Politische Hoffnung durch Poesie? Merkt euch Hakeem!

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 912

Armin Thurnher
am 12.01.2023

Abonnieren Sie Armin Thurnhers Seuchenkolumne:

Als sie meinen gestrigen Text las, sagte meine Frau, pass auf mit dem Zeug, du darfst dich dem nicht zu sehr aussetzen, das macht bitter. Leicht gesagt, wenn man sich mit politischer Sprache plagt, die ja keine Sprache mehr ist, sondern bloß hinterlistige Repetition von irgendwas im Hintergrund und im Hinterkopf Abschnurrendem.

Ich hätte antworten können, ich arbeite ja an meinen Nachrufen, also nicht an denen auf mich (eine Elegie auf mich habe ich schon einmal geschrieben, darf hier aber anmerken, dass mein heuriges Skifahren deutlich besser ausging als jenes im letzten Jahr, Gott weiß warum. Ich ging ja nur Skifahren, weil Tochter und Enkelin zu Besuch waren, der ersten hatte ich einst selbst das Skifahren beigebracht, und es waren noch Spuren des Gelernten zu erkennen; die zweite wollte Snowboarden, naturgemäß, wofür ich sie an die Skischule verwies, aber das ist eine andere Geschichte).

Wollte nur sagen, es wird nicht immer alles schlechter, und ehe ich noch eine der skizzierten Hexameter-Hammer-Nänien hierher wuchten, oder vielleicht einen Nachruf auf Charles Simic schreiben konnte, höchst dringlich, da auch dieser Dichter zu den hierzulande mit ein paar Zeilen abgespeisten Abgetretenen zählt, fiel mir ein Kommentar der Washington Post zu, und der Tag war gerettet.


Hakeem Jeffries Foto: Wikipedia

Hakeem Jeffries, diesen Namen werde ich mir merken. Mr. Jeffries ist Nachfolger von Nancy Pelosi und führt die Demokratische Fraktion im US-amerikanischen Repräsentantenhaus. Leider nicht mehr als Mehrheits-, sondern als Minderheitsführer, was im jämmerlichen Theater um die 15 Wahlgänge unterging, welche die Republikaner brauchten, um den Mehrheitssprecher Kevin McCarthy endgültig zur Trump-Marionette zu entstellen.

Mister Jeffries aber ist ein politischer Redner, und nicht nur das. Er ist ein politischer Poet. Frei, ohne Manuskript und ohne Teleprompter sagte er zum Auftakt seiner Tätigkeit im Kongress folgendes:

„We will never compromise our principles. House Democrats will always put American values over autocracy. Benevolence over bigotry. The Constitution over the cult. Democracy over demagogues. Economic opportunity over extremism. Freedom over fascism. Governing over gaslighting. Hopefulness over hatred. Inclusion over isolation. Justice over judicial overreach. Knowledge over kangaroo courts. Liberty over limitation. Maturity over Mar-a-Lago. Normalcy over negativity. Opportunity over obstruction. People over politics. Quality-of-life issues over QAnon. Reason over racism. Substance over slander. Triumph over tyranny. Understanding over ugliness. Voting rights over voter suppression. Working families over the well connected. Xenial [hospitality] over xenophobia. ‘Yes, we can’ over ‘you can’t do it,’ and zealous representation over zero-sum confrontation.“

Binnen kurzem war dieses Stück glänzender politisch-poetischer Rhetorik unter dem Titel „Alphabet Speech“ bekannt. Er habe mit der Konsequenz eine Predigers und dem gelehrten Vokabular eines Professors gesprochen, zugleich zeitgenössisch und hochgesinnt, witzig und gescheit, schrieb die ob dieses Wunders gänzlich in Andachtsstarre verfallene Kommentatorin der Washington Post.

Dass Hakeem Jeffries in der Tat gut war, merkt man, wenn man das beste erhältliche Übersetzungsprogramm bemüht, DeeplPro, das aber an den Stabreimen des Demokraten scheiterte und hier stillschweigend verbessert wurde (ein paar Alliterationen hat es doch geschafft):

„Wir werden niemals Kompromisse bei unseren Prinzipien eingehen. Die Demokraten im Repräsentantenhaus werden immer die amerikanischen Werte über die Autokratie stellen. Wohltätigkeit über Bigotterie. Die Verfassung über den Kult. Demokratie über Demagogen. Wirtschaftliche Chancen über Extremismus. Freiheit über Faschismus. Regieren statt Gaslighting. Hoffnung statt Hass. Eingliederung statt Isolation. Gerechtigkeit statt Übervorteilung durch die Justiz. Wissen statt Willkürgerichte. Freiheit statt Beschränkung. Reife statt Mar-a-Lago. Normalität statt Negativität. Chance statt Obstruktion. Menschen über Politik. Lebensqualitätsfragen über QAnon. Vernunft über Rassismus. Substanz über Verleumdung. Triumph über Tyrannei. Verstehen statt Hässlichkeit. Wahlrecht statt Wählerunterdrückung. Arbeiterfamilien über die Wohlhabenden. Xenialität [Gastfreundschaft] über Fremdenfeindlichkeit. „Ja, wir können“ statt „Ihr könnt das nicht“, und eifrige Volksvertretung statt Nullsummenkonfrontation.“

Mein Gott, wie anders könnten politische Reden klingen, würde man die Christian Deutsch und Gerhard Fleischmann, die Herbert Kickl und wie sie alle heißen zum Teufel jagen, zum rhetorischen Teufel nur, versteht sich, und würden Mandatarinnen und Mandatare wieder anfangen, reden zu lernen!


Mit der Disziplin der Rhetorik begann die Ausbildung dessen, was wir abendländisches Wissen nennen, aber zugleich wurde in ihr auch der Keim des bloß überreden wollenden Geschwätzes gelegt, das zuletzt als verlogene Message Control alles zugrunde richtet. Leute wie Hakeem Jeffries, ein 52 Jahre alter aus Brooklyn stammender ausgebildeter Jurist und Politikwissenschaftler, Afroamerikaner und nicht Muslim sondern Baptist, bibelfest und schlagfertig, da und dort bereits zum neuen Obama ernannt, zeigen uns, dass vielleicht doch nicht alles verloren ist. Rapper Nas hat die Rede mit Musik unterlegt, wenn Sie sie sich anhören möchten. Yo. Im Übrigen bin ich der Meinung, die Regierung muss die Wiener Zeitung retten.


Distance, hands, masks, be considerate! Ihr Armin Thurnher

Abonnieren Sie Armin Thurnhers Seuchenkolumne:

Weitere Ausgaben:
Alle Ausgaben der Seuchenkolumne finden Sie in der Übersicht.

12 Wochen FALTER um 2,50 € pro Ausgabe
Kritischer und unabhängiger Journalismus kostet Geld. Unterstützen Sie uns mit einem Abonnement!