Hugo Portisch wollte die Wiener Zeitung zum Weltkulturerbe machen. Die Regierung will sie killen.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 895

Armin Thurnher
am 28.11.2022

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Was hier folgt, ist ein Raubdruck. Eine mildestmögliche Form von Gewalt gegen Sachen, sozusagen. Portisch schrieb diesen Brief gemeinsam mit seinem langjährigen Journalistenkollegen Heinz Nussbaumer zur Zeit der Beamtenregierung 2019; die beiden wollte das Weiterbestehen der Zeitung sichern helfen. Die Wiener Zeitung brachte ihn am 14. 4. 2021 als Faksimile. Da diese Woche die Begutachtungsfrist des neuen Medienförderungsgesetzes und damit die Frist zur Rettung der Wiener Zeitung abläuft, da diese in medienpolitischen Dingen komplett indolente und skandalös agierende Regierung, der auch die Grünen angehören, nicht einmal mit dem Ohrwaschel zuckt, um etwas zur Rettung dieser Zeitung zu unternehmen, obwohl es ihre verdammte Pflicht wäre, aber bei weitem nicht die einzige, die sie vernachlässigt, wird er hier als Geste der Erinnerung, Mahnung und Aufforderung abgedruckt.


»Dr. Hugo Portisch

Prof. Heinz Nussbaumer

 

Betrifft: Weltkulturerbe Wiener Zeitung

 

Was für ein Kontinuum: als die Wiener Zeitung am 8. August 1703 erstmals erschien (damals noch unter dem Namen „Wiennerisches Diarium“), ist die Medienwelt noch ganz am Beginn einer beispiellos revolutionären Entwicklung gestanden: zunächst noch winzig in Umfang (im „Gebetsbücherl-Format“) und Stärke, noch ohne Schlagzeilen und Bilder – und nur zweimal wöchentlich in kaum mehr als 1000 Exemplaren erschienen, so lief sie mit „kaiserlichem Privileg“ (einer zunächst immer zeitlich begrenzten Konzession) über die hölzernen Pressen.

Prinz Eugen führte das Habsburger Reich eben durch den Spanischen Erbfolgekrieg, die Lage war also mehr als heikel – und doch versprach die Redaktion schon in der 1. Ausgabe „alles Denkwürdige“ zu vermelden – aus Wien, aus dem Reich und „aus der ganzen Welt“ – und das von Anfang an „ohne poetische Schminck“!

Seither betreibt die ab 1780 zur „Wiener Zeitung“ gewandelte weltweit älteste noch bestehende Tageszeitung über alle Fährnisse einer 316 jährigen Geschichte hinweg einen Journalismus ohne jede Parallele: als ein Vorbild für Qualität und Verantwortungsbewusstsein – und das unter dem journalistisch keineswegs einfachen Anspruch öffentlich rechtlicher Objektivität und Ausgewogenheit. Ihre Sonderstellung als Medium im Eigentum der Republik und der damit verbundene Verzicht auf exponierte politische Positionen hat aber wesentlich zu ihrer besonders eindrucksvollen Konzentration auf eine besonders ausgeprägte Kultur- und Wissenschaftsberichterstattung beigetragen, die das Blatt bereits seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und bis heute auszeichnet.

Unbestritten ist auch die Bedeutung der Wiener Zeitung als bedeutende, unersetzliche Quelle für Geschichts- und Medienwissenschaft. Ihr Archiv gilt als ein wahrer Schatz der Zeit und Zeitungsgeschichte, der nicht nur die Historiker sondern auch Politologen und Kommunikationswissenschaftler und darüber hinaus alle an Zeitgeschichte interessierten Leser zu faszinieren vermag. So hat auch die UNESCO die Bestände der Wiener Zeitung im Jahr 2016 in ihr „Gedächtnis der Menschheit“ aufgenommen.

Erwähnung finden sollte u. a. noch, dass die Wiener Zeitung als „Nestor der Tageszeitungen“ ihre große Geschichte nie als einen nur bewahrenden Auftrag verstanden hat: weit über ihren Namen hinaus ist sie von einer „wienerischen“ und österreichischen Zeitung früher als manch anderes Blatt zu einem sehr „europäischen Blatt“geworden – immer bemüht, den in so vielen anderen Medien unterbelichteten Seiten des Lebens – zuletzt etwa dem aktuellen Integrationsthema – kompetent und mutig Raum zu geben. Sie erfüllt diesen Auftrag sachlich und qualitätsvoll – im Wissen um ihre Verantwortung als Chronistin der Zeitgeschichte, die auch noch in Generationen ihren Wert als ein lesenswertes Stück Österreich und Weltgeist sein möchte.

In einer Zeit, in der Qualitätsmedien weltweit einen Überlebenskampf gegen Banalität und Trivialisierung führen müssen – und ihn zu oft auch verlieren –, ist jede Würdigung und Auszeichnung für diese aus vielen Gründen außergewöhnliche österreichische Zeitung ein wichtiger Beitrag, um das Fortbestehen der Wiener Zeitung auch in Zukunft abzusichern.

Heinz Nussbaumer, Hugo Portisch«


(Ich danke Doron Rabinovici, der mich gestern an diesen Brief erinnerte).


Distance, hands, masks, be considerate! Ihr Armin Thurnher

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