
ARMIN THURNHER —
30.01.2023
Pudelmäßig übergossen, aber keineswegs gereinigt, überstand ich gestern die Phrasenduschen. Erdbeben. Historischer Abend. Schreckgespenster an die Wand gemalt. Paradigmenwechsel. Und alles bleibt beim Alten.
Das Bild des hintübergeneigt auf Zehenspitzen durch den Bildschirm huschenden Peter Filzmaier war das einzig Erfrischende an diesem Abend. Wenn sich jemand fragt, wie die Demokratie für jüngere Menschen attraktiv werden kann, würde er vielleicht auf die Antwort stoßen: die Rituale der Politikberichterstattung gehören einmal überdacht.
Andererseits helfen uns Rituale über Tragödien hinweg. Der Pfarrer am offenen Grab und der ORF nach der Niederösterreichwahl, so kommt man mit dem Unvermeidlichen nicht zurecht, aber man steht es durch. Nachher gibt’s immer Schnitzel und „Im Zentrum“.
Die ÖVP Niederösterreich hat den Bundesmalus verdient kassiert, sie war und ist ja von der Bundespartei nicht zu unterscheiden: der Kurzismus ist ein Geschöpf Niederösterreichs, und die jetzige Regierung ist schwarzerseits eine Mischung aus Postkurzistinnen und Sankt Pöltnerinnen, mit einem Schuss Wurzelgift aus Waidhofen/Ybbs (wo das Wahlergebnis für die ÖVP besonders katastrophal ausfiel, was gewiss nichts mit dem großen und beliebten Sohn der Stadt zu tun hat. Lassen wir den, aber andererseits ist er doch ein gutes Bild dafür, warum jede Wahl eine Niederösterreichwahl ist.)
Da standen sie und jammerten in verschiedener verbaler Ausformung, wie sehr ihnen dieser Kickl die Wahl gestohlen habe, indem er sie zu einer Bundeswahl machte. Man nennt es Themenführerschaft, und es war für jeden mit Händen zu greifen, nicht einmal die Meinungsforscher lagen falsch. Warum werden wir wieder in die Zeitmaschine geworfen und müssen alle Fehler noch einmal erleben, die andere Parteien im Umgang mit Jörg Haider machten? Weil unsere demokratischen Repräsentantinnen und Repräsentanten so lernfähig sind. Jetzt wird die Bilanz des Kurzismus erstellt, und die Rechnung für kurzfristig populistisches Denken fällt für die Schwarzen bitter aus.
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Für mich ist völlig klar, dass keine Personaldiskussion geführt wird. Sagt der Spitzenkandidat der SPÖ, Franz Schnabl, der ganz offenbar die Sache für die SPÖ versemmelt hat. Natürlich nicht allein, halt exemplarisch. Die Niederlage der ÖVP ist keine große Überraschung, aber dass die SPÖ es in diesem Maß nicht schafft, auch nur ansatzweise oppositionelle Energie zu zeigen und oppositionelle Stimmung und Stimmen an sich zu ziehen, das ist das wirkliche Drama dieses Abends.
Ihre Wahlkampagne war nur eine Karikatur eine Kampagne, mit blöden, geklauten Scherzchen außerdem nicht nur unoriginell, sondern dem Wesen des Kandidaten völlig unangemessen (er ist von Beruf bekanntlich nicht Komiker, sondern Polizist).
Die SPÖ ist dabei groß, originellen und klugen Politikerinnen der jüngeren Generation keine Chance zu geben; diese wiederum scheuen davor zurück, einen Putsch nach dem Muster der Generation Kurz strategisch anzulegen und durchzuziehen.
Das muss man einmal schaffen, die Themen Teuerung und wachsende soziale Ungleichheit so zu verspielen, das Thema autoritäres Fehlverhalten der Regierung bei Corona zu verschwitzen und beim Thema Menschenrechte so unklare Kante zu zeigen, dass man nicht einmal das Theater aufdeckt, wie die ÖVP die FPÖ nach- oder voräffte und dadurch ein Klima mitschuf, das der Inhumanität Vorschub leistet.
Gut, dass die Grünen und die Neos dazugewinnen konnten, aber es bleibt schmückendes Beiwerk angesichts des Versagens der einst großen roten Staatspartei. Man brauchte bloß die Argumente des Geschäftsführers Christian Deutsch oder andere sprachgeregelte Äußerungen zu hören, man habe eh die richtige Themen gehabt etcetera. Das ist nicht Politik, Leute. Das streut sich selber Sand in die Augen. Politik besteht darin, das Richtige zu sagen und zu tun. Wenn sie nicht Demagogie ist. Soll heißen, wenn die Repräsentanten sozialdemokratischer Politik nicht glaubwürdig sind, nützt alles andre nichts. Danke für Ihr Verständnis dafür, dass ich keine Namen nenne.
Ich gehe jetzt ein paar Gräben zuschütten, die ich in den letzten Wochen aufgerissen habe. Oder, wie der Kandidat Udo Liederbuch sagte: wir werden unsere Wählerinnen nicht enttäuschen; welche Positionen das sein werden, wird sich in den nächsten Wochen ergeben. Die FPÖ bricht das System der ÖVP, denn die Korruption ist unerträglich geworden. Weil die FPÖ derart unkorrupt ist, bin ich vollkommen beruhigt und kann das alt-neue Schauspiel genießen: den Kickl-Bezwingzwang mit eingebauter Autodestruktion der Bezwingenden.
Im Übrigen bin ich der Meinung, die Regierung muss die Wiener Zeitung erhalten.*
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Distance, hands, masks, be considerate! Ihr Armin Thurnher
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*Zusatz vergessen, jedoch am 30.1. 11:21 eingefügt