„Sie verderben den Fisch!“ Erinnerung an Werner Matt.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 905

Armin Thurnher
am 10.12.2022

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Er war der Koch, der die sogenannte Neue Küche nach Wien brachte. Ich habe ihn für die erste Ausgabe von „Wien, wie es isst“ interviewt, man interessierte sich damals (1984) für gutes Essen, für eine Erneuerung der Wirtshauskultur, weniger für den Schickimicki-Hedonimsus, der als Antwort auf die körnigen Zeiten der Müsligrünen und der studentischen Linken aufkam, die ja gar nichts aß oder zumindest nicht darüber redete.

Ich war mit vielen anderen der Ansicht, dass dieser Art von gastronomischem Backlash durchaus Lebensqualität abzuringen war, und der Tiroler Matt war tatsächlich seine Wiener Galionsfigur. Er war zwar über unsere Art der Öffentlichkeit verblüfft und konnte mit ihr nichts anfangen, aber ich kannte sein Kochbuch, also redete er mit mir. Ich verbinde mit ihm ein, zwei Erinnerungen, die ich an Fenstertagen gerne publiziere.

Foto und Rezept aus: Matt/Glocker: Erlesenes aus Österreichs Küche, Fotos von Ernest Richter, Trauner Verlag, 1982

Matts Kochbuch, verfasst mit dem Patissier Walter Glocker, hieß „Erlesenes aus Österreichs Küche“, erschien 1982 und, glauben Sie es oder nicht, die darin publizierte Idee des wiederbelebten Strudels erregt damals Aufsehen. Seinen Lammkohlstrudel machte ich zu meinem Signaturegericht (mit gekauften Strudelblättern, selbstverständlich, und mit etwas reduzierter Menge an Fleisch und Eiern). Er war immer ein Erfolg (das Lammfleisch lassen Sie, wenn Sie es probieren wollen, beim Fleischhauer faschieren). Ich füge das Orginalrezept und die Originalillustration aus dem Buch bei.

Nun zum Anekdotischen. Ecke Bonk, Typosoph, Künstler und Gestalter des Falter in den frühen Jahren, kam in den Besitz eines riesigen frischen Zanders; mit einem Freund hatte er ihn aus dem Ottensteiner Stausee gezogen. Der Fisch war einen Meter lang und wog ein paar Kilogramm. Nun erhob sich die Frage: worin kocht man den? Heute hätte ich eine Antwort, weil ich schon vor Jahrzehnten aus einem Shop namens Broadway Panhandler in Dowtown Manhattan ein ausreichend großes Gefäß importierte, um darin große Fische zu pochieren. Damals hatte auch ich nichts. So entstand die Idee, zu Matt zu gehen. Bonk ging also samt Fisch ins Hilton und trat dem Starkoch gegenüber. Der weigerte sich, ein Gefäß zu verleihen, aber er blickte Bonk in die Augen und wiederholte nur ständig einen Satz: Sie verderben den Fisch. Sie verderben den Fisch. Vermutlich meinte Matt, Bonk solle ihm den Fisch überlassen, aber der dachte nicht dran, zog ab und machte den Fisch im Rohr. Wie er schmeckte, weiß ich nicht, ich war nicht eingeladen. „Sie verderben den Fisch“ aber wurde zum geflügelten Wort.

Einmal kochte ich für meine Freunde Martin Kurz (einst Geschäftsführer und Gesellschafter des Falter) und Hans Hurch (einst dessen Feuilletonchef), Gott hab sie selig, eine „Gefüllte Hühnerbrust mit Lauch“ nach Matt. Ein aufwendiges Gericht, bei dem man das Fleisch vom Knochen löst, flachklopfte, eine Farce aus Hühnerfleisch und Obers anfertigt, diese auf die Brust streicht, ein Lauchstück in die Mitte platziert, das Ganze einschlägt und in Hühnerfond pochiert. Spektakulär, aber es dauert. Slow food ante verbum, aber für diese zwei Herren gerade recht, die zum Durchschreiten des Grabens vom Meinl bis zum Stephansplatz eine gute Stunde brauchen konnten, man vermochte ihre Bewegungen beim Gehen kaum wahrzunehmen, und immer wieder blieben sie gestikulierend stehen, beide in viel zu warme Ledermäntel gekleidet, Kurz in eine Art Lederrock nach Façon der Tante Droll bei Karl May, Hurch in einem pelzgefütterten Wildledermantel, der den Beinamen „Wildpretmantel“ trug – ein unvergesslicher Anblick.

So langsam sie schritten, so langsam kochte ich. Aber als das erlauchte Huhn dann auf den Tisch kam, waren sie echt verblüfft. Wie kann man nur so verrückt sein, so viel Zeit für etwas aufzuwenden, dachten sie, aber zugleich staunten sie über den Geschmack einer Sache, den sie noch nie gekostet hatten. Da waren sie schmähstad, und ich genoss es, diesen bei den beiden Gesellen sehr seltenen Zustand herbeigeführt zu haben.

Das Interview mit Matt war übrigens nicht weiter bemerkenswert, außer der Tatsache, dass wir es gemacht hatten. Ich erinnere mich, ihn gefragt zu haben, wer denn wirklich gut koche in Österreich. Die Hausfrauen, sagte er. Die Hausfrauen.

Wenn mein vermögender Onkel nach Wien kam, lud er mich zum Essen ein, ich durfte das Restaurant aussuchen. Oft genug war es eines von Matt, in einem Hilton. Immer alles frisch, alles vom Markt, alles prima. Ich ging dann in die Küche, ihn zu besuchen. Einmal sah ich im Papierkorb Verpackungen einer fertigen Hummersauce, die ich gerade mit gutem Appetit verzehrt hatte. So haben wir alle unsere kleinen schmutzigen Geheimnisse. Das öffentliche Verdienst bei Werner Matt überwiegt bei weitem. Vergangene Woche starb dieser Pionier der Kochkunst achtzigjährig in Jormannsdorf im Burgenland.

Im Übrigen bin ich der Meinung, die Republik muss die Wiener Zeitung retten.


Distance, hands, masks, be considerate! Ihr Armin Thurnher

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