
ARMIN THURNHER —
17.01.2023
Elegie auf Ulrich Weinzierl
Nicht, bitte, Ulrich Weinzierl auch noch. Ja, doch, würd’ er lächeln,
Glaub’n S’, ich krieg eine Ausnahmeregel? Ausnahme war er
in unsrer Publizistik nicht nur, weil im Ausland tätig vor
allem, im Großfeuilleton, dessen Nennung die Augenbraue ihm
hob nach oben, aber nur leicht, denn Großpublizieren ist
längst aus der Welt, für die er auch schrieb, wie fürs Allgemeine aus
Frankfurt. Die Welt war vergleichsweise noch in Ordnung als er sie be-
lieferte. Nichts jedoch bleibt in der Welt wie es war. Es scheint, als
hätte mit Alfred dem Großen, mit Polgar, er träumerisch sicher das
Vorbild gefunden am Anfang; es war eine Diss bei Schmidt-Dengler und
wurde ein Buch, das er zweimal geschrieben. Seit ich es las, war ich
Fan. Die meisten, schrieb er, seien freundlich gewesen zu
diesem Buch; nur eine Stimme habe behauptet, ’s wär
schade, dass der Autor trotz langer Befassung mit Polgar nicht
wenigstens habe schreiben gelernt. „Die gewichtige Stimme war
meine“, fügte er trocken hinzu. Das war meisterlich, muss man
sagen. Er hat es dennoch vermieden, ihm Konkurrenz zu
machen. Doch „nicht einmal mir war vergönnt,“ schrieb er, „überall unrecht zu
haben.“ Polgars Freunde, Weinzierl zugeneigte,
gaben ihm Einsicht in Dokumente und Fakten, die Polgars
Leben in neuem Licht uns zeigten; Gefährdung der Würde,
Abhängigkeit von Mäzenen, und nach dem Exil, bei der Heimkehr: „mehr
Nazis als Einwohner“. Heimat ist nirgends zu haben, und Würde ist
meistens in fremder Hand. Mit Witz und mit Eleganz kann man
Haltung bewahren, vortäuschen, spielen; innen bleibt’s anders.
Wenig kannt’ ich dich, Weinzierl. Dies „Du“ erlaube ich mir post
mortem, im Leben war es nicht denkbar. Nicht nur ich las dein
Polgar-Biografie auch als dein Bekenntnis. Am wohlsten fühle er
sich in Wien als Displaced Person, und schösse, hierher ver-
pflanzt, wohl kaum in den Saft (die Metapher, die biologische
bitte er zu entschuldigen), sagte Polgar; da schmunzelten
beide Autoren. Über Hofmannsthal hast du geschrieben,
über Zweig, für diesen ein wenig peinlich, aber
nie ohne Takt. Doch Alfred Polgar war Liebe in einzig
möglicher Form, nämlich unerfüllbar. Die Akademie für
Sprache und Dichtung, die Deutsche, nie hat sie auf ihn genommen,
stiftete einen Preis für die kleine Form in Polgars
Namen, verlieh ihn aber nie; eine letzte Pointe in
deinem Buch. Du wärest naturgemäß der verdienteste
Preisträger selbst gewesen, aber die schönsten Preise sind
oft genug die, die man niemals bekommt. Ich mutmaße so vor mich
hin und denke der Jour Fixe bei Zsolnay, wo einen stets ein
Aperçu begrüßte aus Weinzierls Mund, liebevoll
spöttisch am Rand des Buffets, wie sich’s an solchen Abenden
ziemt. Man merkte die Kraft kaum, der er bedurfte, die große
Melancholie zu bezwingen, nein, nicht zu bezwingen, zum swingen zu
bringen, beschwingte Trauer, als Witz kaum verschleiert und doch nur
so zu ertragen. Besuchen Sie mich doch einmal, mit Foto
aus den Voralpen, leider auf der anderen Seite von
Wien. Ich hab einen Hund, einen Rauhaardackel. Ich spürte ein
tiefes Alleinsein, ja, die Verzweiflung. Besuch hatt’ ich
vor, doch mein Weg zur Hölle ist noch nicht zu Ende gegangen.
♣
Ulrich Weinzierl, elegant resignierender Denker, im
Schreiben und Leben Stilist, und fand wie sein großer Schatten
nie in der Fremde die Heimat, und blieb in dieser ein Fremder;
wenig nachgerufen im Inland, wie sich’s gehört für
einen, der eine Leerstelle hielt, jene des Wiener
Bürgertums, einer imaginären Größe; und jene der
Schreiber, die’s können, wie’s nur in Wien den Großen gegeben:
Geistreich und witzig, mit Musilnamen, krass unterschätzt; ja
jetzt bist auch du von uns gegangen, unbesucht, doch nicht
ohne letzte Verneigung in Wehmut. Adieu, großer Ulrich!
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Distance, hands, masks, be considerate! Ihr Armin Thurnher
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