Ich bin nervös. Ich schreibe ein Buch und betrachte ein Satyrspiel, das keines ist.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 899

Armin Thurnher
am 02.12.2022

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Adriano Fiorentino, Satyr, Kleinplastik von 1486 Foto: Kunsthistorisches Museum

Mein Lektor ist nervös, Ich bin nervös. Es geht um ein Buch mit dem schönen Titel „Anstandslos“. Ich schreibe dieses Buch. Im März des nächsten Jahres soll es erschienen. Es ist eine schwere Übung, denn es geht um die Jahre, die wir kannten, um die langen Kurzjahre, für die einen bleiern, für die anderen erlösend, für mich quälend. In Wahrheit war es eine Kette von Augenreiberln, wenn ich dieses Wort machen darf, als Analogie zum Ohrenreiberl seligen Angedenkens, das die Heumarktringer zu Zeiten des Georg „Schurl“ Blemenschütz einander so gern und auf Zuruf des p. t. Publikums applizierten.

Ich sage nicht gern „Ära“ zu diesen Jahren, das habe ich schon ausgeführt, das Erzene an „Ära“ passt so gar nicht zum Talmi, zu den Glasperlen und zum Blech, das uns da vorgesetzt wurde. Dass Gerald Fleischmann, einer der Inspiratoren dieses Blendwerks, nun wieder in der ÖVP-Zentrale in führender Position sein Geschäft an uns verrichtet, uns Augen-und Ohrenreiberln nach Gusto verpassend, zeigt, dass die Kurz-Jahre nicht ganz vorbei, aber in Anbetracht des verbleibenden Personals gerade noch für ein Satyrspiel gut sind.

Was ist das, ein Satyrspiel? Satyrspiele kamen im alten Athen nach drei Tragödien zur Aufführung. Sie dienten zur Auflösung der Belastung, der das Publikum mit dem Durchleiden der Tragödien ausgesetzt war. Auf die Frage, was man nach einer Tetralogie von Farcen, wie man die Kurzjahre eher nennen möchte, zur Aufführung bringen müsste, um das Volk oder auch nur mich zu erheitern, weiß ich keine Antwort.

Was Satyrn sind, wissen wir hingegen. Es sind Walddämonen die, so sagt es Wikipedia, „Aufgaben lösen müssen, die nicht in ihrem Wesen liegen, und Göttern dienen, die so ganz andere Eigenschaften aufweisen als der von ihnen verehrte Dionysos … Der sich ergebende Spannungsbogen führt zu heiteren Situationen und ermöglicht den verschiedenen Funktionen des Satyrspiels, ihre Wirkung entfalten zu lassen. Es dient als spannungslösender Kontrast zur zuvor aufgeführten Tragödientrilogie.“

Ich tue, was ich kann, um mir Sobotka, Nehammer und Fleischmann als Walddämonen vorzustellen, denen der begeisternde Anführer abhanden kam, und die es uns nun mit ihrem heiteren Treiben leicht machen, mit der Zeit dieses Anführers abzuschließen. Vor allem Sobotka kommt der Definition des sinnenstarken Walddämons, der Aufgaben lösen muss, die „nicht in seinem Wesen liegen“, recht nahe. Ich weiß nicht, was in seinem Wesen liegt, der Vorsitz des Nationalrats ist es nicht.

Ja, sie heitern mich auf, der Message-Kontrollor und der ehemalige Geschäftsführer die ÖVP, der nun die Geschäfte der Republik führt, aber damals tat er das ja auch „nur politisch“, das heißt, er hatte von den Geschäften der ÖVP keine Ahnung.

Nun lese ich, vor dem Ausschuss zu Satyr Fleischmann befragt, sagte Satyr Nehammer, sich am Bein schabend (Satyrn werden bekanntlich gern als bocksfüßig dargestellt, was eine gewisse Neigung zum Beinschaben nahelegt), „er habe zu Studien und Inseraten aber keine Wahrnehmung – auch wisse er nicht, was Fleischmann genau vorgeworfen werde. Er könne weder bestätigen noch ausschließen, dass er mit Fleischmann in der Vergangenheit auch über Umfragen gesprochen habe.“ Wie gesagt, Nehammer war ja nur politischer Geschäftsführer. Man konnte in den Kurzjahren nicht wissen, was später aufkam. Ja, wenn man das gewusst hätte … Man wäre emigriert. Oder man hätte sich glatt dem Widerstand im Falter angeschlossen, statt diesen der Verbreitung von Fake-News zu bezichtigen!

Ich stelle mir zur Entspannung vor, dass zwischen solche im Untersuchungsausschuss vorgebrachten Sätze aufschwappendes Dosengelächter aus billigen amerikanischen Serien eingeblendet wird. Walddämon Sobotka hat die Hand am Lachknopf. Wenn er nicht gerade das Schauspiel auf dem Goldenen Bösendorfer begleitet, jenem mythensponnenen Gebilde, das allein seines goldenen Klanges wegen den Weg ins Hohe Haus fand. Vielleicht spielt er aus den Waldszenen von Robert Schumann, etwa „Vogel als Prophet“, und widmet das Stück seinem Lieblings-Satyr Thomas Schmid.

Es ist ein Satyrspiel, eine Satire, eine satirische Operette. Wenn ich nicht dieses Buch schreiben müsste, könnte ich das Gelächter des Volkes genießen, das sich dabei entspannt und entspannt, bis es vor Lachen völlig aufgelöst den Kickl wählen geht.

Irgendein Gott wird mir beistehen, beim Buchschreiben ernst zu bleiben. Ich kann weder bestätigen noch ausschließen, ob mir das gelingen wird. Im Zweifelfall denke ich nicht an Dionysos, sondern an meinen Lektor.


Distance, hands, masks, be considerate! Ihr Armin Thurnher

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