Wie ich einmal Kickl zum Kanzler machte (oder so).

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 924

Armin Thurnher
am 26.01.2023

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Wenn dieser Mann Kanzler wird, bin auch ich schuld daran. Sagt Andreas Koller. Foto © FPÖ

Ich weiß, man soll mit Entsetzen keinen Scherz treiben. Aber ich bin entsetzt. Entsetzt darüber, welche Wirkung ein kleines Feuilleton von mir ausgelöst hat, das übrigens zahlreiche Leute, die mir schrieben, als zutreffende Schilderung empfanden.

Ein von durchsichtigen Motiven getriebener postkurzistischer journalistischer Söldner nahm diesen meinen Text, pickte einen Satz heraus, machte ihn in seinem Online-Medium groß auf und erklärte mich zum Verächter aller Favoritner, Arbeiter und Wiener. Ziel der Verleumdung war, mich bei der Gemeinde Wien in Misskredit zu bringen und mir so zu schaden, weil der Söldner der irrigen Ansicht ist, der Falter lebe hauptsächlich von Inseraten der Gemeinde.

Ich versuchte, darauf satirisch zu reagieren, aber nun kommt der seriöse Andreas Koller und schreibt einen Kommentar in den Salzburger Nachrichten darüber, warum die FPÖ in Umfragen davonzieht, und schließt: „Daran sind nicht zuletzt ihre Gegner schuld.“ Nämlich unter anderem ich, wegen eines Satzes aus meinem Text, der erkennbar keine journalistische Reportage darstellt, sondern ein kleines Feuilleton. Kollers halbluzide politische Argumente bleiben hier unbeachtet. Betrachten wir nur, was er mit mir und meinem Text tut, wenn er schreibt:

»Die FPÖ profitiert zweifellos auch von der intellektuellen Überheblichkeit, die ein Teil ihrer Gegner zur Schau stellt. Und die sich nicht nur gegen die FPÖ, sondern auch gegen deren potenzielle Wähler richtet. Man denke etwa an SPÖ-Chefin Rendi-Wagner, die noch im Frühherbst leugnete, dass so etwas wie eine Flüchtlingskrise existiere (was nicht nur die Asylstatistik, sondern wohl auch ein Großteil der Wählerschaft anders sah). Oder man denke an einen führenden Wiener Publizisten, den es jüngst in einen Wiener Arbeiterbezirk mit hoher FPÖ-Affinität verschlug und der hinterher von den „Außenbezirksgesichtern, alkoholverwaschen und mit schlechten Gebissen“, schwadronierte, die dort sein ästhetisches Empfinden störten. Oder man denke an einen erklecklichen Teil der Twitteria, der reflexartig „Nazi!“ schreit, wenn sich rechte Demonstranten auf den Straßen tummeln. Wer Menschen so behandelt, statt sie und ihre Sorgen ernst zu nehmen, wird sie nicht davon abhalten, den lockenden Tönen Herbert Kickls zu erliegen.«

Ich lasse Rendi-Wagner und die Nazi-Nazi-Schreier beiseite und konzentriere mich auf mich. Da kenne ich mich aus. Ich schätze Andreas Koller, er ist so etwas wie der Duracell-Hase der Seriosität im österreichischen Journalismus, nie auf ein skandalisierendes Pointchen erpicht, immer ernst und doch nicht ohne einen Hauch von Schalk. Ich mag den Koller, wenn er im Dreiteiler in der TV-Debattenrunde sitzt, wirklich. Es kann auch im offenen Hemd sein. Allerdings mag ich ihn nur, wenn er seriös ist. Seine Interpretation meines Textes ist es nicht. Sie ist offenbar geleitet von den demagogischen Verdrehungen der Herren Richard Schmitt, der die Geschichte „machte“, und Christian Ortner, der sie moralisierend weiterdrehte; Jeannée lag offenbar auf der faulen Haut.


Warum ist die Schmitt-Ortner-Koller’sche Interpretationskette eine Sauerei? Weil die Herren den Begriff „Außenbezirksgesichter“ verdrehen. Die Außenbezirke umfassen bekanntlich die Bezirke 10 bis 19, und was da in der Kurkonditorei-Oberlaa-Filiale im Hauptbahnhof saß, hatte mit einem Favoritner Proletarier so viel zu tun wie Christian Ortner mit einem echten Liberalen. Weder sah ich Favoritner Prolls, noch FPÖ-Wähler, noch sagte ich das, noch drückte ich das mit meiner Beschreibung aus. Die Chronologie meines kleinen Feuilletons lässt außerdem erkennen, dass ich mich aus Favoriten hinaus und in den Hauptbahnhof hineinbegebe, wo lokale Zuschreibungen keinen Sinn haben.

»Nahm einen anderen Rückweg zum Bahnhof, sah zum erstenmal Gras und darin ein Dutzend Hochbeete, sauber zugedeckt mit grüner Plastikplane. Studierte die Parkmöglichkeit, wenn man jemanden beim Bahnhof absetzt; das letzte Mal war ich frecherweise auf dem Behindertenparkplatz stehengeblieben.

Erblickte dann eine Filiale der Kurkonditorei Oberlaa. Voller Außenbezirksgesichter, alkoholverwaschen und mit schlechten Gebissen; andererseits ein paar hübsche Frauen, einzeln an Tischen. Ein Milieu, in dem sie sich offenbar sicher fühlen. Ich wollte nichts Süßes, bestellte mir einen Gemüsestrudel. Etwas zu viel Erdäpfel, der Strudelteig zu lappig und die Soße viel zu pappig. Karl Schuhmacher, der einst die Kurkonditorei aufbaute und ein phänomenales Patisserie-Buch schrieb, „Wiener Süßspeisen“, hätte dem Koch den Hintern versohlt.

Nun war ich eingestimmt auf den Zug nach Retz …«

Wir sind also nicht mehr in Favoriten, wir sind im Bahnhof; die Gäste sind nicht Favoritner, sondern Reisende aus der oder in die Stadt; auch die Erwähnung der Frauen weist darauf hin, dass es sich um einen gleichsam Favoriten enthobenen Ort handelt, einen Kontrast zum zuvor beschriebenen Mediamarkt am Columbusplatz. In der Tat ist „Außenbezirksgesichter“ nicht besonders präzise, ja absichtlich vage. Ich sah einigermaßen wohlhabende Pensionisten, die gern ein Gläschen zu viel trinken und mehr Geld in ihre Lederjacke und ihren Oldtimer investieren als in ihre Zähne, aber keine Proletarier. Von Ortszugehörigkeit war sowieso keine Rede.

Ich verstehe schon, was Schmitt und Ortner wollen. Die wollen aus erwähnten Gründen aus mir einen arroganten Proletenverächter machen. Dass Koller mitspielt und mir im nächsten Schritt auch noch den aufhaltsamen Aufstieg Kickls anhängen möchte, ist schon ein schwaches Stück. Aber, wie ich in meinem kleinen Feuilleton sagte, so existiere ich alle Tage. Ich füge hinzu: so leide ich alle Tage.

Ich möchte Herrn Koller außerdem ersuchen, vom Wort „schwadronieren“ im Zusammenhang mit meinen Texten Abstand zu nehmen. Es hat etwas Akademisch-Fechterisches, etwas Herumfuchtelndes, das besser zur Welt des Herbert Kickl passt als zu meiner. Was mein ästhetisches Empfinden betrifft, von dem Koller vermutet, es sei durch meine Wahrnehmungen in Konditoreien gestört, so darf ich ihm verraten, dass meine literarischen Versuche es darauf anlegen, einen Ausdruck für meine Wahrnehmungen zu finden. Wenn ihn diese Versuche ästhetisch oder politisch ärgern, geschenkt, aber er soll bitteschön wenigstens sinnerfassend lesen, was ich geschrieben habe. Absichtlich missverstanden zu werden, ist zwar das Los aller, die in unseren Tagen kommunizieren, aber ich bin nicht bereit, sich daraus ergebende Denunziationen widerstandslos hinzunehmen. Nicht zuletzt aus Gründen des ästhetischen Empfindens.


Verzeihen Sie, dass ich Sie mit derart peinlichen Übungen in Selbstexegese langweile, aber man kann sich, wie Dr. Kurt Ostbahn sagte, nicht alles gefallen lassen. Im Übrigen bin ich der Meinung, die Regierung muss die Wiener Zeitung retten.


Distance, hands, masks, be considerate! Ihr Armin Thurnher

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