Abschied von Hans Magnus Enzensberger. Elegie.
Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 894
Abonnieren Sie Armin Thurnhers Seuchenkolumne:
Hans Magnus Enzensberger, 2013 Foto Wikipedia
Wo, Hans Magnus, fange ich an? Die Bregenzer Buchhandlung,
Lingenhöle geheißen, die kanntest du nicht, nehm ich an, aber
sicher konnte man nie sein bei dir, dem Weitgereisten.
Kuba, Angola, lässig auf der Porch über Weltkrisen
grübelnd, Kriege in Permanenz voraussehend, oder in
Norwegen einsam dichtend, dich dann Kopf voran in den Strudel von
Achtundsechzig stürzend, naturgemäß ihm entsteigend
ohne ein Tröpfchen Wasser auf dem dezent eleganten
Hemd. Jedoch sag ich nicht, du hättest den Pelz dir nicht waschen
lassen; im Gegenteil, selber wuschest du Pelze, griffest
Bären ins Maul und packtest sie an den Speckfalten, geistig so
schnell mit Begriffen wie Old Shatterhand mit dem Bowie-
Knife. Doch ehe nun davon ich spreche, lass mich berichten von
Lingenhöle, ein Name, der Derrida und dir wohl zur
Freude hätte gereicht, linke Höhle für Bücher, die Zunge, die
schöne darin, die du Adorno zusprachst, „Adorno
mit der schönen Zunge“, ich Knabe las es und wusste
nichts von Adorno und nichts von dir, aber diese bunten
Bändchen, fleckhausbunt, wie sie lagen, mit Wundernamen:
Blindenschrift, Landessprache, die kaufte mit Geld ich aus
Nachhilfestunden; Nachhilfe wurde sie mir. Ich lernte nicht
dichten, aber ich lernte, dichten zu wollen. Was will man denn
mehr? – Auf, es blitze die Klinge, Florett des Begriffs. Was das wäre, ein
Essayist, das merkt ich bei dir. Diderot war dein Muster,
enzyklopädisch und witzig, wendig und schlau, leichtfüßig,
wendehälsig doch nie. Als Herzstück der Suhrkamp-Kultur schufst du
Ansehen, ohne zu repräsentieren. Keine Talkshows,
wenige Interviews. Ich bekam keines, Protektion durch
Ransmayr nützte mir gar nichts, wiewohl du diesen Autor sehr
schätztest. Die Andere Bibliothek, dort war er ein Zugpferd, in
deiner anderen Buchwelt. Zuvor schon gegründet das Kursbuch,
mir und vielen um Achtundsechzig Diskursbuch. Nummer
Zwanzig, das schwarze, „Baukasten zu einer Theorie der
Medien“. Vieles, vielfältig inspirierte ein einziger
Aufsatz von dir! Diskurseingriffe sonder Zahl, sie
folgten und waren vorausgegangen. „Die Sprache des Spiegel“
dekonstruiert als Phrasenmaschine. Dass danach noch einer dort
schreiben mochte? Du selbst hast’s getan, dem Jungdogmatiker
(mir) zum Staunen und Lernen zugleich. Du sahst so vieles, die
Krise Europas, die Bürgerkriege in Permanenz, die
Helden nur mehr im Rückzug, den universellen Blockwart
aber digital im Vormarsch. Und immer wieder
Aufklärung, Diderot, so leicht es ging. Und dazu gut
passend dein Faible für Mathematik, Physik und Exaktes, die
Wissenschaft von der Natur. Und immer wieder kam das
alles zusammen in deinem Gedicht. In „Wolken“, zum Beispiel,
oder in einem, das hieß „der Hase im Rechenzentrum“. Wie
dieser läuft, das weiß aber niemand, auch du gabst nicht vor, es zu
wissen. – Hans Magnus, ich schulde dir viel und gab dir nur wenig.
Keine Ahnung, ob du die Rezensionen gelesen,
die ich recht treulich dir schrieb. Fast immer hymnisch, ich war dein
Fan. Bin es noch und denke mir nunmehr, manchmal ist’s besser, man
bleibt in der Ferne, das hält die Bewunderung groß. Vor mir hast
du dich umsonst geschirmt; wollt nicht jüngern, nur lernen. Als Meister
sah ich dich nie; ein Kreis hätt’ am schlechtesten zu dir gepasst. Der
fliegende Robert, der passte, so sahst du dich selbst und so sah auch
ich dich; mit wohlwollend flüchtigem Lächeln verschwindend in Wolken.
Danke für alles, Hans Magnus. Einst rietst du, das Lesen von Oden
möge man lassen. – Und nun, zum Schluss, diese Elegie noch. –
Dir kann’ s jetzt gleich sein. Adieu, Großer Hans, und Danke für alles!
Distance, hands, masks, be considerate! Ihr Armin Thurnher