Flood the zone with us! Eine Antwort auf Armin Wolf.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 842

Armin Thurnher
am 26.09.2022

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Johann Sebastian Bach wird mir verzeihen. Ich wollte einige der schönen Briefe, die ich nach meinem Bach-Text bekam, zu Wochenbeginn abdrucken und ein wenig weiterspinnen. Aber daraus wird nichts. Aufgeschoben. Die Tirolwahl fiel als Feststellung allseitiger Austro-Unterdurchschnittlichkeit so gemütsdämpfend aus, dass ich sie beruhigt beiseite lassen kann.

Mein samstäglicher Ausritt gegen das Vorhaben des ORF-Generaldirektors Roland Weißmann, die sogenannten blauen Seiten von orf.at zu halbieren, regte erfreulicherweise nicht nur mich, sondern einige andere Menschen auf.

Der Schock, dass jemand ein Medium einfach zerstören kann, um in einem Deal mit anderen Medien Platz zu schaffen und parteipolitische Meter zu machen, geht mir nicht in den Kopf hinein.

Einige Fragen, die in diesem Zusammenhang gestellt wurden, vor allem zum Thema Bürgerlichkeit, würden mich hier übrigens einfach zu weit wegführen. Man kann so etwas auf Twitter nicht diskutieren, also ich kann es nicht, und glaube es begründen zu können.

Steve Bannon

Aber das muss ich nicht selber tun. Armin Wolf tut es im Profil für mich. „Letztlich haben Social Media mit ihrer hoch industrialisierten Bewirtschaftung von Emotion, Empörung und Ressentiment den öffentlichen Diskurs nicht besser gemacht, sondern ziemlich versaut“, schreibt er in dort einem Gastkommentar. Um dann frohgemut den Schluss zu ziehen, man müsse, analog zur Forderung des rechtsextremen Trump-Ideologen Steve Bannon, das Gelände zuzuscheißen („flood the zone with shit“), die Social Media vielmehr mit anderem versorgen: „Wir Medienmenschen sollten Social Media mit gutem Journalismus fluten.“

Fluten des Guten? Ich war von Anfang skeptisch gegenüber den demokratischen Möglichkeiten dieser Social Media. Dafür wurde ich in mich damals durchaus verblüffender, mittlerweile aber alltäglicher Weise als Abt der Holzklasse, stumpfsinniger Reaktionär und maschinenstürmender Ignoramus hingestellt.

Das Absurde ist ja gerade, dass ihren Möglichkeiten nach die Digitalisierung unerhörte demokratische und universelle Möglichkeiten bietet, dass aber das, was Wolf „hochindustrialisierte Bewirtschaftung von Emotion, Empörung und Ressentiment“ nennt, dem nicht nur entgegensteht, sondern es systematisch zerstört.

Die Tech-Konzerne folgen dem Prinzip jedes Extremkapitalismus und kennen keine Selbstbeschränkung, anders als Medien, die – wenn sie solche sind und nicht bloß Unterhaltungsunternehmen – immer auch demokratischen Spielregeln unterworfen sind und, das ist wichtig, sich ihnen freiwillig unterwerfen.

Die Social Media Konzerne richten ihre Algorithmen und ihre Geschäftspraktiken gezielt und geradlinig danach aus, Aufmerksamkeitsgewinne in Werbegeld umzumünzen. Medien, die diesem Prinzip nicht folgen, Politik, die diesem Prinzip nicht folgen will – das sind ihre natürlichen Feinde. Nicht ihre Gegner, ihre Feinde, die sie im Kampf um für sie möglichst günstige Geschäftsbedingungen niederzuringen trachten. Die Verleger, die Publizisten, die traditionellen Medien aller Arten haben diese Gegnerschaft zu spät erkannt und flüchten sich noch immer in aussichtslose „Partnerschaften“; die Staaten haben ihr in verrückten Marktliberalisierungen, gesetzlichen Ausnahmeregelungen und Toleranz bei Steuerdiebstahl Vorschub geleistet.

In ihren Interaktionen mit dem Publikum zielen sie umstandslos auf die schlechtesten Instinkte der Menschen, fördern Aggression, Ressentiment, Verleumdung, Hetze, Lüge. Mittlerweile ist diese Welt der Social Media jedoch derart umfassend geworden, dass man als Publizist nicht mehr existiert, wenn man nicht dort ist.

Man muss also dort sein, da hat Wolf recht. Die Social Media machen uns Publizierenden ein Angebot, das wir nicht ablehnen können.

Aber dieses Dortsein ist fatal: es ermöglicht es uns eben nicht, diese Zone mit gutem Journalismus zu fluten. Vielmehr flutet diese Zone uns mit ihren Prinzipien. Sie macht aus Journalisten Werbeträger ihrer selbst. Sie reißt in uns jene Wand nieder, die wir in den Redaktionen zwischen Anzeigenabteilungen und Journalisten errichtet haben. Wir publizieren auf Social Media, ja, aber wir werben dort in erster Linie für uns selbst und für unsere Medien, und damit sind wir keine Journalisten mehr, sondern etwas anderes: Social-Media-Publizisten.


Müssen wir deswegen den Kopf hängen lassen? Ja und nein. Ja, weil es so gekommen ist. Nein, weil wir einen Schritt weiter gehen müssen als Wolf. Wir müssen es möglich machen, diese Zone dem Journalismus wieder zu öffnen.

Das heißt, wenn die Infrastruktur der Zone dem Journalismus prinzipiell widerspricht, wie ich behaupte, müssen wir die Infrastruktur der globalen Öffentlichkeit jenen Prinzipen entziehen, die ihr Verderben sind: dem Gewinnstreben der Tech-Konzerne, die nichts scheuen, um alle Hindernisse dieses Strebens zu eliminieren, nicht zuletzt den demokratischen Rechtsstaat.

Wie kann das gehen? Durch deren Zerschlagung und durch die Anwendung des öffentlich-rechtlichen Prinzips auf die Organisation der Infrastruktur dieser Öffentlichkeit, sprich durch Marktfairness und Algorithmen-Ethik. Ich verstehe nicht, dass ein öffentlich-rechtliches Unternehmen wie der ORF sich nicht diese Forderung zu eigen macht, sondern stattdessen Teile seines besten Journalismus (altes Prinzip) opfert, um sich den Social Media anzuschmiegen, als wäre das die Art und Weise, wie man „die Jugend“ gewinnt, während man sich in Wahrheit der Erpressung beugt, jenem Angebot, das man nicht ausschlagen kann, das wir alle nicht ausschlagen können.

Weiter in diesem Zusammenhang auftauchende Fragen werde ich gern versuchen, hier und anderswo zu beantworten; ich schreibe, ich weiß nicht, ob ich es Ihnen schon gesagt habe, an einem Buch. Fragen auf Twitter an mich zu richten ist nicht sinnlos, aber dort werde ich sie nicht beantworten können. A dogfight is not a debate.

In Sachen orf.at und der Kantschlagqualität des Generaldirektors Weißmann werde ich allerdings keine Ruhe geben.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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