Gelobt sei die Dissonanz. Nur nicht die kognitive Dissonanz.
Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 871
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Philosophisch bis selbstkritisch zeigt sich Epidemiologe Robert Zangerle in diesem Beitrag. Es geht nämlich auch darum, was die Pandemie mit Infektiologen und Epidemiologen gemacht hat. Beim Verständnis von Dissonanz helfen die alte Parabel vom Fuchs und den sauren Trauben sowie Ausflüge in Musik und Kulinarik. Was nicht hilft, ist Verharmlosung. Die Übersterblichkeit bei Menschen über 65 war erstaunlich hoch, und die Covid-Impfung gemeinsam mit der Grippe-Impfung sollte weiter forciert werden. A. T.
»In Österreich und vielen anderen Ländern fehlt seit geraumer Zeit der politische Wille, die Übertragung von Covid deutlich zu reduzieren. Man nimmt bewusst Risiko. Begleitend war von vielen zu vernehmen, dass mit Maßnahmen gegen die ansteckenderen Omikron-Varianten ohnehin wenig auszurichten sei. Das stimmte so natürlich nie. Masken wirken, hier, hier, hier und hier in allgemein verständlicher Form. Wäre die Welt nach der Wiedereinführung einer ausgeweiteten Maskenpflicht also wieder in Ordnung? Bei weitem nicht. Es gibt zu viele Orte, wo Menschen sich maskenlos begegnen, vor allem in Innenräumen wie Restaurants, Bars, Theater, Konzertsälen, Wohnungen und bei anderen sozialen Zusammenkünften. Wenn es also eine Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln und Geschäften allein gäbe, so hätte das keine großen Auswirkungen auf das allgemeine Infektionsgeschehen und würde die Gesamtinfektionsrate möglicherweise nicht stark reduzieren. Quantifiziert wird dieser Effekt häufig mit 15-20% angegeben. Wenn in der nächsten Welle der effektive Reproduktionsfaktor also über 1,15 zu liegen käme, könnte die Welle mit einer Maskenpflicht allein weder abgefangen noch gebrochen werden.
So eine Pflicht wäre dennoch nicht falsch. Zur Erklärung möchte ich wiederholt ein Beispiel aus dem Wintersport anführen. Immunsupprimierte und Ältere sollen halt auch nicht Skifahren gehen – ihr Problem, die Maskenlosen in der Gondel haben Vorrang! Zugegeben, die Forderung nach einer Maskenpflicht in den Gondeln wird das Infektionsgeschehen im Gesamten nur sehr marginal beeinflussen, vor allem wenn man sich Bilder aus denselben Orten vor Augen führt, wo Après– Ski stattfand, als ob es keine Pandemie gegeben hätte.
Ein Aspekt, der viel zu oft übersehen wird – willentlich oder unwillentlich – soll hier nochmals betont werden. Selbst wenn das Maskentragen die Gesamtinfektionsrate möglicherweise unzureichend reduziert, so kann es doch eine wichtige und unverzichtbare Rolle spielen: Das Tragen einer Maske schützt nicht nur den Träger oder die Trägerin. Sie schützt immungeschwächte Menschen, Ältere und solche mit erhöhtem Risiko, schwer zu erkranken. Dieser Personenkreis meidet deshalb Bars, Restaurants, Partys und andere Einrichtungen mit hohem Übertragungsrisiko, aber diese Menschen müssen immer noch öffentliche Verkehrsmittel benutzen, einkaufen gehen, Arztpraxen und Krankenhäuser aufsuchen. Und sie schützt kleine Kinder, die bisher noch nicht geimpft wurden, aber demnächst werden können.
Die Rolle von Maskenvorschriften besteht also auch darin, Menschen zu helfen, die es vermeiden müssen oder wollen, sich mit Covid zu infizieren. Wieso ist das ein so großes Problem? Wenn sich das Virus überall findet, wird es für Menschen sehr schwierig, sich individuell zu schützen, aber warum nicht wenigstens etwas tun, um ihre Risiken zu verringern? Wenn beide Seiten Masken trügen, wäre das effizienter, als wenn sich die „Vulnerablen“ (wohl oft „Vulnerablisierte“) einseitig schützen. Politiker wehren sich derweil jetzt schon heftig gegen eine erneute Einschränkung der individuellen Freiheiten und setzen auf das allseits bekannte Mantra hiesiger Politik: Eigenverantwortung. Es wäre also an der Zeit zu zeigen, dass wir Eigenverantwortung können, aber offenbar ist das zu viel verlangt.
Die Politiker machen Wahlpartys ohne Maske, sitzen im Parlament stundelang eng an eng ohne Maske, gehen anschließend zu Events und demonstrieren dort öffentlichkeitswirksam mit ihrem Verhalten, dass die Pandemie vorbei sei. Sowas nervt, weshalb wir von ihnen nicht hören wollen, „wie wichtig Masken sind“, solange sie selbst nie welche tragen. Vielmehr muss die Weigerung, in gemeinsamen Räumen generell keine Maske zu tragen, als bewusster politischer Akt gewertet werden.
Wie machen das eigentlich Ärzte und Ärztinnen, gar infektiologisch orientierte Ärzte, wenn sie tagen? Nach zwei Jahren virtuellen Meetings reisen die Menschen wieder zu wissenschaftlichen Treffen. Die großen Konferenzen werden fast nur als Hybridmeeting abgehalten, also vor Ort und/oder Online. So können auch Reisekosten vermieden, die Kongresskosten reduziert und ein kleiner Beitrag zur Rettung des Planeten geleistet werden.
Die größte Konferenz zu Infektiologie („IDWeek“) fand gerade in Washington, USA statt. Natürlich war nicht überraschend, dass bei diesem Treffen von infektiologisch orientierten Ärzten strenge Maskenpflicht galt und die Teilnahme nur mit Impfung möglich war. Die IDWeek fand in einem Raum statt, „der über Akkordeontüren verfügte, die zusätzlich zur Ventilation zur Belüftung geöffnet wurden, sowie über einen umlaufenden Balkon“. Die Belüftung war großartig, eine der wichtigsten Lektionen aus der Pandemie.
Und trotzdem spricht Paul Sax aus Boston (Harvard Universität), Herausgeber einer der renommiertesten Fachzeitschriften der Infektiologie und eines Blogs von einer „Dissonanz“, die ihn und eigentlich alle aus der Infektiologie unangenehm begleitet. Dissonanz kommt vom Lateinischen dissonare = misstönen: Uneinigkeit; Widersprüchlichkeit zwischen den eigenen Überzeugungen oder zwischen dem eigenen Handeln und den eigenen Überzeugungen; eine Vermischung von Klängen, die das Ohr hart trifft. In den nächsten Absätzen erläutert Paul Sax auf eine sehr persönliche Art die unangenehmen Dissonanzen.
Ein beständiger Hintergrundklang eines ominösen Moll-Akkords signalisiert infektiologisch orientierten Ärzten Covid-Fälle – die nie verschwinden, in ihrer Lautstärke zu- und abnehmen, den ganzen Sommer lang und jetzt im Herbst. Einer der beiden Akkorde, die immer wieder erklingen und Kundige mit Informationen über Positivitätsraten von Tests, Abwasserdaten, belegte Krankenhausbetten, und mit Anrufen von Patienten, Kollegen, Freunden und Familienmitgliedern wegen einer Covid-Erkrankung versorgen. Zweifellos wird dieser Akkord mit dem Einzug des Winters noch lauter erklingen, zusammen mit den Varianten BF.7, BA.2.75.2, BQ.1.1 und wer weiß, was sonst noch alles daher kommt. Atemwegsviren, einschließlich SARS-CoV-2, sind schließlich (auch) saisonal.
Zur gleichen Zeit erklingt ein anderer Akkord in einer fröhlichen Dur-Tonart – wahrscheinlich C-Dur, nicht weniger stark. Die Menschen, die diesen Akkord hören, können einfach ignorieren, dass es da draußen eine Menge Covid gibt. Schnupfen ist wieder eine Allergie, Halsentzündungen und Husten sind nicht bedrohlicher als vor der Pandemie. Das heißt, nicht sehr bedrohlich. Einen Covid-Test für leichte Halsschmerzen? Das soll wohl ein Scherz sein. Maske für überfüllte Innenräume? Ach was, das ist doch Schnee von gestern. Schulen, Restaurants, Bars, Konzerte, große Hochzeiten, Gotteshäuser, Fitnessstudios, Reisen – wie hier bereits erwähnt, alles wieder normal.
Die meisten Menschen erleben diese beiden, gleichzeitig spielenden Akkorde nicht. Aber infektiologisch orientierte Ärzte und Ärztinnen hören das schon – ein beängstigender Akkord auf dem einen Ohr, ein glücklicher auf dem anderen. Eine ganze Menge Dissonanzen – die Klänge der beiden Akkorde, Dur und Moll, die zusammenspielen. Moll, wenn wir uns um immungeschwächte und/oder ältere und gebrechliche Menschen kümmern, oder das Infektionskontrollteam im Krankenhaus leiten, oder enge klinische Zeitpläne mit Menschen verwalten, die wegen COVID 7-10 Tage ausfallen, oder Anfragen zu COVID beantworten – deren Menge perfekt mit den lokalen Abwasserkonzentrationen von SARS-CoV-2 korreliert.
Aber es ist eine schier nicht zu bewältigende Aufgabe, wenn Experten der Infektiologie versuchen, wie die meisten „normalen“ Menschen zu sein, die einfach nur zu einem Leben vor der Pandemie zurückkehren wollen. Natürlich mit Maskenpflicht und Impfnachweis. Aber es ist auch nicht überraschend zu hören, dass Infektiologen und Infektiologinnen, wie der Rest der menschlichen Spezies, keine sozialen Kontakte knüpfen können, wenn sie essen und trinken, ohne die Masken abzunehmen. Stellen Sie sich vor, dass die Hälfte der Motivation für die Teilnahme an solchen Treffen (mindestens) diese Art von Networking ist. Oder dass viele von ihnen in der nicht-beruflichen Zeit zu Hochzeiten, Partys, Fitnessstudios, Restaurants, Konzerten … gehen oder gegangen sind.
Manche mögen das als Heuchelei bezeichnen. Die perfekte Definition von Doppelzüngigkeit – im Wortsinn! Maskiert in der Sitzung, unmaskiert beim gemeinsamen Mittagessen, Trinken und Abendessen mit Kollegen, die wir seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen haben. Andere könnten argumentieren, dass es immer noch vernünftig ist, bei der Tagung eine Maskierung zu verlangen. Man verringert doch so das Risiko für virale Atemwegsinfektionen, zumindest für die Hälfte des Tages – eine gewisse Risikominderung ist doch besser als gar keine, oder?
Beide Sichtweisen (Heuchelei vs. Risikominderung) haben ihre Berechtigung, wobei die „eine gewisse Risikominderung ist doch besser als gar keine“ die freundlichere und großzügigere ist. Paul Sax hat eine andere Interpretation. Er glaubt, dass er und seine Kollegenschaft einfach nur verwirrt sind. Und nervös. Und müde. Und gedemütigt. Und er selber glaubt, dass sie ein bisschen unter einem posttraumatischen Stress-Syndrom leiden, nach den letzten beiden wirklich schrecklichen Wintern oder dem für manche in bestimmten Gegenden albtraumhaften Frühling 2020 (so war es in Boston, wo Paul Sax lebt und arbeitet). Er hofft, dass diese Tage hinter uns liegen, dass unsere durch Impfungen und Infektionen hervorgerufene Immunität die Schwere von Krankheiten weiterhin abschwächt, dass unsere Intensivstationen und ECMO-Maschinen nicht überlastet werden und dass unsere elektiven Operationen nicht verschoben werden. Aber das wissen wir nicht. Daher die Dissonanz.
Es ist eine kognitive Dissonanz, ein unangenehm empfundener Gefühlszustand, der dadurch entsteht, dass ein Mensch miteinander unvereinbare Kognitionen hat (z. B. Wahrnehmungen, Gedanken, Meinungen, Einstellungen, Wünsche oder Absichten). Kognitionen sind mentale Ereignisse, die mit einer Bewertung verbunden sind. Zwischen diesen Kognitionen können Konflikte („Dissonanzen“ genannt) entstehen, die nach Überwindung drängen. Oder anders formuliert: Der Mensch befindet sich im Ungleichgewicht und ist bestrebt, wieder einen konsistenten Zustand – ein Gleichgewicht – zu erreichen. Nicht selten lösen wir das wie der Fuchs, dem die Trauben zu hoch hängen: Er oder sie verspürt den Wunsch nach süßen Trauben. Zugleich bemerkt er/sie ihre Unerreichbarkeit. Die Dissonanz löst er/sie mit der Überzeugung, die Trauben seien ohnehin sauer.
Wie ich das handhabe? Mit Dissonanzen. Ich organisiere Meetings unter den HIV-Behandlern und -Behandlerinnen der Krankenhäuser, so auch nächste Woche in einem Hotel in Salzburg. Da werden es knapp 20 Personen sein, nicht 50 wie Anfang Juni, manche werden Masken tragen, auch wenn es keine Maskenpflicht gibt. Werde selbstverständlich in der Anreise im Zug eine Maske tragen, aber vermutlich nicht beim Workshop (Raum ist gut gelüftet), bin ich doch seit einem Monat optimal geimpft und nächste Woche sollte das Infektionsgeschehen (noch) relativ gering sein. Werde die Maske nicht erst beim gemeinsamen Abendessen abnehmen. Man kann also sehen, dass ich die Auflösung von Dissonanzen ein wenig vom Fuchs abgekupfert habe.
Das hat alles nichts mit den Dissonanzen und der Harmonielehre in der Musik zu tun, da bin ich vollständig ahnungslos. Deshalb muss hier Georg Friedrich Haas, österreichischer Komponist, der in New York lebt und arbeitet, helfen. Er erläutert im Heft 48 in der Zeitschrift Positionen vom August 2001 seine fünf Thesen zur Mikrotonalität. Die These 2 unterstreicht, dass die negative Bewertung des Begriffs „Dissonanz“ falsch und unmusikalisch ist. Es gäbe ein menschliches Bedürfnis nach „Dissonanz“ – aber keines nach „Konsonanz“. Haas kann das anhand diverser autochthonen Musiktraditionen belegen. Es gilt nach ihm aber auch in traditioneller westlicher Musik: bei Bach oder bei Schubert sind es die Dissonanzen, die uns emotional zutiefst berühren.
Weiterer Themenwechsel: Dissonanzen beim Essen, gibt’s die? In einschlägigen Lexika findet man nichts, sagt der Seuchenheilige und Kochwissende Armin Thurnher; umso mehr dafür unter dem Gegenbegriff „Harmonie“ (obwohl Dissonanzen, genau genommen nur ein Sonderfall von Harmonie sind, nämlich einer, an der die Ohren weniger gewöhnt sind). Was harmoniert, das ist das große Schlagwort der sogenannten Weinbegleitung, aber von der wollen wir hier auch nicht reden. Autor Zangerle stellt Salzkaramell in Frage, sagt T., wegen des Kontrasts von salzig und süß, und auf Nachfrage, weil er eh nicht Karamell mochte, sondern die fruchtig Variante der Kaubonbons. Wohingegen er, Thurnher, in Salzkaramell baden könnte.
Ja, da kann man wenig machen, denn in Maßen ist Salz genau jene zarte Dissonanz zum süßen Karamell, die es auch im Teig süßer Backwerke braucht, um die Harmonie des Geschmacksträgers zu offenbaren. Pfeffer auf Erdbeeren, Zimt in Kaninchensaucen und vieles andere könnte man erwähnen. Und dunkle Schokolade in manchen Saucen gehört geradezu zum Gericht, etwa beim Hasen.
Dissonanz beim Kochen ist eine Frage der Gewöhnung und der kulturellen Einübung. Süß-sauer haben wir von Asiaten schätzen gelernt. Die Taube im Blätterteig, welche man in Marokko liebt, versieht man mit Rosinen und bestäubt man mit Zucker – da war für T. eine Schwelle überschritten. Die rohen Hammelaugen aus dem Kübel zur Begrüßung, die in manchen arabischen Ländern gereicht werden, wird man nicht unter Dissonanz, sondern unter Unverträglichkeiten ablegen, detto rohe Affenhirne. Hingegen findet Ostösterreich, vor allem Wien, noch immer wenig dabei, den Salat mit einer Art Zuckersaft anzumachen, während Deutsche immer noch Schnitzel mit Tunke servieren. Und die halbe Welt nimmt den Burger mit roter Zuckerpampe aka Ketchup zu sich. Wie man es halt gewöhnt ist…
Mit den kurzen Ausflügen in die Musik und Kulinarik sollte keinesfalls die Herausforderung der kognitiven Dissonanz kleingeredet werden. Vielmehr sollten die Menschen doch motiviert werden, die entsprechenden Kognitionen miteinander vereinbar zu machen, wie beispielsweise Verhaltensänderungen oder Einstellungsänderungen. Da hat die Politik in Österreich weitgehend versagt, indem sie geholfen hat, die „Covid-Müdigkeit“ in der Bevölkerung Platz greifen zu lassen, statt durch Konsistenz dagegen zu arbeiten. Damit wurden, auch wenn ungewollt, die Menschen dazu gebracht, sich gegen die Schwachen und Schwächsten zu stellen. Das ist für eine demokratische Gesellschaft schon eine gefährliche Verschiebung in der Wahrnehmung der sozialen Verantwortung. Das werden bestimmte Kräfte in der Gesellschaft ausnutzen, mit der schäbigen Devise, „die Menschen dort abzuholen, wo sie sind“.
Zum Abschluss noch ein wenig zur Zahl der Todesfälle von diesem Jahr. Es wurden bei über 65-Jährigen mehr Todesfälle verzeichnet, als in dieser Zeit üblicherweise geschehen. Das wird als Übersterblichkeit bezeichnet. Bei Personen unter 65 Jahren bewegen sich die Todesfälle 2022 im Bereich der Normwerte, es ist bei ihnen also keine Übersterblichkeit feststellbar. Es ist verblüffend, wie deutlich die Übersterblichkeitsspitzen mit den Höhepunkten der Corona-Wellen korrelieren: In der BA.2-Welle vom März und April, in der sommerlichen BA.5-Welle und nun auch wieder in der jüngsten Herbstwelle. In der Öffentlichkeit wurde praktisch nur die Übersterblichkeit im Sommer diskutiert und zwar im Zusammenhang mit der Hitzewelle, hier.
Fast identische Beobachtungen gibt es in der Schweiz, dort ist allerdings die offizielle Zahl der erfassten Covid-Todesfälle durch das Bundesamt für Gesundheit viel kleiner als die durch die AGES für Österreich gemeldeten Zahl an Covid-Todesfällen. In Österreich wurde, nach einem Abgleich mit dem nationalen Sterberegister (Statistik Austria), die Zahl der Covid-Todesfälle für das Jahr 2020 von 6456 auf 7637 (+15,5%) korrigiert (2021 betrug die Korrektur 20,6%). In der Schweiz gab es für das Jahr 2020 eine größere Korrektur, es gab 9991 Covid Todesfälle – das sind 2335 mehr als bisher ausgewiesen (+30,5%). Es ist davon auszugehen, dass ähnliche Korrekturen für 2022 vorzunehmen sind.
Der Zusammenhang mit den Corona-Wellen legt nahe, dass Covid bei den zusätzlichen Todesfällen eine wichtige Rolle zu spielen scheint. Covid muss dabei nicht unbedingt die unmittelbare Ursache der Übersterblichkeit bedeuten. Es kann auch sein, dass die Infektion mit SARS-CoV-2 zu einer Aggravierung von vorbestehenden Erkrankungen geführt hat.
Auch bei der Übersterblichkeit im Sommer könnte Covid eine große Rolle gespielt haben. Personen könnten nach einer Covid-Erkrankung empfindlicher auf Hitze, Infekte oder andere Ereignisse reagieren. Noch ist es unklar, wie viele der Todesfälle direkt durch Hitze oder durch Covid verursacht wurden, oder ob viele ältere Leute durch vergangene Covid Infektionen geschwächt und besonders anfällig für die Hitze waren.
Interessant, aber selbstverständlich nicht einfach auf Österreich übertragbar ist ein Bericht des Gesundheitsministeriums von Singapur, der vor gut einem Monat mitteilte, dass die Übersterblichkeit ausschließlich Personen betreffe, die mit Sars-Cov-2 infiziert gewesen seien. Bei diesen Personen tötete Covid entweder sofort oder verschlimmerte bestehende Krankheiten, die ihren Tod innerhalb von 90 Tagen verursachte. Covid-19 erhöhe das Risiko für spätere Herzinfarkte und Schlaganfälle, heißt es im Bericht. Überproportional seien zudem jene betroffen gewesen, die nicht auf einem aktuellen Impfstand gewesen seien.
Wenn nun doch hauptsächlich Covid für die Übersterblichkeit verantwortlich ist, stellt sich die Frage, ob mit einer umfassenderen Booster-Kampagne Leben hätten gerettet werden können. Und ab jetzt stellt sich die Frage, wieso nicht in allen Impfzentren Österreichs gleichzeitig gegen Grippe und Covid geimpft wird. Es spricht alles für eine gleichzeitige Doppelimpfung! Gibt es das nur in Wien?« R. Z.
Distance, hands, masks, be considerate! Ihr Armin Thurnher