Zur österreichischen Medienpolitik: ein Appell an die Kleingeister in der Regierung.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 891

Armin Thurnher
am 23.11.2022

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Gestern wurden Zahlen der RTR verlautbart, die das Scheitern von Medienförderung gut illustrieren. Davon ein andermal. Ich will es nicht zu lange machen, wir haben nicht mehr viel Zeit bis zum Ablauf der Begutachtungsfrist des neuen Medienförderungsgesetzes, das gewiss bestechend gedacht ist und auch so funktionieren wird.

DO NOT KILL THIS NEWSPAPER! Erste Ausgabe, 8. 8. 1703

Aber im Zuge dieses Gesetzes plant die weise Bundesregierung aus Türkisen und Grünen so nebenbei, die Wiener Zeitung zu töten. Die älteste noch erscheinende Tageszeitung der Welt, ein Kulturdenkmal, eine Einzigartigkeit, ein mediales Juwel in der Pestgrube der österreichischen Öffentlichkeit.

Die das nicht sehen, wollen es nicht sehen, können es nicht sehen oder stellen sich blöd. Ich will es nicht glauben.

Deshalb noch einmal, worum es geht.

Die Republik als Herausgeberin der Wiener Zeitung ist verpflichtet, diese Zeitung als Tageszeitung zu erhalten. Das kann sie sich nicht nur leisten, das muss sie sich leisten.

Das Argument, es fänden sich keine Käufer, ist absurd. Denn darum geht es nicht. Niemand verlangt von der Republik Österreich, sie möge ihr würdigstes mediales Kind weglegen. Sie braucht auch niemandem den Titel „zu schenken“, wie die Mediensprecherin der Grünen in ihrer Verblendung sagte. Ich verlange von dieser Regierung, dass sie Blatt und Titel behält und eine Lösung für die würdige weitere Existenz der Zeitung findet. Das ist ihre verdammte Pflicht!

Warum?

Die Regierung muss erkennen, dass hier die Möglichkeit eines öffentlich-rechtlichen Mediums besteht, das weit besser geeignet ist, diesen Begriff mit neuem Leben zu erfüllen, als der von Machtgezerre und aufgeblähten Strukturen dabei behinderte ORF.

Die Wiener Zeitung wäre so etwas wie gedrucktes Radio Ö1, um das etwas schlichteren Gemütern verständlich zu machen. Eine öffentlich-rechtliche Zeitung!


Ihr Kleingeister!

Wäre es nicht an der Zeit, einmal einen Hauch größer zu denken? Etwa so:

  • Es wird ein europäisches Signalprojekt definiert. Ziel: die Neudefinition und Aktualisierung der öffentlich-rechtlichen Idee. Diese Definition könnte man durch Zusammenrufen kompetenter öffentlicher Intellektueller dieses Planeten attraktiv gestalten – von Noam Chomsky bis Fritz Hausjell sozusagen. Die Organisation, durchaus als hybride Enquete, wäre finanziell zu unterfüttern und käme als erste Aufgabe der Wiener Zeitung zu.

  • Die Wiener Zeitung selbst wird als Stiftung erhalten. Stifterin: die Republik, die sich dazu verpflichtet, die geplanten 6 Millionen Euro im Jahr wertgesichert in die Stiftung einzubringen und angedachten Mumpitz wie Medienausbildung und Monatszeitung ersatzlos zu streichen. Die österreichischen Verlage verpflichten sich, jährlich auf 10 Prozent öffentlicher Inserate zu verzichten; dadurch kommen weiter zehn Millionen jährlich zustande, ebenfalls wertgesichert. Beides wird im Verfassungsrang festgeschrieben.

  • In diese Stiftung können und sollen weitere Beträge von privater Seite gestiftet werden, um die Republik zu entlasten. Die Wiener Zeitung soll werbefrei erscheinen und orientiert sich ausschließlich an ihrem Ziel, ein ideales öffentlich-rechtliches Medium zu sein. Unterstützende Unternehmen werden eingeladen, Geld ins Stiftungsvermögen einzubringen. Crowdfunding über Abonnements hinaus soll ebenfalls zur Finanzierung beitragen.

[Einschub für österreichische Verleger: öffentlich-rechtlich ist ein Medium, wenn es sich verpflichtet, sich nicht an Profitinteressen oder anderen privaten Zwecken, sondern am öffentlichen Interesse zu orientieren und den Diskurs darüber, was das jeweils ist, notgedrungen zu einem Teil seiner Identität zu machen.]

  • Die Form der gedruckten Tageszeitung ist dafür nicht zwingend nötig; entscheidend ist das tagesaktuelle, redaktionell erstellte Medium.

  • Zu den Aufgaben der neuen Wiener Zeitung, die natürlich nicht so heißt, aber gedanklich so zu sehen ist, gehört es auch, die Grundlagen für ein europäisches soziales Medium zumindest abzustecken.

  • Zu diesem Zweck holt die österreichische Medienpolitik jetzt die besten Dissidenten (Techniker, Informatiker) von Musk und Zuckerberg nach Europa. Wann, wenn nicht jetzt? Ich als Medienminister würde glatt ein paar weitere Millionen aus dem üppigen öffentlichen Anzeigenbudget dafür verwenden und mich mit der Europäischen Kommission und ein paar willigen Mitgliedstaaten ins Einvernehmen setzen, um hier – ja, von Österreich aus – einen entscheidenden europäischen medialen Selbsterhaltungsimpuls zu setzen.

Informiertes Personal läuft übrigens auch hierzulande herum.


Meine Damen und Herren in der Regierung! Dieser Vorschlag steht Ihnen kostenlos zur Verfügung. Es braucht nur etwas Mut, ein wenig Selbstüberwindung, einen Hauch Einsicht und ein Quäntchen Gestaltungswillen. Das werden Sie doch aufbringen können! Oder wollen Sie sich weiterhin dafür schämen müssen, dass Sie nur dem schlechten Rat der bornierten österreichischen Verleger folgen und auf jede eigene Idee, ja auf den bloßen Anschein verzichten, selbständig Politik zu machen? Wollen Sie sich weiterhin dafür schämen müssen, dass Sie auf diese Weise Ihre öffentliche Pflicht verletzen und das öffentliche Interesse verraten?

Raffen Sie sich auf. Denken Sie nach! Noch ist Zeit.


Distance, hands, masks, be considerate! Ihr Armin Thurnher

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