Medientag. Drohnenpiloten der Zukunft, Mediengespräche der Gegenwart.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 882

Armin Thurnher
am 12.11.2022

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Gestern war Medientag; oder besser, heute ist noch immer Medientag. Es ist jeden Tag Medientag, mögen Sie einwenden, und Sie haben natürlich recht. Was nicht in den Medien ist, ist nicht, und so gehen sie dahin, die Medien und die Tage.

Als ich gerade zu Twitter kam, das war vor drei Jahren, – die bei Twitter vermerken das im Profil, bis König Ubu Musk auch das ändert –, als ich also gerade zu Twitter kam, das wird, fällt mir gerade auf, vielleicht einmal so klingen wie, als es Twitter noch gab, und als die rechten Medienkönige sich noch über Linkstwitter ereiferten, jenen relativ bedeutungslosen Teil der sozialen Medien, wo es tatsächlich eine Art linker Hegemonie gibt, dergestalt, dass die brave Linke Natascha Strobl von rechten Trollen gleich einmal für ein paar Wochen ins Out gemobbt wurde, und wo einer wie ich sofort als Holocaustleugner überführt wurde, weil er es gewagt hatte, Noam Chomsky zu zitieren.


Als ich also gerade zu Twitter kam, erschien im Falter eine Glosse der Kollegin Wittstock, in der sie eine kleine Beobachtung wiedergab: eine Mutter wischte auf dem Handy herum, nonchalant die Bedürfnisse ignorierend, die ihr Kindlein im Trolley schreiend zu artikulieren versuchte. Ergebnis, ein Shitstorm. Was erlaube Frau Wittstock, die stolze Autonomie der jungen Frau in Frage zu stellen? Kaum nötig hinzuzusetzen, dass ich ganz Team Wittstock war und bin.

Gestern zum Beispiel, Bahnhof Landstraße. Neben mir sitzt ein etwa drei Jahre altes Kind, auf das sämtliche Ferndiagnosen unberufener Hobby-Kinderpyschiater anzuwenden wären, was ich aber unterlasse, um nur zu sagen: ein Problembärli, offensichtlich. Schon springt Bärli wieder auf und saust durch die Halle, schrille Schreie ausstoßend. Endlich fängt ihn Bärli-Mama ein, eine kräftige Bärinnengestalt, ihren Gemahl um Haupteslänge überragend, quetscht den Dreijährigen am Oberarm, dass er vor Schmerz quietscht, knallt ihn wieder auf den Sitz neben mir und brüllt ihn an: Bleib endlich sitzen, du! Schmollend sitzt Bärli und betastet wimmernd den Arm. Papabär, kurzgeschoren im kleidsamen Tarnanzug, zeigt einen Anflug bärig-menschlicher Regung, ja Milde, greift schweigend in die Tasche und reicht dem Kleinen das Handy. Schmerzvergessen aufseufzend wischt sich der von einer Sekunde zur anderen durch bunte Animationen weg ins digitale Wunderland.

Hier beginnt ein Drohnenpilot der Zukunft seine Lehre, dachte ich, ein Ferntöter, ein Telemach, und sagte nichts. Was soll man sagen? Leg dein Handy weg, Sohn, und lass dir lieber was Schönes vorlesen, wie all die Oberschichtkinder im Silicon Valley, denen Papa Zuckerberg das Handy nicht vor dem siebten Lebensjahr erlaubt?


Solch trüben Gedanken nachhängend heiterte sich mein Gemüt sogleich auf, als mich Stefan Kappacher anrief. Ob ich in eine Sendung kommen würde, nein, nicht zu Doublecheck, die verdienstvolle Mediensendung auf Ö1, sondern zu „Im Journal zu Gast“. Ist das nicht vor allem für Vizekanzler, Bischöfe und abtretende Landeshauptleute?, fragte ich mich, sagte aber ohne nachzudenken zu.

Dass ich das noch erleben darf! Ich hatte das leise Gefühl, Kappacher wunderte sich auch ein bisschen.

Zuvor ging ich noch in Meinrad Knapps Diskussion „ATV Aktuell – Der Talk“, die ich mag, weil der Knapp Lust an diesen Gesprächen hat und sie deshalb zum Leben erweckt, und weil die Frau Vettermann von der Kronen Zeitung dort sagte, der Umgang von Regierung und Ländern mit Flüchtlingen sei „unwürdig“. Schon wieder: Dass ich das noch erleben darf!

 

Mit Stefan Kappacher in einem Studio des neuen Newsrooms im ORF Foto: Klaus Webhofer

Ich ging dann wirklich hinauf auf den Küniglberg, wurde durch den neuen Nussruhm geführt, beeindruckend dunkel und elegant, mit eingesprengten Stücken feinster Architektinnensozialdesignkunst wie einer weißen, mit Polstern besetzten Steintreppe (Marmor?), die vorgesehen ist, damit sich das müßige Redaktionspersonal hinlümmelt und den Kolleginnen beim Arbeiten zusieht, nebenbei wie zufällig soziale Kontakte aufblühen lassend, schillernde Kreativitätswolken aufblasend, flirrende Innovation erzeugend … Solche Treppen sind immer leer. Diese war es jedenfalls bei meinem Besuch.

Sehr gut gefiel mir auch eine kleine Nische mit dezentem Drahtgitter, eine Art Sozialkäfig mit grauen Designerpolstern, ebenso chic wie ungemütlich – aber wie sagte schon Karl Kraus: Gemütlich bin ich selber. Ein Spruch des weiland Generalintendanten Gerhard Weis kam mir in den Sinn, den er den ORF-Redaktionen für den Umgang mit der FPÖ mitgab: „Nicht in den Käfig gehen, nicht füttern, nicht reizen!“

Nein, ganz im Ernst, ich schritt beeindruckt durch die poshe Grauzone, freute mich, in sowas nicht arbeiten zu müssen, fühlte mich aber geehrt, es durchschreiten zu dürfen. Der Kappacher stellte mir die richtigen Fragen, ob ich die richtigen Antworten gab, weiß ich nicht, das lässt sich ab heute, 12 Uhr auf Ö1 überprüfen (und danach noch 7 Tage lang). Tun Sie’s!


Distance, hands, masks, be considerate! Ihr Armin Thurnher

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