Man darf sich trotz allem Miesen die Freude nicht vermiesen lassen!

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 851

Armin Thurnher
am 06.10.2022

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Ian McKellen als Gandalf der Weiße in Peter Jacksons The Two Towers (2002) Screenshot: Wikipedia

Ich habe genug. Mir reicht’s. Ich muss von etwas anderem reden. Raus aus dem Stinkstall Medienösterreich, Fenster auf. Südwind, Meeresluft. Ach, da sind auch Faschistinnen, Frau Meloni zum Beispiel. Man wird seines politischen Lebens nirgends froh. Nun muss ich lesen, dass die Postfaschistin Meloni, die sich als Draghistin geriert und postpragamatisch gibt, auch eine Tolkienistin ist. Sie liebt Hobbits, heißt es, den Herrn der Ringe. Elben, Aragorn, Arwen, Galadriel, Gandalf und das ganze Zeug. Und wissen Sie was? Ich mag das Zeug auch.

Man kann es als politische Parabel nehmen. Nein, nicht das Märchen des Mythenforschers und Sprachwissenschaftlers J. R. R. Tolkien. Sondern den reflexartigen Umgang mit diesem Märchen. Er soll für manche verfemt sein, weil es in rechten Kreisen Zustimmung findet.

Nichts dümmer als das. Wer ein Märchen der Brüder Grimm gut findet, interessiert mich bei der Beurteilung dieser Person, aber nicht des Märchens. Ich beurteile selbst, ob ich das Märchen gut finde oder nicht.

Auch der Selbstdenker hat übrigens eine ungute Karriere gemacht, seit ihn Kant als Ideal und Voraussetzung aufgeklärten Verhaltens hinstellte. Mittlerweile ist ein Selbstdenker einer, der alles ablehnt, was gescheiter ist als er selber und vor allem, was ihn gescheiter machen könnte.

Ich lernte Tolkiens Märchen 1968 kennen, als ich gerade mit Hilfe weicher Drogen, des Vietnamkriegs, exzessiver Rockmusik, ein bisschen freier Liebe und viel Autostoppens mitten in meiner Mutation vom Vorarlberger Provinzstädtling zum hippiesken Kosmopoliten steckte. Damals reichte man den Herr der Ringe in solchen Kreise unter der Hand im Flüsterton weiter, so, als würde hier jene neue geheime Gegenwelt errichtet, in der die langhaarigen Feen und Elben, mit denen man sich die Zeit vertrieb, ihre neue Welt fänden.

Ich sah mehr politische Überschneidungen zur Linken als zur Rechten, zumal sich die politisierten Hippies, denen ich zuneigte, Yippies nannten und zu Demonstrationen gegen „das System“ und den Draft, also die Wehrpflicht zusammenrotteten und manchen Polizeiknüppel auf ihr Haupt zogen.

Ein weiter Weg zu Giorgia Meloni. Da rede ich noch gar nicht davon, dass ich mir auch die Gedichte des Faschisten Ezra Pound nicht vermiesen lasse, von denen sich Frau Meloni gar nicht erst zu reden traut.


Ich war 1968 mit Tolkien schon sehr spät dran, denn bereits 1954 war in der New York Times eine Rezension des ersten Bands des Herr der Ringe von einem meiner liebsten Dichter erschienen, von W. H. Auden, aus der ich einen Auszug übersetze, nicht ohne die mahnende Bemerkung, dass es kaum etwas Vertrottelteres gibt als aus einem, der etwas liebt, auf das zu schließen, das dieser eine liebt. Oder auch: man darf sich von seinem politischen Gegner nicht etwas entreißen lassen, dem man sich selbst zugehörig fühlt. So verarmt und verengt man seine eigene Welt, und das ist nicht das geringste Problem der neueren Linken, dass sie jene Fehler wiederholt, die ihre Vorfahren schon in den 1930er Jahren machten.


Jetzt aber W. H. Auden, 1954:

„Vor siebzehn Jahren erschien ohne großes Aufsehen ein Buch namens ,Der Hobbit‘, das meiner Meinung nach zu den besten Kindergeschichten dieses Jahrhunderts gehört. In ,Die Gefährten des Rings‘, dem ersten Band einer Trilogie, setzt J. R. R. Tolkien die phantasievolle Geschichte der imaginären Welt fort, in die er uns in seinem ersten Buch eingeführt hat, aber in einer Art und Weise, die für Erwachsene geeignet ist, also für diejenigen, die zwischen 12 und 70 Jahre alt sind. Für alle, die das Genre mögen, zu dem dieses Buch gehört, nämlich die heroische Suche, kann ich mir kein schöneres Weihnachtsgeschenk vorstellen. In allen Suchen geht es um einen numinosen Gegenstand, das Wasser des Lebens, den Gral, einen vergrabenen Schatz undsoweiter; normalerweise ist dies ein guter Gegenstand, den der Held finden oder vor dem Feind retten muss, aber der Ring in Herrn Tolkiens Geschichte wurde vom Feind geschaffen und ist so gefährlich, dass selbst die Guten ihn nicht benutzen können, ohne verdorben zu werden.

Herr Tolkien hat das Glück, eine erstaunliche Begabung für Namensgebung und ein wunderbar genaues Auge für Beschreibung zu besitzen; wenn man sein Buch beendet hat, kennt man die Geschichten der Hobbits, Elben, Zwerge und der Landschaft, die sie bewohnen, so gut wie seine eigene Kindheit.

Und schließlich muss man, wenn man eine Geschichte dieser Art ernst nehmen will, das Gefühl haben, dass sie, so sehr sich ihre Charaktere und Ereignisse auch oberflächlich von der Welt, in der wir leben, unterscheiden mögen, dennoch der einzigen Natur, die wir kennen, unserer eigenen, den Spiegel vorhält; auch das ist Herrn Tolkien hervorragend gelungen, und was im Jahr des Auenlandes 1418 im Dritten Zeitalter von Mittelerde geschah, ist im Jahr 1954 n. Chr. nicht nur faszinierend, sondern auch eine Warnung und Inspiration. Kein Roman, den ich in den letzten fünf Jahren gelesen habe, hat mir mehr Freude bereitet als ,Die Gefährten des Rings‘.“


Distance, hands, masks, be considerate! Ihr Armin Thurnher

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