Die #Covid-Superwelle kommt wahrscheinlich nicht. Über RSV, Grippe und Volksaberglauben, betreffend das Immunsystem

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 907

Armin Thurnher
am 24.12.2022

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Die Seuchen lassen einem keine Ruhe. Derzeit sind es RSV- und Grippeviren, die uns krankmachen. Ein großer Hort des Aberglaubens ist das Immunsystem, erklärt Epidemiologe Robert Zangerle. Man kann es nicht trainieren, etwa durch Schwimmen in kaltem Wasser. Aber gewisse Dinge können es schwächen, etwa mangelnder Schlaf. Die am Ende dieser Kolumne empfohlenen Mittel empfehlen sich auch weiterhin. A. T.

 »Die Datenerfassung von Dänemark ist auch beim Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV) eindrucksvoll. Jede in den Laboren aller mikrobiologischen Abteilungen des Landes bestätigte RSV Infektion wird genauso vom Statens Serum Institut (SSI) in Kopenhagen gesammelt, wie auch die gesamte Zahl der Tests auf RSV (molekularbiologische Test, im Prinzip PCR). Darüber hinaus führt das SSI unter der Schirmherrschaft des Nationalen Influenza-Zentrums der WHO die Typisierung und Subtypisierung von RS-Viren durch. Deshalb verwundert es nicht, dass zum Zeitpunkt des Maximums in Dänemark fast dreimal so viele RSV-Fälle erfasst werden wie in Österreich nahe am Maximalwert, obwohl Dänemark nur etwa zwei Drittel der Bevölkerung Österreichs zählt. Ähnlich wie in Österreich starte die RSV-Welle 2022 einige Wochen später als 2021.

Was ich aber besonders beeindruckend fand, war eine Risikobewertung vom 10. November 2022 durch das SSI mit Daten bis zum 3. November (= 4 Tage nach Woche 43), um die Gesundheitsfolgen durch RSV für den gesamten kommenden Winter abzuschätzen. Die folgenden Sätze daraus imponieren genauso wie die Feststellungen zum jetzigen Zeitpunkt. Ab der 32. Woche dieses Jahres wurde in Dänemark ein Anstieg der RSV-Fälle außerhalb der normalen Saison festgestellt. Die Erhöhung erfolgte beschleunigt ab Woche 37. Vor diesem Hintergrund hat das dänische Seruminstitut (SSI) eine Risikobewertung für den aktuellen RS-Virus-Ausbruch in Dänemark vorgenommen: Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird RSV auch in den kommenden Wochen/Monaten bei Kindern unter 6 Monaten sehr stark zirkulieren. Die Wahrscheinlichkeit der Verbreitung bei Kindern im Alter von 6-24 Monaten wird als mäßig bewertet, während die Verbreitung in anderen Altersgruppen als gering eingeschätzt wird. Gleichzeitig geht das SSI davon aus, dass die derzeitige RSV-Infektion in den kommenden Wochen abklingen wird. Anmerkung: das passierte dann auch tatsächlich in Woche 45. Die Epidemie wird durch den Virustyp RSV-B verursacht, und es wird nicht erwartet, dass in den kommenden Wintermonaten eine zeitlich getrennte Welle von RSV-A-Infektionen zustande kommt. Es gibt keine Hinweise darauf, dass die momentan zirkulierenden Virustypen schwerere Erkrankungen als üblich verursachen.

Es sind vor allem die jüngsten Kinder unter 6 Monaten, die aufgrund einer RS-Virusinfektion ins Krankenhaus eingeliefert werden, Auswirkungen in dieser Gruppe werden als massiv eingestuft. Die Auswirkungen für Kinder im Alter von 6-24 Monaten werden als mäßig-hoch, für die Gruppe der 2-64-Jährigen als niedrig und für Personen ab 65 Jahren als mäßig bewertet. In den älteren Altersgruppen werden viele Tests durchgeführt, aber es werden nur relativ wenige RSV-Fälle entdeckt, und die Häufigkeit von Krankenhausaufenthalten ist gering.

Die RSV-Inzidenz ist in der aktuellen Saison in den Altersgruppen 0-3 Jahre höher als in den vergangenen Saisonen, mit Ausnahme der RSV-Saison 2021/2022, die im Spätsommer/Frühherbst stattfand. Das Gleiche gilt für RSV-bedingte Häufigkeit von Krankenhausaufenthalten, siehe nächste Abbildung aus der Vorausschau vom 10. November. Es ist davon auszugehen, dass die Krankenhausaufenthalte 2022 noch bis zu den Werten von 2021 steigen (Zahlen waren für die Seuchenkolumne nicht zugänglich).

Im Rahmen nationaler und internationaler Überwachung der Influenzaviren werden zunehmend andere Atemwegsviren miterfasst, deren Schwerpunkt auf den Influenzaviren, sowie auf SARS-CoV-2 und RSV liegt. So hat z.B. das Robert Koch-Institut seit mehreren Jahren weitere wichtige Informationsquellen wie klinische und virologische Sentinel-Systeme, deren Proben und Daten im Nationalen Referenzzentrum (NRZ) für Influenza  analysiert werden. Bei geringem Aufkommen an Abstrichen sind relativ große Schwankungen der Positivitätsrate möglich. Beträgt die Anzahl der Proben 10 oder weniger, so wird die Positivitätsrate nicht dargestellt.

Alle Patientenproben werden im Rahmen des Sentinels im NRZ mit PCR neben Influenza auch auf weitere respiratorische Viren untersucht. In der folgenden Abbildung findet man links die Anzahl der Virusnachweise nach Erreger und Woche, das rechte Diagramm zeigt den Anteil der Sentinelproben mit Erregernachweis (Positivitätsrate, rechte y-Achse) sowie die Anzahl der an das NRZ eingesandten Sentinelproben (linke y-Achse).

Dem NRZ für Influenzaviren wurden in der 50. Kalenderwoche 2022 insgesamt 332 Sentinelproben von 79 Arztpraxen aus allen Regionen zugesandt. In insgesamt 272 (82 %) der 332 Proben wurden respiratorische Viren identifiziert. Es gab eine Dreifachinfektion und 32 Doppelinfektionen.

Und in Österreich? In der Kalenderwoche 50 sieht man fast gleichlautende Ergebnisse, was den Anteil positiver Proben auf Influenza und RSV ausmacht, beim NRZ waren es 55% und in der Österreichischen Referenzzentrale (DINÖ) waren es 59% bei Influenza. Dieser Wert ist nicht außergewöhnlich hoch, auf dem Höhepunkt der Grippesaisonen der letzten 10 Jahre lag der Wert immer wieder einmal so hoch, zuletzt 2017/2018. Allerdings gibt es einen entscheidenden Unterschied: Solche hohe Werte werden üblicherweise im Februar erzielt. Noch ist die Grippewelle nicht auf dem Höhepunkt angelangt.

Eine frühe und starke Grippewelle wurde ganz allgemein erwartet. Erfahrungen in Australien auf der Südhalbkugel und die Tatsache, dass man durchschnittlich etwa alle 5 Jahre eine Grippe aufklaubt und dass dazu jetzt nochmals 30% dazu kommen, weil eine Grippesaison vollständig (2020/2021) und eine weitgehend (2021/2022) ausgefallen ist, stützen diese Erwartung. Die Grippewelle wird sicherlich noch einige Wochen andauern. Aber wie groß sie wird und wie lange sie dauert bleibt unklar. Virologe Stephan Aberle von der MedUni Wien: „Wir können noch nicht sagen wie stark das Grippejahr werde“.  Wenn die Grippe früher beginnt, geht sie üblicherweise auch früher zu Ende, so wie es derzeit in einigen Regionen der USA der Fall zu sein scheint. Eine zweite große Welle im Verlauf des übrigen Winters ist dann jedoch nicht zu erwarten, so wie es für RSV in Dänemark weiter oben diskutiert wurde.

Die Positivitätsrate bei RSV lag in beiden Ländern zuletzt um 15%. Fünf Prozent der Proben im NRZ des Robert Koch-Instituts waren SARS-CoV-2 positiv; das DINÖ macht keine Angabe dazu.  In der folgenden Abbildung ist die Gesamtanzahl der Influenzavirusinfektionen aller Meldelabore dargestellt; schon eindrucksvoll was für Zahlen das DINÖ im Vergleich zum NRZ liefert, allein die Virologie MedUni Wien typisiert gleich viele Viren wie das NRZ.

Die Schätzung der Anzahl an Erkrankungen durch Influenza-ähnliche Erkrankungen (Influenza-like-Illness – ILI) erfolgt durch die Referenzzentrale für Influenza-Epidemiologie der AGES  wöchentlich, basierend auf den Daten der Grippe-Informationssysteme des Magistrats 15 der Stadt Wien  und der Abt. 7 der Stadt Graz, sowie des Grippe-Überwachungssystems aus dem Großraum Innsbruck. Für ganz Österreich errechnete die AGES zuletzt eine Inzidenz von 4.338 derartigen Infekten pro 100.000 Einwohner – damit hat es in etwa jeden bzw. jede Dreiundzwanzigste erwischt. Sarkastischerweise ist man fast enttäuscht, sind doch fast alle krank (außer mir natürlich). Aber die Schätzung dürfte ein wenig zu tief liegen, eher sind fast 10% der Bevölkerung krank. Die Krankenstände in Oberösterreich durch akute Atemwegsinfektionen sind in den letzten beiden Wochen so hoch wie die Krankenstände am Gipfelpunkt der letzten Covid Welle Anfang Oktober.

Sie haben Husten und vermuten Covid? Wenn Sie keine direkten Hinweise auf die Ansteckungswege haben, dann ist diese Diagnose aber sehr unwahrscheinlich. Infektionen mit der Omikron Variante führen in etwa der Hälfte der Fälle zu Husten und obendrein ist die Grippe viel häufiger, obwohl Covid leicht steigt.

Das am stärksten diagnostische Einzelsymptom für Covid? Das wäre Fieber, und es ist immer noch nicht sehr eindeutig. Andere Atemwegserreger als SARS-CoV-2 wären immer noch wahrscheinlicher. Präzise Diagnostik ist schwierig, besonders bei Kindern. Die können Flöhe und Läuse haben, Erwachsene Flöhe oder Läuse (Zweitinfektionen, siehe oben).

Bei den Grippeviren ist es der dominierende Subtyp Influenza A mit der Sublinie (H3N2), der etwa 95% der aktuellen Grippeviren ausmacht. Seit dem Ausbruch der Covid Pandemie wurde die weltweite Zirkulation von Grippeviren durch Maßnahmen des öffentlichen Gesundheitswesens und Reisebeschränkungen stark unterdrückt. Insbesondere die Influenza-B/Yamagata-Linie wurde seit April 2020 nicht mehr eindeutig nachgewiesen, und A(H3N2), A(H1N1) und B/Victoria-Viren zirkulieren seitdem mit deutlich geringerer genetischer Vielfalt.

Reisebeschränkungen haben regionale Ausbrüche von A(H3N2) weitgehend auf Süd- und Südostasien, B/Victoria auf China und A(H1N1) auf Westafrika beschränkt, die wahrscheinlich den Keim für künftige Epidemien liefern werden. Die schwindende Immunität der Bevölkerung und die sporadische Entdeckung von Fällen werden die Auswahl von Influenza-Impfstämmen und die Kontrolle von Epidemien weiter erschweren. Für die jetzige Welle scheint die Auswahl aber gut getroffen worden zu sein, wie Laboruntersuchungen zeigten (klinische Daten sind natürlich noch ausständig).

Im Allgemeinen wirken die aktuellen Grippeimpfstoffe besser gegen Influenza-B- und Influenza-A(H1N1)-Viren und bieten weniger Schutz gegen Influenza-A(H3N2)-Viren. Der Abstand von der Grippeimpfung bis zur aktuellen Welle ist dieses Mal so kurz, dass eine 60% Wirksamkeit gegenüber Grippesymptomen durch Exposition mit einem H3N2 Grippevirus möglich erscheinen. Was, Sie sind noch nicht geimpft?  Für den Schutz zu den ersten Feiertagen ist es jetzt zu spät, aber es lohnt sich dennoch! Der Schutz baut sich innerhalb der nächsten Woche bis zehn Tage auf.

Die Bereitschaft, sich gegen Grippe impfen zu lassen ist durch die Pandemie nur vorübergehend gestiegen. Auch das Gesundheitspersonal hält das zu großen Teilen für nicht notwendig. Obwohl die Impfungen beim Personal in Pflegeeinrichtungen wichtiger wären als die Grippeimpfungen bei den Bewohnern. Die haben oft eine reduzierte Immunantwort, und wenn dann noch 3 Monate von Impfung bis zur Exposition vergehen ist die Effizienz der Impfung dahin, verliert sie doch etwa 20% ihrer Wirkung pro Monat. Es war ganz schön frustrierend, was man sich da von Kollegen und Kolleginnen anhören musste, vor allem über die Tiroler Folklore „bäriger“ Methoden, das Immunsystem zu stärken. Das Immunsystem stärken?

Unserem öffentlich-rechtlichen Rundfunk zufolge gibt es drei Voraussetzungen für ein funktionierendes Immunsystem: viel Bewegung, ausreichend Schlaf und eine gesunde Ernährung. Über viel Bewegung und gesunde Ernährung will ich mich jetzt nicht auslassen, zu viel evidenzfreier Raum. Alles was man dazu sagen könnte, ist, dass vielen Informationen etwas von manisch-repressivem Geschwätz über Befindlichkeiten anhaftet. Mir ist z.B. das Risiko auch von Infektionserkrankungen durch Konsum von schädlichen Mengen von Alkohol in Kombination mit einer Fehlernährung sehr bewusst. Bewegung ist für den Schutz vor kardiovaskulären Komplikationen (Herzinfarkt, Schlaganfall) dermaßen wichtig, dass ich mir Flapsiges zu Bewegung & Immunsystem verbeiße. Es wird allgemein angenommen, dass schlechter Schlaf die Anfälligkeit für Erkältungen erhöht. Es gibt jedoch kaum direkte Beweise für diese Behauptung.

Es gibt zwei Studien, wo Probanden Nasentropfen, die Rhinoviren enthielten, verabreicht und auf die Entwicklung eines Schnupfens hin beobachtet wurden. Die Probanden mussten aktuell gesund sein, darüber hinaus wurden Schwangere und Personen mit einer HIV-Infektion ausgeschlossen. Eine der beiden Studien beschäftigte sich mit Schlaf in einer Sekundäranalyse, primär ging es um die Untersuchung der Hypothese, dass verschiedene Bindungen zu Freunden, Familie, Arbeit und Gemeinschaft mit einer erhöhten Infektionsresistenz des Wirtes verbunden sind. Die Autoren fanden, dass vielfältigere soziale Netzwerke mit einer größeren Widerstandsfähigkeit gegenüber Erkrankungen der oberen Atemwege in Verbindung gebracht werden können, aber schlechter Schlaf (ein einziger retrospektiven Fragebogen) konnte den Zusammenhang zwischen der Vielfalt sozialer Netzwerke und dem Auftreten von Erkältungen nur teilweise erklären.

Anstelle von retrospektiven Berichten enthielt die andere Studie tägliche Berichte der Befragten über Schlafdauer, -effizienz und das Gefühl, ausgeruht zu sein, über 14 aufeinanderfolgende Tage. Erst nach Abschluss der Schlafbeurteilungen wurden die Teilnehmer mit Nasentropfen einem Rhinovirus ausgesetzt und daraufhin beobachtet, ob sie eine klinische Erkrankung entwickelten. Die Infektion sowie die Krankheitsanzeichen und -symptome wurden am Vortag und 5 Tage lang nach der Virusinfektion untersucht. Das Resultat zeigte, dass schlechtere Schlafeffizienz und kürzere Schlafdauer in den Wochen vor der Exposition mit einem Rhinovirus mit einer geringeren Widerstandsfähigkeit gegenüber einer Infektion mit Rhinovirus verbunden war: Bei Personen, die weniger als 7 Stunden Schlaf pro Nacht haben, ist die Wahrscheinlichkeit, sich mit einem Rhinovirus zu infizieren, fast dreimal so hoch.

In einer prospektiven Studie hatten Frauen, die 5 Stunden oder weniger schliefen, über einen Zeitraum von 4 Jahren eine um 70 % höhere Wahrscheinlichkeit, eine Lungenentzündung zu entwickeln. Wenige Arbeiten beschäftigen sich mit der geschwächten Immunantwort auf Impfungen bei Personen mit schlechtem Schlaf oder Schlafmangel, z. B, gegen Hepatitis A  und Grippeimpfungen, hier und hier.

Eine Überblicksarbeit, die 104 Studien über gesundheitliche Aspekte des Winter- oder Eisschwimmens wertete, haben Forscher aus Norwegen, wo es eine große Bewegung für diese Art von Schwimmen gibt, veröffentlicht. Spoiler: man kann so Fett verbrennen, aber jeder weitere gesundheitliche Nutzen bleibt unklar. Nix Immunsystem stärken.

Viele werden jetzt krank, weil das Immungedächtnis für zahlreiche Erreger nicht mehr ganz aktuell ist. Aber zu behaupten, dass das Immunsystem geschwächt ist, weil wir weniger Infektionen durchgemacht haben, ist schlicht Unfug. Das Immunsystem wird täglich im Umgang mit Abermillionen Mikroben trainiert (Mikrobiom), denen wir ständig ausgesetzt sind. Auch der ständige Ansturm von Krankheitserregern wie einer Reihe von Herpesviren, die per definitionem lebenslang persistieren, „trainiert“ das Immunsystem. Jahrzehntelange Auseinandersetzung mit dem Herpesvirus Zytomegalovirus führt dazu, dass das Immunsystem mit zunehmendem Alter eher nicht mehr richtig funktioniert und erlahmt. Glaubt jemand ernsthaft, dass sie/er nach dreimaliger SARS-CoV-2 Infektion seit März 2020 jetzt besser gegen Influenza bestehen kann?

Dass das Tragen von Masken schädlich gewesen sei? Auf diesen Quatsch einzugehen, macht überhaupt keinen Sinn, aber schauen Sie sich die gestrige Kolumne an mit der Beschreibung der RSV-Wellen im maskentragenden Südkorea, Japan im Vergleich zum nicht-so-konsequent-maskentragenden Schweden.

Ein weiterer möglicher Grund für die heftige aktuelle Erkältungssaison wird oft diskutiert: Hat Covid unsere Immunabwehr geschädigt und damit anfälliger für andere Infektionen gemacht – so wie dies von den Masern bekannt ist? Die Häufigkeit der Tuberkulose wäre global der beste Indikator für eine durch Covid verursachte Schädigung des Immunsystems nach der Infektion. Etwa 1/3-1/4 der Weltbevölkerung (~2-3 Mrd. Menschen) ist latent mit Tuberkulose infiziert, wobei die latente Tuberkulose bei immungeschwächten Menschen in eine aktive Erkrankung übergeht. Die Inzidenz aktiver Tuberkulose ist aufgrund der Unterbrechung der Test- und Behandlungsprogramme gestiegen, was einen großen Rückschlag für die Tuberkulosebekämpfung darstellt. Der Anstieg der aktiven TB-Inzidenz bleibt jedoch moderat und stützt nicht die Hypothese der Immunschädigung durch Covid. Auch das vermehrte Auftreten von respiratorischen Viren wäre für die meisten Formen der Immunschwäche nicht charakteristisch. In immunologischen Studien wurden bei den allermeisten Patienten keine dauerhafte Schädigung festgestellt. Was auffällig bleibt, ist, bei einem Teil von Personen, die eine Infektion mit SARS-CoV-2 durchgemacht haben, eine auch nach 12 Monaten bestehende leicht erhöhte generelle Aktivierung der T-Zellen. Man kennt die Gründe dafür nicht, aber dass eine solche langanhaltende Aktivierung die Betroffenen anfälliger für andere Infekte macht, ist unwahrscheinlich.

Es hätte jetzt schlimmer kommen können, weil RSV-, Grippe und Covid-Wellen nicht gleichzeitig, sondern ein wenig gestaffelt daherkommen. Denn die von Vielen erwartete große Corona-Winterwelle lässt weiter auf sich warten. In den letzten beiden Jahren hatten wir zu dieser Jahreszeit noch nie eine so gute Covid Situation.

Aber es ist noch nicht vorbei, die nächste Corona-Welle kann jederzeit kommen, auch wenn das jetzt nicht das Wahrscheinlichste ist. So viel haben wir seit Omikron gelernt. Es ist nahezu unmöglich geworden, die Risiken für weitere Wellen einzuschätzen. Das hat nicht nur mit dem trickreichen SARS-CoV-2 zu tun, sondern auch mit der komplexen Immunität der Bevölkerung. Die Menschen sind entweder ein- bis mehrfach geimpft und/oder ebenso häufig infiziert gewesen, sodass die daraus erwachsene Immunität diverser kaum sein könnte. Außerdem lässt sich das Virus gerade nichts durchschlagend Neues mehr einfallen, weshalb keine gefährliche Corona-Wellen in unmittelbarer Sicht sind.

Die Abwasserdaten aus Tirol zeigen einen Rückgang des Anstieges, zum Jahresende könnte ein vorübergehender Maximalwert erreicht werden. Der langsame Anstieg bei Krankenhausaufenthalten durch Covid Patienten, von 827 belegten Normalpflegebetten am 21. November auf 1186 am 22. Dezember, entsprechend 43%, hält an. Hat das mit den betroffenen Altersgruppen zu tun?

Das Gesundheitssystem ist bereits unter Druck, das Personal, besonders in der Pflege ist ausgebrannt. An Corona liegt die Überlastung des Gesundheitssystems zurzeit aber nicht, sondern eher an strukturellen Problemen – und der frühen und starken Grippesaison. Die Strukturkrisen des Gesundheitssystems sind mannigfaltig. Sie alle korrekt zu beschreiben, ist dem Seuchenkolumnisten mehrere Schuhnummern zu groß. Jahrzehntelang wurden die nationalen Gesundheitssysteme Westeuropas als die besten der Welt gepriesen, und nun ist die Gesundheitsversorgung selbst dort in Gefahr. Eine alternde Bevölkerung, mehr chronisch Kranke, eine anhaltende Krise, Gesundheitspersonal auszubilden und im Beruf zu halten, sowie die Erschöpfung nach Covid haben in diesem Winter zu einem perfekten Gesundheitssturm geführt, der wahrscheinlich erst einmal schlimmer wird, bevor es besser werden kann. Spanien, Frankreich und Italien beutelt es besonders.

Solchen Kräften können die Spitalsoberen wenig entgegensetzen. Aber das folgende  hätten sie ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch weniger ressentimentgeladen mitteilen können als so: „Wir freuen uns Ihnen mitteilen zu können, dass wir der ab heute gültige Novelle der COVID-19-Basismaßnahmenverordnung natürlich sofort folgeleisten. Für alle Standorte der XY bedeutet das, dass die 3G-Regel ab sofort außer Kraft ist.“ Die Seuchenkolumne würde sich eher freuen, wenn diese Spitalsoberen natürlich sofort mehr Kompetenz in Sozialpsychologie zeigen täten.

Besondere Sorge bereiten derzeit die Kinderabteilungen und Kinderkliniken, weil anhaltende oder gar ansteigende Belastungen anstehen könnten, und weil, wie in Kanada bereits zu beobachten, vermehrt Kinder mit Influenza ins Krankenhaus aufgenommen werden müssen. Vor allem die Kinder hatten, je nach Alter, wenig oder gar keinen früheren Kontakt mit dem Grippevirus. Immerhin scheint die RSV-Welle am Abklingen zu sein.

Sich und andere vor Infektionen schützen – FFP2-Maske tragen, lüften, impfen, boostern – ist nach wie vor kein perfekter, aber halt doch der beste Schutz. Sowohl gegen akutes Kranksein, als auch gegen Langzeit­Kranksein. Denken Sie im Sinne der Schadensbegrenzung. Lassen Sie nicht zu, dass das Perfekte der Feind des Guten ist.

Wie ich das mache? Ein bisschen so wie im Gymnasium in Bludenz, als ich mich in der 8. Klasse vom Turnunterricht wegen „Unpässlichkeit“ abmeldete, um am Nachmittag auf dem Hochjoch in Schruns mit dem Reviewer dieser Kolumne ungetrübt Ski fahren zu können und dabei nicht von einer minimalen Blessur vom Fußballspielen (das war der Turnunterricht) gehandicapt zu sein. Oder viele Jahre später, als ich glatt eine Weihnachtsfeier der Klinik auf einem Berggasthof spritzte, nur um nicht die folgenden Skitage (damals schon auf einem Bein und mit Krückenski) durch ein Wehwehchen zu beeinträchtigen, weil bei der Heimkehr von der Weihnachtsfeier am eisigen Weg ausgerutscht.

Allen ein……« R. Z.


Distance, hands, masks, be considerate! Ihr Armin Thurnher

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