Elegie auf Ulrich Weinzierl

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 916

Armin Thurnher
am 17.01.2023

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Elegie auf Ulrich Weinzierl

Foto: Zsolnay

Nicht, bitte, Ulrich Weinzierl auch noch. Ja, doch, würd’ er lächeln,

Glaub’n S’, ich krieg eine Ausnahmeregel? Ausnahme war er

in unsrer Publizistik nicht nur, weil im Ausland tätig vor

allem, im Großfeuilleton, dessen Nennung die Augenbraue ihm

hob nach oben, aber nur leicht, denn Großpublizieren ist

längst aus der Welt, für die er auch schrieb, wie fürs Allgemeine aus

Frankfurt. Die Welt war vergleichsweise noch in Ordnung als er sie be-

lieferte. Nichts jedoch bleibt in der Welt wie es war. Es scheint, als

hätte mit Alfred dem Großen, mit Polgar, er träumerisch sicher das

Vorbild gefunden am Anfang; es war eine Diss bei Schmidt-Dengler und

wurde ein Buch, das er zweimal geschrieben. Seit ich es las, war ich

Fan. Die meisten, schrieb er, seien freundlich gewesen zu

diesem Buch; nur eine Stimme habe behauptet, ’s wär

schade, dass der Autor trotz langer Befassung mit Polgar nicht

wenigstens habe schreiben gelernt. „Die gewichtige Stimme war

meine“, fügte er trocken hinzu. Das war meisterlich, muss man

sagen. Er hat es dennoch vermieden, ihm Konkurrenz zu

machen. Doch „nicht einmal mir war vergönnt,“ schrieb er, „überall unrecht zu

haben.“ Polgars Freunde, Weinzierl zugeneigte,

gaben ihm Einsicht in Dokumente und Fakten, die Polgars

Leben in neuem Licht uns zeigten; Gefährdung der Würde,

Abhängigkeit von Mäzenen, und nach dem Exil, bei der Heimkehr: „mehr

Nazis als Einwohner“. Heimat ist nirgends zu haben, und Würde ist

meistens in fremder Hand. Mit Witz und mit Eleganz kann man

Haltung bewahren, vortäuschen, spielen; innen bleibt’s anders.

Wenig kannt’ ich dich, Weinzierl. Dies „Du“ erlaube ich mir post

mortem, im Leben war es nicht denkbar. Nicht nur ich las dein

Polgar-Biografie auch als dein Bekenntnis. Am wohlsten fühle er

sich in Wien als Displaced Person, und schösse, hierher ver-

pflanzt, wohl kaum in den Saft (die Metapher, die biologische

bitte er zu entschuldigen), sagte Polgar; da schmunzelten

beide Autoren. Über Hofmannsthal hast du geschrieben,

über Zweig, für diesen ein wenig peinlich, aber

nie ohne Takt. Doch Alfred Polgar war Liebe in einzig

möglicher Form, nämlich unerfüllbar. Die Akademie für

Sprache und Dichtung, die Deutsche, nie hat sie auf ihn genommen,

stiftete einen Preis für die kleine Form in Polgars

Namen, verlieh ihn aber nie; eine letzte Pointe in

deinem Buch. Du wärest naturgemäß der verdienteste

Preisträger selbst gewesen, aber die schönsten Preise sind

oft genug die, die man niemals bekommt. Ich mutmaße so vor mich

hin und denke der Jour Fixe bei Zsolnay, wo einen stets ein

Aperçu begrüßte aus Weinzierls Mund, liebevoll

spöttisch am Rand des Buffets, wie sich’s an solchen Abenden

ziemt. Man merkte die Kraft kaum, der er bedurfte, die große

Melancholie zu bezwingen, nein, nicht zu bezwingen, zum swingen zu

bringen, beschwingte Trauer, als Witz kaum verschleiert und doch nur

so zu ertragen. Besuchen Sie mich doch einmal, mit Foto

aus den Voralpen, leider auf der anderen Seite von

Wien. Ich hab einen Hund, einen Rauhaardackel. Ich spürte ein

tiefes Alleinsein, ja, die Verzweiflung. Besuch hatt’ ich

vor, doch mein Weg zur Hölle ist noch nicht zu Ende gegangen.


Ulrich Weinzierl, elegant resignierender Denker, im

Schreiben und Leben Stilist, und fand wie sein großer Schatten

nie in der Fremde die Heimat, und blieb in dieser ein Fremder;

wenig nachgerufen im Inland, wie sich’s gehört für

einen, der eine Leerstelle hielt, jene des Wiener

Bürgertums, einer imaginären Größe; und jene der

Schreiber, die’s können, wie’s nur in Wien den Großen gegeben:

Geistreich und witzig, mit Musilnamen, krass unterschätzt; ja

jetzt bist auch du von uns gegangen, unbesucht, doch nicht

ohne letzte Verneigung in Wehmut. Adieu, großer Ulrich!


Distance, hands, masks, be considerate! Ihr Armin Thurnher

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