Ich mache jetzt einmal den Werbeaffen meiner selbst

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 919


ARMIN THURNHER

20.01.2023

Ich sollte weniger fernsehen. Vorgestern blickte ich in die Kiste, es waren Seitenblicke, oder war es Kultur?, es ging um den Prunksaal der Nationalbibliothek, ein paar Promis sagten Dinge über das Zeitalter des Barock. Ich werfe ihnen nichts vor, möchte nicht in der peinlichen Lage sein, in einem barocken Prunksaal zu stehen und ein zehnsekündiges Aperçu über das Barock absondern müssen. Ich kann also die Zwangslage der prominenten Damen und Herren verstehen, aber als am Ende Frau Bierlein, die Kanzlerin der Übergangsregierung, sagte, wir könnten zum Barock nichts sagen, da wir in einem Zeitalter der Sachlichkeit leben, da fiel ich mir selber ein.

Ich habe nämlich ein Buch geschrieben. Dessen Text ist jetzt final, er befindet sich auf dem Weg in die Druckerei, ich kann nichts mehr an ihm ändern. Nur zögerlich schaue ich manchmal hinein, aber eines fiel mir gleich auf: ich sehe das mit dem Barock komplett anders als Frau Bierlein.

Leben wir nicht in einem Zeitalter der totalen Ungleichzeitigkeit, in dem Atavismen blutigster Art über uns hereinbrechen, und in dem die am meisten beängstigende geistige Bewegung, wenn man das so sagen kann, jene der neuen Gegenreformation darstellt, die über uns kommt, ohne dass wir eine neue Aufklärung oder nur Reformation genossen hätten? Einen Teil dieser Bewegung erkennt man zum Beispiel daran, dass wir uns in der Öffentlichkeit zu Werbeaffen unserer selbst machen müssen, worauf viele der allgemein beklagten Umstände zurückzuführen sind.

Es ist süß und ehrenvoll, sich selbst zu zitieren, und weil ich Sie ja auf mein kommendes Buch neugierig machen möchte, habe ich mir werbeaffenmäßig folgendes ausgedacht. Bis zum Erscheinen des Werkes in den Buchhandlungen, was etwa Mitte März zu erwarten sein wird, veröffentliche ich etwa vier Wochen vorher jeden Tag auf Twitter einen Satz daraus.

Den Anfang aber mache ich hier mit einer Passage zum Barock, die mir ins Vorwort hineingerutscht ist. Sie lautet so:

„Man lebt im Neobarock, sündengewiss, prangersüchtig und verhängnisfroh, der gerechten Strafe für sein frevelhaftes Tun gewärtig. Aufklärung war gestern und kommt vielleicht morgen wieder; die Gegenwart aber hat es geschafft, jene Mischung aus Rationalität, Maschinentheater und Gegenreformation erneut zu aktualisieren, die man Barock nennt.“

Das Wort „prangersüchtig“ bezieht sich auf beide Seiten der Medaille, auf jene, die prangern und jene, die sich prangern lassen. Im neuesten Prangerfall, ernster als die kleinen Alltagsfälle, die ich im Sinn hatte, als ich das schrieb, dem Fall Teichtmeister, ist zudem das widerliche Phänomen zu beobachten, dass der moralische Kraftaufwand desto stärker ausfällt, je zweifelhafter seine Urheber sind. Sofort wird einem unterstellt, man lasse es an Empathie mit den Opfern fehlen, den missbrauchten Kindern, die in der Betrachtung durch kranke Täter noch einmal zu Opfern gemacht werden, wenn man ein Wort gegen reflexartige Wünsche nach Instant-Vergeltung sagt. Damit rechtfertigt oder billigt man die Tat nicht, und schon gar nicht die noch schwerer wiegende Tat der ursprünglichen Täter, derer die den Missbrauch begehen und derer die ihn bildmäßig kommerziell ausbeuten.

Das Böse dieser Taten, man muss diesen Begriff verwenden, ruft eine verständliche Abscheu hervor, so stark, dass sie bereit ist, zivilisatorische Errungenschaften wie den Rechtsstaat beiseite zu fegen und biblisch oder heidnisch nach Rache zu rufen. Wer dagegen auf dem Fortschritt über Faustrecht und Selbstjustiz hinaus besteht, auf der Selbstzähmung des Menschen durch die Erfindung und Verfeinerung des Rechtsstaats, wie das Florian Klenk tat, der wird als Sympathisant von Leuten hingestellt, die Kinder missbrauchen.

Es wird dann insinuiert, man (ich bin da in Gesinnungsgemeinschaft mit Klenk) sei den Tätern nicht bloß milde gesonnen, vielmehr sei man das aus weltanschaulichen Gründen; wogegen man mit den Herren Kurz und Strache unbarmherzig verfahren sei. Ich denke nicht, dass das so ist; außerdem wurde diesen Herren nicht der Konsum von Bildern missbrauchter Kinder, sondern ihr politisches Verhalten zur Last gelegt. Das allerdings nachhaltig. Offenbar nicht nachhaltig genug für jene Kritiker, die nun ihre moralische Integrität an ihrer Empörung über den gefallenen Täter Teichtmeister erfrischen und an jenen, die auf der Einhaltung zivilisatorischer Regeln bestehen, gerade auch für Leute, die selbst diese Regeln verletzt haben, alte Rechnungen zu begleichen versuchen.

Der Rechtsstaat ist weit davon entfernt, perfekt zu sein. Er scheitert oft genug an seinen Vorgaben, man muss ihn immer wieder an seinen eigenen Kriterien messen, denen er oft nicht genügt. Man muss ihn kritisieren, um ihn zu erhalten; und man muss genau hinhören, um die Absichten jener zu erkennen, die, wie der FPÖ-Nationalratsabgeordnete Hannes Amesbauer, die sachlichen Ausführungen von Florian Klenk so kommentierten: „Von mir gibt es die ,ewige Ächtung‘ dieser Widerlinge, völlig unabhängig von der Rechtslage.“

Das führt auf sehr schwieriges Terrain: die Rechtslage zu kritisieren ist legitim. Das deutlich hörbare Verlangen nach Privatjustiz hingegen nicht. In den ostentativen Ausführungen des Herbert Kickl im Interview bei Armin Wolf wurde klar, hier will sich einer das Recht so einrichten, dass es nicht für alle, sondern nur für ihn und die Seinen gilt und nur so, wie er es will. Wenn Menschen, die versuchen, zivilen Fortschritt zu verteidigen, wegen angeblich mangelnder Empathie mit den Opfern und wegen angeblich überschießender Empathie mit den Tätern verleumdet werden, ist die politische Absicht mit Händen zu greifen.

Leider kommt diese Absicht auch bei Linken vor. Sie ist etwa so glaubwürdig, wie wenn der Proletenverächter Christian Ortner dem Autor einer literarischen Beobachtung menschenverachtende Proletenfeindlichkeit vorwirft. Sachliches Zeitalter? Ich hole die Gesinnungspolizei!

Im Übrigen bin ich der Meinung, die Regierung muss die Wiener Zeitung retten.

Distance, hands, masks, be considerate! Ihr Armin Thurnher

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