Der Parlamentarismus ist tot. Der Totengräber hält die Festrede.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 913

Armin Thurnher
am 13.01.2023

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Die Leiche Parlamentarismus ist geschmückt. Herrlich wurde sie aufgemascherlt, Hyperarchitekt Sobotka hat unsere Kosten nicht gescheut und sich in aller hochrangiger Bescheidenheit so in Szene gesetzt, dass wir staunend in Proskynese verfallen. Dafür gebührt ihm mit großem Respekt ein herzliches, hochrangiges Dankeschön.

Barrierefreiheit, ein Rednerpult auf Augenhöhe mit der Regierung, wunderbar. Dem Denkmalschutz ist Genüge getan, die Restaurants sind prächtig, die Küchenchefs mit Bedacht ausgesucht, ich bin rundum zufrieden. Die Architektur schafft neue Bedingungen, die Volksvertreter werden ihr so folgen wie das Volk in öffentlichen Parks, das sich stur an die Vorgaben der Planenden hält und jede Abkürzung durch den Rasen stolz verschmäht.

Der Parlamentarismus ist tot, und einer der Totengräber hält die Festrede. Ich habe noch die Kritik des Abgeordneten Alfred J. Noll im Ohr, mehrfach vorgetragen und so wirkungslos wie ein Appell von mir, Doron Rabinovici oder Elfriede Jelinek in Sachen Wiener Zeitung: das Parlament existiert nicht mehr. Das Herzstück unserer Demokratie ist ein Erfüllungsgehilfe der Regierung. Exekutivdemokratie heißt das unschöne Stichwort. Die Verachtung der Regierung Kurz für den Parlamentarismus drückte sich vielfältig aus, Gesetzesvorlagen in letzter Sekunde, Handywischen, Sockentragen, Frau Köstinger als Platzhalterin auf dem Posten der Präsidentin, schließlich die Provokation Sobotka.

Barbara Prammer, ihrer sei gedacht, hat die Renovierung initiiert. Wir unternehmen also per TV-übertragenem Festakt einen Ausflug in das Herzstück unserer Demokratie, durch das wichtigste Gebäude unserer Demokratie undsoweiter. Ressortiert Verlogenheit neuerdings zum Denkmalamt? An ihr darf kein Jota geändert werden, sonst sind wir es nicht.

Schon wieder hat jemand Geld in die Hand genommen. Wer täte das lieber als unsere Regierungsmitglieder, die uns ständig stolz erläutern, wieviel Geld sie doch wofür in die Hand nehmen, sodass sich beim unbeleckten Maxi eine gewisse Gleichsetzung einstellt, dass Politik und Geld in die Hand nehmen das Gleiche bedeutet; was dann mit dem Geld geschieht und in welche Hände es wechselt, darüber stellt Maxi ebenso seine Vermutungen an wie darüber, wer in der Exekutivdemokratie das Sagen hat. Spoiler: Das Herzstück ist es nicht.

Hören Sie nun gleich die Rede des Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka. Er hat einen neuen Ton gefunden, pfäffisch con moto würde ich ihn nennen, wir sind wieder daheim, das Hohe Haus hat uns wieder. Gefährlicher klang selten eine Drohung. Besonderer Anlass zur Freude. Anlass zu einer neuen Ära. Ist unsere Demokratie perfekt? Nein, aber sie ist alternativlos.

Ja, so reden sie seit Maggie Thatcher, aber natürlich ist die Demokratie eben nicht alternativlos, die ganze Welt ist voller Gegenbeispiele. So überspielt einer nonchalant die Gefahr, die er selbst durch sein Tun verschärft, und dessen mit einem Festakt und ein paar baulichen Maßnahmen niemand Herr werden wird. Kein Raum kann ein politisches Bewusstsein gestalten. Aber auf die Idee, nach der ästhetischen Repräsentanz von Demokratie zu fragen, kam sowieso niemand. Es hagelte nur Phrasen von Respekt.

Respektvoller Austausch auf Augenhöhe, er sagt es tatsächlich.

Respekt, man muss es vielleicht an dieser Stelle sagen, leitet sich weder von Speck noch von Sekt ab. Wolfgang Sobotka versucht, ein Wort zu zerstören, indem er es zerkaut wie Bubblegum. Und in einem Festakt, der jedes Anzeichen von Modernität draußen hielt und so phantasievoll war wie die Einweihung der Automatenecke in einem Landgasthaus, sollte vergessen gemacht werden, wie sehr die Demokratie von den Demokratie-Salbadernden bereits am Herzen beschädigt wurde.

Doris Bures immerhin sprach das Wort aus: Hybris derer, die der Demokratie Schaden brachten. Und: Haus des Volkes. Sie und der fast frei sprechende Norbert Hofer wirkten, verglichen mit Sobotka, wie Giganten der politischen Vernunft und der Menschlichkeit. Wolfgang Schäubles zitatengespickte Überlegungen zu Repräsentation zielten auf die nötigen Räume für gesellschaftliche Kommunikation, und, irgendwie rührend im Gleichklang, auf Toleranz für Mehrheitspositionen, vor allem im Sinn der regierenden ÖVP. Dafür setzte es Applaus. Die gesellschaftliche Kommunikation ressortiert hierzulande sowieso zum Herrn Fleischmann. Für peinliche Anbiederungen hingegen ist Herrn Sobotka zuständig, wie er Herrn Schäuble bei offenem Mikrophon bewies: „War mir eine Ehre,“ samt Pranke auf den Unterarm. Schäuble versuchte pikiert wegzusehen.

Frau Rendi-Wagner und Frau Meinl-Reisinger unterbrachen beim Gespräch der Klubobleute wenigstens zart das allgemeine Selbstbezichtigungs- und Harmoniegesäusel. „Vermehrt aufeinander zuzugehen“, kündigte A. Wöginger an (mir reichat der Gust scho unvermehrt). Ein Hauch von ORF-Hinsichtl-Rücksichtelei durchsäuselte den Festakt. Wollt ihr wissen, wie man das Volk vertreibt? Hier konntet ihr es lernen, so ihr denn zugeschaut habt.

Mein Herz ist schwer. Das neue Parlament ist schön, das Besucherzentrum gewiss glänzend. Hier schlägt das Herz der Demokratie; ja, es schlägt, aber es zuckt, weil es vom Phrasenprügel geschlagen und von der Regierung getreten wird. Wohlan, wir müssen alles tun, damit das Vertrauen in die Demokratie gestärkt wird. Nur haben wir – unsere Repräsentanten machen es vor – leider keine Ahnung, wie. Singen wir gemeinsam ein volkstümliches Lied, pfeifen wir es im Dunkeln auf dem Nachhauseweg, aber bringen wir zuerst unsere Schäfchen ins Trockene. Den anderen bleibt immer noch das Dunkel. Im Übrigen bin ich der Meinung, die Regierung muss die Wiener Zeitung retten.


Distance, hands, masks, be considerate! Ihr Armin Thurnher

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