass der Falke nicht mehr kommt? Ich dachte an an Falken und an das Gedicht von Ted Hughes, das Irena Rosc auf die Wand vis-à-vis des Falkensitzes schrieb. Am gleichen Tag, gestern, brachte auch noch Claus Pándi ein Gedicht von Ted Hughes (wir wiedereröffneten gerade unser Poesieserie auf Twitter, als Sonntagsgedichte, ich erbitte Ihre geschätzte Aufmerksamkeit).

Um die Zufälle zu vervollständigen, schickte mit die Paris Review in ihrer wöchentlichen Aussendung Redux Auszüge aus einem alten Interview mit Ted Hughes („I don’t know how to explain them (animals, Anm.). There are certain things that are just impressive, aren’t there?“).

Da muss ich es einfach hersetzen, das Gedicht vom ruhenden Falken. Mittlerweile sind teilweise meisterhafte Übersetzungen von Jan Wagner erschienen (er übersetzt „Hawk“ mit „Habicht“), ich getraue mich trotzdem noch, meine Version zu veröffentlichen, sie ist schon ein paar Jahre alt und weist doch auch ein paar brauchbare Stellen auf. Also raus damit!


Falke, ruhend

Ich sitze im Wipfel, meine Augen geschlossen.

Untätigkeit, kein fälschender Traum

Kommt mir zwischen Hakenkopf und Hakenfuß:

Oder ich probe im Schlaf perfektes Töten und esse.

Die Bequemlichkeit der hohen Bäume!

Der Auftrieb der Luft und der Strahl der Sonne

Sind von Vorteil für mich:

Und der Erde Antlitz nach oben zu meiner Einsicht.

Meine Fänge umschließen die raue Rinde.

Es brauchte das Ganze der Schöpfung,

Meinen Fuß herzustellen, jede meiner Federn:

Jetzt halte ich Schöpfung in meiner Klaue

Oder fliege hoch und drehe sie langsam um.

Ich töte, wo’s mir gefällt, denn alles ist mein.

Keine Spitzfindigkeit in meinem Körper:

Meine Manieren reißen Köpfe ab –

Die Zuteilung des Todes.

Denn die einzige Bahn meines Flugs führt direkt

Durch das Gebein der Lebenden.

Kein Argument sichert mein Recht:

Die Sonne steht hinter mir.

Nichts ist anders, seit ich begann.

Mein Auge hat keinen Wandel erlaubt.

So werd ich es beibehalten.


Im Übrigen bin ich der Meinung, die Regierung muss die Wiener Zeitung retten.


Distance, hands, masks, be considerate! Ihr Armin Thurnher

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