Nichts gegen bildungsferne Schichten. Außer, sie regieren mich …
Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 904
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Vorgestern war ich kurz in Wien, um unter der Moderation des Professors Fritz Hausjell am Publizistikinstitut über den Stand der Medienpolitik zu diskutieren. Alexander Warzilek vom Presserat, Michael Lohmeyer (Presse) von der Journalistengewerkschaft, Petra Stuiber (Standard) von der Concordia und Walter Hämmerle von der Wiener Zeitung waren anwesend. Schon auf dem Weg dorthin erfasste mich ein Zorn, wenn ich daran dachte, was Politikerinnen, angeführt von Susanne Raab, der sogenannten Medienministerin, und assistiert von der Grünen Eva Blimlinger mit der steifen Unterlippe, da an Zerstörungen anrichten oder planen (von den Fleischmännern und Melchioren im Hintergrund will ich gar nix wissen).
Ich muss sagen, ich bewundere die Contenance von Hämmerle, der sich nur verhalten melancholisch und vornehm zurückhaltend bis zum Ende als „Chefredakteur der bald nicht mehr existierenden Wiener Zeitung“ vorstellt und kluge Sachen sagt. Etwa, warum man eine Zeitung retten solle. Nämlich weil es nicht ums Papier geht, sondern ums Prinzip. Um den größeren Zusammenhang, den die handelnden politischen Personen nicht sehen können (hieße, sie sind blind) oder nicht sehen wollen (hieße, sie sind in Zwänge verstrickt oder schlicht gekauft). Iudicia faciant alii, tu felix austria mane stupida!
Da ist einmal der redaktionelle Journalismus, der als tragendes Element einer demokratischen Öffentlichkeit und als Kulturtechnik erhalten und gepflegt werden muss. Er wird von den Mechanismen der Social Media attackiert, weil diese danach trachten, alle voneinander zu isolieren und ihre Algorithmen beziehungsweise die Kapitalbesitzenden an Stelle von Redaktionen zu setzen, wenn es darum geht, zu entscheiden, was wie publiziert werden soll. Das Ergebnis kann als Diskurszerstörung im Netz besichtigt werden. Demokratien müssen redaktionellen Journalismus fördern und schützen: aus purer Selbsterhaltung, weil er den Diskurs aufrechterhält, der ihre Basis ist.
Das war auch mit dem größeren Bild gemeint, das Hämmerle nannte, ohne es deutlich auszumalen, die Dystopie einer endgültig zusammengebrochenen Medienlandschaft, in der nur mehr private Interessen vorherrschen. Demokratische Politik ist dann zugunsten des Faustrechts der Musks und Zuckerbergs abgeschafft.
Die anderen Absurditäten des neuen Gesetzes sind zu viele, um aufgezählt zu werden. Die Straßenzeitungen, kleine Keimzellen eines redaktionellen Journalismus, werden nicht gefördert, weil sie nicht genügend Leute anstellen können (der Falter konnte zwei Jahre lang niemanden anstellen). Die Journalistenausbildung für zwölf Menschlein mit jährlich fünf Millionen zu subventionieren, direkt dem Bundeskanzleramt zu unterstellen, das ja seit 2008 (mit kurzer Unterbrechung unter Kern) Pionierarbeit bei der Zerstörung einer freien Öffentlichkeit geleistet hat, und das Ganze als Trostpflaster der Wiener Zeitung unterzujubeln, ist eine perverse Idee. An sich und den Journalisten ausbildenden Institutionen gegenüber sowieso.
So wie die Einstellung der Wiener Zeitung: kulturfremd, ahnungslos, bildungsfern. Nun weiß ich wohl, dass die bildungsfernen Schichten mit Rücksicht behandelt werden sollen. Aber nicht, wenn sie regieren!
Es muss mehr und Kräftigeres unternommen werden, um diesen Schwachsinn zu stoppen, der noch nicht beschlossen wurde, aber drohend im Raum steht.
Auf dem Weg zum Bahnhof danach hatte ich einen Taxler aus dem schönen Ägypten. Wie es ihm politisch gehe, fragte ich unvorsichtigerweise. – Schlecht, sagte er, den einzig demokratischen gewählten Präsidenten haben sie umgebracht. – Den von der Muslimbrüderschaft?, fragte ich. – Genau, den Mursi, sagte er. Muslimbruder ja, aber demokratisch gewählt. Das geht nicht. Und dann kommt der Sisi und sagt im Fernsehen: „Ich werde euch regieren oder umbringen.“ Er sagt es dreimal auf hocharabisch. – Und, frage ich, was macht die Opposition? – 118 Millionen sind wir, sagt der Taxler, aber wir tun nichts. Das Militär, das sind zwei Millionen. Wenn wir wollen, fressen wir die, vertreiben sie mit dem Baseballschläger. Aber wir wollen nicht. Wir sind Arschlöcher. Wir haben es nicht besser verdient. – Und Sie?, fragte ich. – Ich bin auch ein Arschloch. Hahaha!
So sind die Parallelen zwischen den Völkern, dachte ich. Beim Aussteigen wünschten wir einander alles Gute.
Im Übrigen bin ich der Meinung, die Republik muss die Wiener Zeitung retten.
Distance, hands, masks, be considerate! Ihr Armin Thurnher