Content statt Köchel? Kontra! Nach orf.at geht es nun Ö1 an den Kragen.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 849

Armin Thurnher
am 04.10.2022

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Aus der Bilderbeilage zu Radio Wien, der Programmzeitschrift der Ravag, Ausgabe 15. 3. 1929

Die Managerin eines öffentlich-rechtlichen Senders, welche die Fangphrase „mehr Content statt Köchel-Verzeichnis“ vorbringt, gehört umstandslos gefeuert. Auch wenn sie den gleichen Nachnamen trägt wie der erzürnte Autor.

Andererseits würde ich diese Phrase gern in meterhohe Buchstaben aus Beton gegossen sehen, die ich zu einem Riesendenkmal der Ignoranz aufeinandertürmen würde, das vor dem nun ganz und gar asbest- und geistbefreiten Küniglberg aufgestellt würde, jener ORF-Zentrale, wo sich neuerdings im sogenannten Nussruhm sämtliche redaktionell tätigen Anstaltsmenschen zentral einfinden, um einander jenes hirngetriebene und hoffentlich bisher halbwegs sensible Miteinander abzugewöhnen, das man in Zeiten halbwegs vernunftgeleiteten Publizierens noch Redaktion nannte.

Diese Newsrooms sind – abgesehen von politischen Kontrollphantasien nach dem Muster des Foucault’schen „Überwachen und Strafen“ – vor allem die Ausgeburt managerieller Phantasien von Mediengeschäftsleuten, die keine Ahnung haben, was Journalisten brauchen, um gute Medien zu schaffen. Diese Räume sind – zumindest gedanklich (wenn sich dieses Adjektiv in diesem Zusammenhang nicht verbietet) – meist konzentrisch um ein hierarchisches Ego im Zentrum angeordnet, das sich dann durch notorische An-, meist aber Abwesenheit als Vakuum herausstellt.

Ja, der Content und der Newsroom, da fehlt nur noch die Pipe, durch die das alles rinnt, transportables Content-Material für den Container, das besser beim Spediteur oder auf dem Mistplatz aufgehoben wäre als bei solchem Leitungspersonal, das mit vorgefertigten „zitablen“ Messages seine Überforderung kontrolliert zu verbergen sucht.

Der Satz „mehr Content als Köchelverzeichnis“ ist derartig abgründig seicht, dass man ihn sich näher anschauen muss, was sogleich zur größtmöglichen Ferne führt. „Content“ soll vermutlich so etwas wie Inhalt bedeuten. „Köchel“ wäre dann nur die managerielle Abkürzung für das verachtenswerte Zeug dieser sogenannten kreativen Querköpfe und kommerziell unbrauchbaren „Kreativen“, dieses schwer verkäuflichen Gezüchts, das sich an Musik, Literatur und Kino anklammert, vorgeblich für politische Absonderlichkeiten wie die Verbesserung der Welt und die Gestaltung der Gesellschaft nach vernünftigen Grundsätzen. Entstünde „Content“ dann, wenn es gelingt, aus jenem krausen „Kunst“-Zeug der Sonderlinge, indem man es durch Pipes jeglicher Art zu sogenannten Zielgruppen bläst, doch noch „Reichweite“ zu produzieren? Also nichts anderes als eine Ware?

Selbst wenn das so gemeint wäre, gäbe es nichts weniger Angemessenes als den Gegensatz zu Mozarts Werk, für das ja wohl das Köchelverzeichnis stehen soll. Selbst vom Content-Standpunkt ist Mozarts Musik nämlich ein Quotenbringer. Gälte das Urheberrecht noch für ihn, könnten sich Thurnher und Weißmann nicht einmal einen Zipfel dieses Contents leisten. Der von Mozart geschaffene materielle Reichtum ist in der Tat unvorstellbar groß, und ich weise nur auf die kaufmännische Dimension hin, um das Riesenmaß des Banausentums sichtbar zu machen, das hinter dem Satz „Mehr Content, weniger Köchelverzeichnis“ steht und den spirituellen Reichtum Mozarts dessen Warenform abwertend gegenüberstellt.

Ingrid Thurnher sagt auch: „Natürlich hat Ö1 als Info- und Kultursender auch eine Aufgabe als Kulturproduzent. Das ist eine wirkliche Funktion von Ö1, die wir nicht aufgeben dürfen. Aber vielleicht geht nicht mehr alles, was bisher gegangen ist.“

Was aber wird gehen, wer wird es feststellen? „Um den heutigen Radiomarkt zu beurteilen, muss man sich auch den Hörgewohnheiten der Menschen näher zuwenden. Das tun wir mit einer sogenannten Audiomarkt-Studie, mit der wir erheben wollen: Wann hören die Menschen warum welches Radio, welche Angebote, was verbinden sie damit, was erwarten sie davon? Aus dieser Studie erhoffen wir uns Aufschluss, womit wir es auf dem Audiomarkt zu tun haben – also nicht nur Radio, sondern auch Streaming wie Spotify.“

In dieser Sprache will ich nicht über meinen Sender sprechen hören.

Eine über Ö1 herrschende Radio-Chefin sollte wissen: Dieser Sender definiert sich geradezu dadurch, dass er nicht mit „Audiomarktstudien“ gemessen werden kann. Ö1 ist der klingende Gegensatz zu Formatradio. Dieses wird in Audiomarktstudien gemessen, Ö1 trotzt solchen Studien. Es ist Teil der Kultur dieses Landes. Es ist Team Köchel, um es milieukompatibel auszudrücken, nicht Team Content.

Radiodirektorin Ingrid Thurnher hat sich vermessen, ehe die Messung überhaupt begann. Das lahme Zurückrudern des ORF-Generaldirektors Roland Weißmann, der von all dem überhaupt nicht überrascht wurde, täusche niemanden. Es ist zu befürchten, dass wir hier und bei den „blauen Seiten“ den ersten Akten eines größeren Dramas beiwohnen, das da heißt: Ehe es mit dem Neoliberalismus politisch vorbei ist, schlachten wir noch schnell jene heilige Kuh, die ihm medial aus Prinzip im Wege stehen sollte: den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.


Diese Petition formuliert viel mehr als das, was hier im Zorn gesagt wurde, vernünftig und rational. Sie müssen sich also nicht genieren, sie zu unterschreiben. Was ich Sie ausnahmsweise bitte, zu tun.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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