Katzenkolumne. Grausamkeit, Flow und nur ein bisschen Politik.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 929

Armin Thurnher
am 01.02.2023

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Foto: Nina Barthon

Stets auf der Suche nach Möglichkeiten, den Niederungen des innenpolitischen Kommentierens zu entgehen, begebe ich mich einmal nach Favoriten, einmal in den Hauptbahnhof, dann wieder auf das flache Land, wo ich Menschen aus meiner mondänen Welt treffe. Mondän bedeutet soviel wie weltlich, also aus meiner Weltwelt. Diese ist bevölkert von freundlichen Jägerinnen, Postbeamten, Verkäuferinnen, Bäuerinnen, Handwerkern und anderem mondänem Personal, mit dem ich mich meist bestens verstehe.

Dennoch, bei Betrachtung der Politik ist die Tierwelt fast durchwegs vorzuziehen. Kürzlich nickte mir der Buntspecht vom Fensterrahmen aus zu, in den er gerade herzhaft hineinpicken wollte, als ich zurücknickte, worauf er floh. Der Kater ist allerdings leider in Pension ausgelagert, bei der Schwägerin, dort geht es ihm besser als bei uns, er hat es wärmer und wird auf eine Weise umsorgt, die ihn den Winter überstehen lässt.

Ich werde sicher wieder Dialoge mit ihm führen, auch wenn unsere intime, tägliche Kommunikation derzeit unterbunden ist.


Wie ich so nachdenke über den Kater, fallen mir gleich ein paar Katzenmeldungen auf einmal ins Haus. Das Entsetzliche zuerst: Die Franzosen haben ja noch ein cartesianisches Verhältnis zu Tieren, trotz der sogenannten Tiernärrin Brigitte Bardot muss man das so sagen. Der Philosoph René Descartes war Rationalist und davon überzeugt, dass Tiere keine Seele haben, also auch keinen Schmerz empfinden können. In diesem Sinn aufgeklärte Wissenschaftler haben deshalb mit reinstem Gewissen die grausamsten Experimente mit Katzen durchgeführt.

Die französischen Staatsbahnen SNCF scheinen zumindest teilweise der Mentalität des großen Rationalisten anzuhängen, obwohl seither vierhundert Jahre vergangen sind. Auf dem Pariser Bahnhof Montparnasse begab es sich nämlich am 2. Januar dieses Jahres, dass einer Frau und ihrer 15jährigen Tochter ihr Kater aus dem Tragekorb entkam und sich unter den Rädern eines abfahrbereiten Zuges versteckte. Neko ließ sich nicht hervorlocken, und trotz Verhandlungen der verzweifelten Besitzerinnen des Katers mit dem Zugpersonal entschloss sich dieses, nach 20 Minuten den Zug abfahren zu lassen, wodurch der Kater zu Tode kam. Alarmierte Tierschützer und Tageszeitungen empörten sich, die Sache gelangte bis zum Innenminister, der sich entschuldigte und versprach, das Zugpersonal gegen Tierquälerei schulen zu lassen. Die Bahngesellschaft konnte zu ihrer Verteidigung nur vorbringen, dass das Betreten der Geleise wegen der Gefahr eines Stromschlags streng verboten sei. Den Schuldigen drohen hohe Geldstrafen.


Während einerseits also Katzen weiterhin bedenkenlos gequält und zu Tode gebracht werden, rief mir eine aktuell publizierte Studie der Boku zu einem katzenaffinen Thema ein Buch in Erinnerung. Die Universität für Bodenkultur untersucht nämlich die Frage, ob Tiere wie wir Menschen in gewissen Situationen so etwas wie Flow kennen, jenes Glücksgefühl, das die FPÖ nach Wahlsiegen so lange erlebt, bis sie der nächsten Skandal grausam in tiefste Loch stürzen lässt. Die Boku teilt über ihre Studie mit:

»Ob auch Tiere Flow erleben, ist bisher unbekannt. „Flow im Tierreich hat bisher keine Beachtung geschenkt bekommen“, sagt Sara Hintze vom Institut für Nutztierwissenschaften der Universität für Bodenkultur Wien. Sie und ihr Kollege Jason Yee haben in einer vor kurzem im Fachjournal Biological Reviews erschienenen konzeptionellen Studie das Thema Flow bei Tieren zum ersten Mal beleuchtet. „Der Gedanke, dass auch Tiere Flow erleben können, hat uns beide gefesselt“, sagt Hintze. „Wenn wir Tieren die Möglichkeit geben, Flow zu erleben, können wir dann die Lebensqualität von landwirtschaftlich genutzten Tieren wie Schwein, Rind oder Huhn verbessern?“ Das wäre ein wichtiger Schritt in Richtung mehr Tierwohl und einer verbesserten Lebensqualität von Tieren in menschlicher Obhut.«

Nicht von ungefähr sind Katzen in dieser Studie nicht inkludiert. Katzen sind nicht unnütz (sie befreiten uns von Nagern, deswegen setzten sie sich durch. Sie wurden auf Schiffen mitgeführt und breiteten sich so auf dem ganzen Globus aus), aber ihr Nutzen ist längst zweitrangig geworden. Niemand würde eine Katze ein Nutztier nennen.


Von Katzen kann man nichts und alles lernen, wie ich aus einem Buch lernte, dem ich auch die Descartes-Passage entnommen habe. Es ist eine kleine, charmante Geschichte der Philosophie, verpackt in die These, dass nicht wir die Katzen, sondern die Katzen uns domestiziert haben. Und dass Katzen uns in jeder Beziehung überlegen sind, vor allem nämlich, weil sie sich stets im Zustand des Glücks befinden, vollkommen eins mit sich, anders als wir, die wir unser Glück stets als Projekt definieren müssen, womit wir zugeben, so der Philosoph John Gray, der Autor des Buches, dass wir nicht glücklich sind, weil wir das Glück eben immer erst suchen.

Dort, wo ich nicht bin, dort ist das Glück, sagten die Romantiker, und sie dachten dabei weder an Katzen noch an österreichische Innenpolitik.

Im Übrigen bin ich der Meinung, die Regierung muss die Wiener Zeitung erhalten.


Distance, hands, masks, be considerate! Ihr Armin Thurnher

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