Die Schrecken der Medien und der Korruption.
Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 877
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Einmal im Jahr treffe ich in Baden mit Dirk Stermann zusammen. Wir setzen uns im Parkhotel auf ein Podium und plaudern los; es bedarf keiner Vorbereitung, denn die Themen der Saison stellen uns nur eine Frage. Wie werden wir mit alledem in einer Stunde 15 Minuten fertig, ohne uns und das Publikum fertigzumachen? Wir schaffen es dann doch immer wieder, einander und das Publikum zum Lachen zu bringen. Mission erfüllt. Die Matinee ist traditionellerweise im Radio Falter zu hören, wenn Radio-Falter-Chef Raimund Löw Gnade walten lässt, heißt das. Wir sind zuversichtlich.
Screenshot: ORF
Ich sagte dort und sage hier noch einmal fast nichts zu Presse-Chefredakteur Rainer Nowak; dem wünscht man weder seine Feinde, noch seine Verteidiger, noch auch seine in Verlegenheit verbundenen Freunderln. Was ich mir aber wünsche, ist eine Runde der Chefredakteurinnen und Chefredakteure in der traditionellen Besetzung, vielleicht unter der Doppeldiskussionsleitung Ingrid Thurnher / Matthias Schrom. Thema: warum der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht nur befähigt sein müsste, sondern verpflichtet wäre, den Medienmarkt pointiert kommentierend und korrigierend zu begleiten, am Beispiel des Falles Nowak (der natürlich mitdiskutiert).Und was er, der ORF, tun könnte, um seine Debatten zu retten.
Es ist ein österreichisches Drama, dass sich weder ein derart starker öffentlich-rechtlichen Rundfunk wie der unsere, noch auch die Medienpolitik darum bemühen, die Mediensituation zu verbessern. Beide Institutionen legen vielmehr allen Wert darauf, die Situation zu erhalten, wie sie ist. Sie kooperieren mit den Boulevardriesen, statt sie zu bekämpfen, ihre Macht einzudämmen und alles zu fördern, was anders ist als diese öffentlichen Pestgruben (und die Pest, man sieht es, beschränkt sich nicht auf den Boulevard). Beide, der ORF und die Medienpolitik, fördern damit journalistische Unkultur und machen sich – mit den üblichen Ausnahmen, die halt bestmöglich ihren Job erledigen und auf Strategie keinen Einfluss haben – zu Komplizen der Medienkorruption.
Wir brauchen über Medienkorruption überhaupt nicht zu diskutieren, solange diese Tatsache nicht in die Köpfe hineingeht. Fern sei es mir, das Verhalten des Kollegen Nowak in Schutz zu nehmen; aber sein hingezogenes Hinsinken ins türkise Herrschafterln-Milieu ist doch nichts, verglichen mit der Usurpation des ORF durch Roland Weißmann und verglichen mit der Fortschreibung medienkorruptionsfördernder Politik durch die Medienministerin Susanne Raab, beides unter sich auszahlender Mitwirkung der Grünen.
Was ist das für ein Land, in dem die älteste Tageszeitung der Welt gekillt wird, weil man bei der Fortsetzung der korruptiven, von unseren Mini-Oligarcherln und Mini-Oligarcherlinnen (hoffentlich korrekt gegendert) maßgeblich mitgestalteten Medienförderung nicht einmal die paar Mille abzwacken kann, um den Weiterbetrieb der Wiener Zeitung als Tageszeitung zu ermöglichen?
Was ist das für ein Land, in dem Zeitungsverleger ihre Ambition nicht auf Selbstreinigung legen, sondern darauf, die „blaue Seite“ des ORF zurechtzustutzen, weil diese einer Zeitung ähnlicher sieht als ihre eigenen Produkte?
Was ist das für ein Land, in dem ein einstmals führendes Organ bürgerlicher Publizistik auf das Niveau eines schwarz-türkisen Verlautbarungsblattls herabgesunken ist?
Was ist das für ein Land, in dem eine hegemonial über-übermächtige postbürgerliche Publizistik nichts Besseres weiß, als bei jedem eigenen Versagen eine linke Hegemonie herbeizufantasieren?
In meinem ersten Buch, erschienen 1992, vor dreißig Jahren, in dem ich damals schon 15 Jahre andauernde medienpolitische und medienkritische Bemühungen zusammenfasste – was mich der aktuellen Neuerfindung der Medienkritik-avec-Systemreinigung einigermaßen gelassen gegenüberstehen lässt – steht am Ende des Einleitungsessays etwas, das man noch immer unverändert sagen kann: „Den Satz, Medien drückten das Selbstbewusstsein einer Gesellschaft aus, kann man in Österreich tatsächlich nicht hinschreiben, ohne zu erschrecken.“
Ich wünsche Ihnen trotzdem eine überwiegend heitere Woche.
Distance, hands, masks, be considerate! Ihr Armin Thurnher