Ich begrüße das unpoetische Zeitalter.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 920

Armin Thurnher
am 21.01.2023

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Ich begrüße das neue, das unpoetische Zeitalter. Nein, ich begegne ihm grußlos. Registriere es nur.

Was kann man in ihm tun? Man muss poetisch sein. Ich habe meine Twittergewohnheiten aufgegeben, für eine Zeit wenigstens, schon scheint es mir wie immer. Was habe ich getan? Bücher zu lesen versäumt, gebeugt durch Narzissmus, jeglichen Tag. Die Twittericks bereue ich am wenigsten, unter Hunderten muss doch das eine oder andere gewesen sein, das sich brauchen lässt, wofür auch immer. Achtzig Prozent seiner Gedichte seien Schrott, meinte Wystan Hugh Auden, das war selbstverständlich eine Koketterie, er aber glaubte es womöglich. Die Twittericks – vielleicht kommen sie ja wieder – folgten ein paar Gesetzen, die nicht alle im Publikum durchschauten. Dem des Anapäst sowieso, aber auch dem der Zeit; mehr als 15 Minuten gestattete ich mir nicht für ihre Abfassung.

Die Sobotka-Zweizeiler rasten nicht. Das bin ich mir schuldig und meinem Begleitgeschwader, das längst viel geschickter feuert als ich. Vor allem aber schulde ich das meinem Ziel, dem bramarbasierenden Dauergrinser, diesem Denkmal der Gedankenlosigkeit, diesem Inbegriff der Inkompetenz, diesem Sinnbild der Frechheit und Anmaßung. Hier gibt es kein Nachlassen. Jede Kulturanmaßung dieses Kulturlosen, dieses Barbaren mit Taktstock feuern mich nur umso mehr an. Neuerdings zeigt er  falsche Bescheidenheit und vorgetäuschte Reue. Zwei Jahrtausende katholischer Verlogenheit kulminieren in diesem Herzgrufti (ich gebe zu, dieser Name gefällt mir), dass die Kardinäle vor Neid erbleichen.


War mein Poesieaustausch mit Claus Pándi zu viel, grenzte er an Freundschaft, was er nicht sollte? Vermischte sich das Inkommensurable? Mir scheint, er ist versickert, weil ich drei Wochen Pause machte. Soll er wieder aufgenommen werden? Vielleicht nur mit einem Gedicht pro Woche, einem Sonntagsgedicht zum Beispiel? Von allen Twitteraktivitäten schien er mir am unschuldigsten, wenngleich oft missverstanden. Immerhin brachte er einen Austausch, hochrangig war er nicht immer, schlecht fast nie, am Ende führte er zu einem Abend im Bregenzer Theater Kosmos, an dem wir auf offener Bühne über je sechs ausgewählte Gedichte sprachen; die Auswahl schmerzte im Moment, da sie getroffen werden musste, aber es war einiges dazu zu sagen, wir langweilten uns dabei nicht, und das Publikum schien zufrieden.

Mehr Poesie braucht es auf jeden Fall hier, und vielleicht auch wieder auf Twitter, solange es noch nicht weggeschmolzen ist im Bocksgetue, im Musk-elspiel, das doch nur eines im Sinn hat, den Profit zu steigern. Der Mensch ist nur ganz Mensch, wo er muskelt.

Wer etwas anderes im Sinn hat, hebe den Bizeps! Ich nicht. Ich tue das alles nur, um meinen Ruhm zu steigern und mehr von meinen Büchern zu verkaufen, die noch gar nicht erschienen sind.

Mein ganzes Gerede über Poesie gewinnt für die meisten seinen Reiz doch daraus, dass hier ein politischer Journalist sich auf Abwege begibt. Aber Leute, es sind keine Abwege! Das literarische Schreiben ist mir wichtiger als alles. Hier finde ich, selten genug, das Wort das trifft. Das Wort, das nicht trifft, ist das Gift. Trefferlos schwatzt die Öffentlichkeit dahin, deshalb sie trieft vor Gift und Lügen. Lüge ist ja nicht nur der Darwinismus der Volksbetrüger, sie ist auch die Schlamperei der Wurschtigen, die Gleichgültigkeit der Dahinschmierer, die meinen, der Wahrheit schon Genüge getan zu haben, wenn sie bloß ein bisserl gendern.

Wo wäre ein Emir der Poesie? Die echten Emire finden Erfüllung im Petrodollars, welche sie in Greenwashing investieren. Gottes ist der Orient, Gottes ist der Okzident, Gottes ist das Zinsverbot, das sie nicht von der Börse trennt. Parasiten umflattern sie, junge Geier wie Jared und Sebastian, auf den Konsum von Zweifelhaftem abgerichtet, moralisch einwandfreie geduldige Tiere, profitierend von der Pleite der kleinen Leute. Ihre Köche lassen das Salz über den Ellbogen rieseln, ihre Generäle vermessen die Blutlachen mit Saurierknochen. Man muss mit beiden Seiten reden können, je nachdem, wie dieser Krieg ausgeht oder jener, Oligarchen sind wir alle, mehr oder weniger.


Jean Philippe Rameau Bild: Wikipedia

„Ich liebe das gemeine Volk / und halte mich fern von ihm“. Jetzt müsste man wissen, von wem das ist, aber mit zwei Tastendrucken haben wir’s, Rühmkorf, sag ich ja, dass der da Horaz zitiert, odi profanum vulgus, das hatte ich mit dem Pándi besprochen, auf unserem Lyrikabend, er nickte wissend, wie auch das Publikum und der Moderator, und ich bin sicher, die wussten, wozu sie nickten, während ich bei mir den Verdacht hegte, das profanum vulgus, das ich da arcere empfahl, sei ich selber, und ich weiß nicht mehr, ob ich erwähnt habe, welches Rezept der Rühmkorf aus vollem, gebrochen-sozialdemokratischem Herzen noch so bereithält, aber für dieses eine bin ich ihm ungebrochen dankbar: „Bleib erschütterbar – und widersteh!“

Jetzt geh ich und spiele eine Runde Rameau.

Im Übrigen bin ich der Meinung, die Regierung muss die Wiener Zeitung retten.


Distance, hands, masks, be considerate! Ihr Armin Thurnher

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