Von Bacher zu Weißmann. Wie sich Österreichs Bürgertum selbst zerstört.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 841

Armin Thurnher
am 24.09.2022

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Das ist einmal klare Leadership, echte Kante, Hand-Kante sozusagen. Echte Kantschlag-Qualität. ORF-Generaldirektor und Karateka Roland Weißmann gab bei den Medientagen bekannt, das Angebot von orf.at werde textmäßig halbiert, dafür werde es dort mehr Videoclips geben.

Ich halte Herrn Weißmann für ein Genie. Allerdings nicht in medialen Dingen, sondern in Auftragserfüllung. Exakt erfüllt Weißmann die Vorgaben jenes Herrn, der ihn in den Chefsessel hievte, von Sebastian Kurz, nämlich den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu zerstören.

Dass das von der Spitze des Unternehmens aus geschieht, kann man nicht anders als genial nennen. Was war doch Gerd Bacher für ein historischer Irrtum! Der weiland ORF-Generalintendant knüpfte an die Anfänge des öffentlich-rechtlichen Rundfunks an, an diese BBC-Oberlehrer, und hatte die Flausen, aus dem ORF so etwas wie eine Schule der Nation zu machen, ein nationalkonservatives Medium ernsthaften Zuschnitts mit Fenstern für Freaks und Sonderlinge. Da kamen dann der Club 2, österreichische Filme, das Radiosymphonieorchester und andere Abartigkeiten heraus, als Spätblüte zum Beispiel die Website orf.at, die ”blauen Seiten.“

Bacher konnte reden, denken und Politik machen. Er war der Schuldirektor der Nation, und Hugo Portisch war sein Oberstudienrat.


Die österreichischen Zeitungsverleger – und ich sag das im vollen Bewusstsein, selbst so einer zu sein, ein österreichischer Druckwerkverleger, kein Zeitungsverleger im eigentlichen Sinn, aber doch irgendwie einer von ihnen – die österreichischen Zeitungsverleger waren je schon von der Torheit besessen, wenn sie nur den ORF kleinkriegen würden, würde dessen Redimensionierung automatisch ihre eigene Größe wachsen lassen, die sie naturgemäß nur in Marktanteilen messen. In Wahrheit besorgten sie damit nur das Geschäft jener deutschen Verlage, die sich dann auch bald darauf bei den meisten von ihnen beteiligten. Zu deren TV-Sendern wanderten nämlich jene Werbegelder, welche die österreichischen Zeitungsverleger dem ORF abgetrotzt hatten, und nicht zu den österreichischen Zeitungen.

Die österreichischen Zeitungsverleger haben kein Interesse, den Geist der Zeitung zu erhalten. Der Geist der Zeitung, das wären redaktionell gestaltete Qualitätsmedien, die mit ihren Beiträgen den gesellschaftlichen Diskurs anregen und ihn damit zumindest als Fiktion ermöglichen. Man könnte auch sagen, sie tragen zur Kultur eines Landes bei.

Diese Idee missfällt dem landestypischen Zeitungsverleger jedoch grundsätzlich. Er ist der Meinung, sein Geschäft bestehe vor allem darin, die eigenen Taschen zu füllen und die eigenen Marktanteile auszuweiten. Hört er Kultur, entsichert er seine Plastik-Aushangtasche. Inbegriff dieses Typus sind die Damen und Herren Dichand, Fellner oder ein Bundesländerverleger Ihrer Wahl.

Der Generaldirektor des öffentlichen Rundfunks in Österreich, also des ORF, gleicht dem österreichischen Zeitungsverleger insofern, als ihm der demokratische, der öffentliche Zweck seines Unternehmen so wurscht ist wie die Wurscht dem Vegetarier. Deswegen tut er alles, um diesen Zweck im Programm seiner Sender kleinzuhalten und der Politik, wo er kann, in den Hintern zu kriechen. Das schien einst ein Mittel zum edlen Zweck, hat sich aber durch lange Übung zur selbstberechtigten, stolzen und wohlbezahlten Existenzform entwickelt.


Nun treffen sich die beiden Verhaltensweisen idealtypisch: Der österreichische Zeitungsverleger (und sein Interessensvertreter, der dessen Eigenschaften in geradezu schnapsartig destillierter Klarheit vorführt) und der österreichische ORF-Generaldirektor entwickeln gemeinsam eine Geschäftsidee: Sie machen eines der besten österreichischen Medien kaputt: sie halbieren orf.at; und zwar wegen „Zeitungsähnlichkeit“. Das heißt, weil es die Zeitungen in für diese peinlicher Form an ihre Aufgaben erinnert, zu Diskurs und Kultur beizutragen. Weg damit!

Das ist genial, denn ihr Hans-im-Glück-Denken wird die Zeitungsverleger danach noch beklagenswerter (und nicht einmal reicher) zurücklassen als zuvor. Oder werden sie überhaupt bemerken, dass die Verpartnerung mit den Tech-Medien, im Sinne des von der hilflosen, aber bei jeder Entkultivierung hilfsbereiten Medienministerin Susanne Raab vorgetragenen Schramböck-Schlachtrufs „Digitalisiert euch!“, sie nach einem erneuten schlechten Tausch wieder mit leereren Händen dastehen lässt?

Das könnte uns egal sein, wären nicht die wahren Geschädigten am Ende wir, denen wieder ein Medium genommen wird, das Österreich in der Welt herzeigen könnte, ohne vor Verlegenheit rote Ohren zu bekommen. Denen wieder ein Stück Medienkultur entwendet und auf dem Altar dummer Parteiräson und stumpfsinniger Gier geopfert wird.

In Mediendingen von Selbstachtung zu reden, haben wir uns schon lange abgewöhnt. Als nächstes erledigen sie Ö1, dann kommt die ZiB2. Dann mag Türkis in Ruhe abgewählt werden. Was es hierzulande schon alles zerstört hat, baut niemand mehr auf.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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