Eing’schult is! Die nächste Corona-Welle kommt bestimmt

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 840

Armin Thurnher
am 23.09.2022

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Epidemiologe Robert Zangerle lässt nach Schulbeginn keine Illusionen aufkommen: Omikron BA.5 ist noch da, es ist so krankmachend wie die Alphavariante. An Defiziten bei der Bekämpfung fehlt es weiterhin nicht. Zum Beispiel bei der Beurteilung des Abwassers. Und bei der Politik: „Es ist eine unglaublich gemischte Botschaft, zu sagen, dass wir uns nicht mehr isolieren müssen und dass große Versammlungen uneingeschränkt möglich sind, während man der Bevölkerung einen Herbstbooster anbietet.“ Die nächste Welle kommt, mit weniger Toten, aber mehr Kranken. Zum Trost gibt es hier Informationen über neue Impfstoffe, und darüber, wann sich der Epidemiologe selbst womit impfen lässt. A. T.

 »Die Talsohle nach der Sommerwelle ist durchschritten! So ganz genau stimmt das aber nicht, weil die epidemiologische Lage sowohl international, als auch in Österreich diesbezüglich sehr heterogen ist. So könnte die Talsohle in Wien und im Burgenland noch nicht erreicht sein. Woher wissen wir das? Das Prognosekonsortium bleibt am 20. September  vage: „Die vorliegenden Parameter der gemeldeten Fallzahlen weisen in allen Altersgruppen steigende Raten auf. Insbesondere in der Altersgruppe der 5-14-jährigen kommt es zu Anstiegen. Während die 7-Tage Inzidenz innerhalb von einer Woche von ca. 330 auf 410 Fälle pro 100 000 Einwohner gestiegen ist, gab es in der Gruppe der 5-14-Jährigen eine Erhöhung von ca. 300 auf 500 Fälle je 100.000 Einwohner. Die Abwasserdaten (15. September) bestätigen diesen Aufwärtstrend allerdings nicht. Inwiefern der Anstieg der Fallzahlen auf ein verändertes Testverhalten, das Ferienende, oder epidemiologische Gründe zurückgeführt werden kann, ist noch unklar.“ Schauen wir uns das näher an.

Spitalsbelegung: Zweifellos hat seit Omikron der Anteil der an Covid Erkrankten, die einer Spitalaufnahme bedürfen, abgenommen, vor allem, weil wegen der Impfung und der vielen Infektionen praktisch alle eine gewisse Immunität haben und deshalb schwere Erkrankungen seltener sind als zuvor. Aufgrund der hohen Zahl an Infektionen wird dennoch für eine beträchtliche Zahl von Menschen eine Ansteckung nicht einfach mild verlaufen. Omikron ist in etwa so krankmachend, wie das Ursprungsvirus oder die Alphavariante (aufgetreten Ende 2020/Frühjahr 2021). Und auch Long Covid tritt auf. Schon mehrfach wurden hier Vergleiche mit der Schweiz angestellt, einfach weil mehr oder minder alle Parameter ähnlich sind. Auch das Immunitätsprofil, obgleich dort 2/3 mit Moderna geimpft sind. Einen Vergleich der Todesfälle in der Schweiz mit Österreich diskutierte die Seuchenkolumne vom 28. Juni breit.

Eine Gegenüberstellung der Spitalsbelegung der praktisch gleich großen Schweiz mit jener Österreichs ist interessant und lohnend. Der Anstieg in der Spitalsbelegung durch Patienten mit einer SARS-CoV-2 Infektion erfolgt über mehrere Wochen völlig identisch, Österreich steigt dann aber weiter und fällt langsamer ab. Deutlich zu sehen in der folgenden Abbildung mit der logarithmischen Skalierung (rechtes Diagramm; A blau, CH rot). Das ist eine Entwicklung die in ähnlicher Form im Spätsommer/Frühherbst 2021 beobachtet werden konnte. (Gepunktelte Kurven zeigen Belegung der Intensivbetten.)

Deshalb habe ich hier am 9. August die Frage gestellt, ob der weitere Abfall in den September hinein in Österreich, so wie 2021, geringer ausfallen würde wie in der Schweiz, dieses Mal getriggert durch die Aufhebung der Isolationspflicht? Wir wissen es nicht. Man könnte es allgemeiner formulieren und der Schweizer Bevölkerung eine höhere Health Literacy bzw. eine stärkere Gesundheitskompetenz zuordnen. Der Vergleich zeigt, dass die Talsohle erreicht ist. Die Spitalsbelegung hinkt 7-10 Tage den Fällen nach. Die Tiefe der Talsohle (je tiefer, desto besser) definiert auch die Dauer der sich entwickelnden „Pause“ . Wem diese Vergleiche auf die Nerven gehen, dem oder der verspreche ich hoch und heilig, damit aufzuhören, wenn im Austausch die Unterschiede plausibler erklärt werden.

Die Spitalsbelegung hinkt nach, aber der Nachweis von SARS-CoV-2 im Abwasser geht den Falldiagnosen doch voraus? Ein Blick auf das Abwassermonitoring vom 21. September macht stutzig: die letzten Werte sind, abgesehen von geringfügig niederen Werten im Burgenland alle gleich (niedrig), in der Abbildung rechts unten, inklusive Vergrößerung. Kann das zutreffen? Auf dem Abwasser Dashboard wird das so erläutert: „Mit dem Ende des Schulstandortmonitorings werden mit 1.9.2022 nur noch Daten aus dem Nationalen Abwassermonitoringprogramm (24 Anlagen) verwendet. Diese strukturelle Änderung zeigt sich in der Grafik durch die Bruchstelle im Verlauf. Da im Rahmen des Schulstandortmonitorings bundeslandspezifisch unterschiedliche Labors die Abwasseranalysen durchgeführt haben, führte dies u.a. auch zu mehr Streuung zwischen den einzelnen Bundesländern. Mit Anfang September 2022 ist dieser Effekt reduziert, da im Nationalen Monitoringprogramm nur ein zentrales Labor tätig ist.“ Das ist aber noch längst nicht alles.

Die Werte am 21. September sind alle niedriger, z.B. hatte Wien während der BA.4/5 Welle Ende August einen Wert von annähernd 1000, jetzt ganz knapp über 600 Genkopien pro Tag. Während in Wien die Zentralkläranlage (man kann aber auch durch Entnahme aus Leitungen die Verbreitung in Bezirken, ja Straßenzügen die Lage beurteilen) für die Abwasseranalysen beprobt wird und deshalb die Werte für das ganze Bundesland zutreffen, trifft das für die anderen Bundesländer nicht zu. Für Wien sind, abgesehen von den niederen Werten, die Kurvenverläufe identisch zwischen Ende August und dem 21. September, während dies für die anderen Bundesländer nicht zutrifft. Geradezu grotesk der veränderte Verlauf der Kurve für Oberösterreich (orange), wo in der Deltawelle eine klare Überlastung des Gesundheitssystems beobachtet wurde. Dem Wunsch der Seuchenkolumne vom 31. August, die 24 Kläranlagen einzeln darzustellen, wurde naturgemäß nicht entsprochen. So können wir die „Gerade“ der virtuellen Bundesländer bestaunen.

Das Land Tirol veröffentlicht seit 2. März 2022 Ergebnisse aus dem Abwasser-Monitoring auf einem eigenen Dashboard . In der Regel sind Trends anhand des Abwasser-Monitorings früher erkennbar als aufgrund der medizinischen Testungen, wie man mit Ausnahme Anfang 2022 auf der folgenden Grafik für die erkennen kann. Die rote Linie (aktive Fälle) hinkt beim Anstieg meist nach. Hier findet man auch keine gerade Linie der Abwasserwerte, sondern zuletzt einen klaren Anstieg (blaue Kurve), gefolgt von leicht steigenden Fallzahlen (rote Kurve).

 

Wie soll das auch eine gerade Linie sein? Die Verbreitung von SARS-CoV-2 ist ein dynamischer Prozess, der zu einem im Volumen und zeitlicher Abfolge heterogenen Infektionsgeschehen führt. Eine solche Heterogenität zeigt sich besonders dann, wenn man jede Kläranlage einzeln für sich zeigt, wie in der nächsten Abbildung, wo der Reproduktionsfaktor (kann auch aus dem Abwasser bestimmt werden!) der Zahl der fiktiven Ausscheider gegenübergestellt werden. Die quantitative Analyse der Abwasserproben ermöglicht die Bestimmung der in der Probe enthaltenen Virenfracht. Aus dieser lässt sich – bei Kenntnis der von einer infizierten Person im Mittel ausgeschiedenen Menge an Viren – die Anzahl der Personen abschätzen, welche im Einzugsgebiet einer Kläranlage Viren ausscheiden. Die so abgeschätzten Personen werden als „fiktive Ausscheider“ bezeichnet. Die Reproduktionszahl gibt an, wie viele Personen eine infizierte Person im Durchschnitt ansteckt. Anhand dieses Indikators lässt sich die Dynamik einer Krankheitswelle abschätzen. In Österreich basieren die Schätzungen zum aktuellen Reproduktionsfaktor auf den Fallzahlen, man könnte das auch aus der Zahl der täglichen Krankenhausaufnahmen machen (wenn man das erfasste). Schweizer Wissenschaftler haben gezeigt, dass sich das Konzept auch auf die Virenfracht im Abwasser anwenden lässt.

Je weiter rechts eine Kläranlage in dieser Darstellung angeordnet ist, umso höher ist die aktuelle Belastung im Einzugsgebiet dieser Kläranlage (ausgedrückt als Anzahl „fiktiver Ausscheider“ pro 10.000 Einwohner). Je weiter oben eine Kläranlage in dieser Darstellung angeordnet ist, umso stärker steigen die Belastungswerte aktuell im Einzugsgebiet dieser Kläranlage an. Die strichlierte Horizontale in Höhe des Wertes 1,0 trennt den Bereich der Kläranlagen mit tendenziell steigender Belastung (oberhalb der Horizontalen) vom Bereich der Kläranlagen mit tendenziell sinkender Belastung (unterhalb). In der obigen Abbildung wird der 7. mit dem 20. September verglichen und kann so die Zunahme des Infektionsgeschehen gut ausmachen: in dieser Zeitspanne rücken die Abwasserwerte von links unten nach rechts oben (Tirol gesamt in roter Schrift), nur mehr eine Minderheit der Kläranlagen liegt am 20. September unterhalb der strichlierten Linie. Was man damit nicht zeigen kann, wer die Ausscheider sind, mehr die jüngeren oder die Älteren und natürlich auch nicht mit oder ohne Vorerkrankungen.

Es gibt aber noch etwas, das ins Auge springt: am 7. September ist Sölden ein Ausreißer, sowohl in der Zahl der fiktiven Ausscheider, als auch beim Reproduktionsfaktor (entspräche etwa einer Verdoppelung der Fälle in einer Woche). Da drängte sich der Ötztaler Radmarathon mit 4000 Teilnehmern, der am 28. August stattfand, als Auslöser auf. Wie wird das weitergehen? Eine Diskussion, die in Bayern kurz vor dem Oktoberfest Interessantes zutage förderte („Das Virus im Bierdunst“). Nach dem riesigen Gäubodenfest im niederbayrischen Straubing stiegen in der Umgebung die Corona-Zahlen mit Maximalwerten eine Woche danach rasant auf die höchste Inzidenz in Deutschland an. Im Klinikum Straubing machte sich das wenig bemerkbar und die Welle ebbte rasch wieder ab (Maximalwert der 7-Tagesinzidenz am 28. August mit 737 und am 22. September 225). Ähnliches wurde bei der Erlanger Bergkirchweih und bei der Kulmbacher Bierwoche beobachtet. In Sölden jetzt genau dasselbe, ein geradezu dramatischer Abfall. Der vor allem auch eines zeigt: die Unsicherheit, die Entwicklung zu verstehen, ist größer geworden.

Schule: Ähnliche Unsicherheit entsteht bei der Beurteilung der Rolle der Schule in der Weiterverbreitung. Jedenfalls kann die derzeit beobachtete Zunahme des Infektionsgeschehens nicht einfach der Schule zugewiesen werden (auch nicht einer neuen Virusvariante), obwohl die Entwicklung der Inzidenz der 5-14-Jährigen das schon betont. Aber das könnte komplexer diskutiert werden: während man in den Ferien bei milden Symptomen vielleicht oft nicht getestet hat, war das bei Schulanfang anders. Die Mehrheit will nicht, dass Mitschüler angesteckt werden. Dazu ein gerütteltes Maß an Übertragungen in Schulen und schon habe ich den gewaltigen Anstieg, siehe Pfeil in der nächsten Abbildung. Bei den Ältesten ist kein Anstieg von neuen Infektionen zu beobachten, obwohl die Schwere der Erkrankung in dieser Altersgruppe sicher nicht vom Testen abhält.

Varianten: In Österreich dominiert seit Mitte Juni die Omikron-Subvariante BA.5, die inzwischen andere Subvarianten fast vollständig verdrängt hat. Allerdings spielt jetzt ein Prozess, der bereits bei der Virusvariante Delta beobachtet wurde, eine zunehmend große Rolle, nämlich die Entwicklung zahlreicher Sublinien (bei Delta die vielen „Ays“). Jetzt wird dem mehr Augenmerk geschenkt, einerseits, weil man wissen will, welche Sublinie oder Subvariante sich durchsetzen und zu einer Welle führen könnte und andererseits der Kummer, dass die eh schon dem Immunsystem ordentlich ausweichende Subvariante BA.5 noch weitere Veränderungen (Mutationen) aufnimmt und die Immunantwort nach Impfungen und Infektionen noch weiter schwächt.

Einige dieser Sublinien machen Aufsehen, weil sie tatsächlich in Neutralisationstests ein sehr starkes Ausweichen der Immunantwort zeigen. Vielleicht eine Gelegenheit darauf hinzuweisen, dass die experimentellen Methoden mit Neutralisationstests enorm hilfreich für die Einschätzung der weiteren Entwicklung sind, aber vielfach Limitationen aufweisen (z.B. Pseudoviren, welche Sublinie verwendet wurde etc.), sodass Übertragungen ins epidemiologische Geschehen im „real life“ nur sehr begrenzt möglich sind. Solche „gefährlichen“ Sublinien sind BA.2.75.2 aus BA.2.75 und BQ.1.1.aus BA.5. Diese beiden Sublinien sind derzeit extrem selten, weshalb es schwierig bis unmöglich ist, deren Aufkommen quantitativ zu beschreiben. Es gibt aber eine Reihe von Virusgenetikern und Biologen, die dies versuchen. So hat auch der Evolutionsbiologe Tom Wenseleers aus Leuven (Belgien) trotz geringer Zahlen komplexe Berechnungen angestellt, deren Validität ich nicht beurteilen kann. Er kommt auf eine Dominanz von BQ.1 (er hat wegen der kleinen Anzahl BQ.1 und BQ.1.1 zusammengefasst) im November/Dezember in Österreich (türkise Linie).

Das errechnet Tom Wenseleers auch so für andere europäische Länder, aber nicht für asiatische Länder oder Israel, wo er eine Dominanz von BA.2.75.2 zeigt oder berechnet (pinke Linie). Am 19. August sahen die Berechnungen von Tom Wenseleers auch für Österreich Ende des Jahres eine Dominanz von 2.75.2 vor. Wie immer das da dann sein wird, selbst die Dominanz einer solchen Sublinie sagt dann aber noch nicht aus, ob das eine Welle oder ein Hügel wird. Viele Big Shots in Virologie und Immunologie, wie Christian Drosten aus Berlin rechnen mit einer deutlichen Welle in den nächsten beiden Monaten, oder auch Kristian G. Andersen aus San Diego. Sie lassen dabei offen, ob es sich um eine spezielle Sublinie/Subvariante handelt oder etwas anderes. Eine groß angelegte Kampagne für den Herbstbooster mit den bivalenten Impfstoffen wird entscheidend sein, um die Krankheitslast zu senken. Für Drosten und Andersen ist es jedoch unwahrscheinlich, dass dies ausreicht, um die Infektionen in Schach zu halten, daher werden zusätzliche nicht-pharmazeutische Maßnahmen erforderlich (z. B. Masken, Ausrollen von Tests, einschließlich Heimtests).

Auf den Zahlen- und Buchstabensalat will ich gar nicht näher eingehen, nur eines. Das wird immer schwerer zu vermitteln. Ein kleiner Blick in die Taxonomie: BQ1.1, ein Abkömmling von BA.5, hieß eigentlich BA.5.3.1.1.1.1.1.1, ganz genau aber B.1.1.529.5.3.1.1.1.1.1.1. Damit ist hier aber auch

schon Schluss. Noch etwas: Im Hintergrund hat sich SARS-CoV-2 weiter verändert, und in jüngster Zeit wurde eine Reihe neuer Sub-Varianten identifiziert, die auf ähnliche Mutationsgruppen zurückzuführen sind („convergent evolution“), siehe Auflistung der Mutationen in der folgenden Abbildung.

 

Viel wichtiger für uns alle ist aber die folgende Frage: Was bedeutet das für den Herbstbooster? Im Augenblick dreht sich alles um die mit bizarrer Eigendynamik versehene Frage To boost or not to boost. Als ob das die Frage wäre. Da „es” noch nicht vorbei ist, ist die Beantwortung einfach: Ja! Unbedingt!

Die Diskussion ist ausgeufert. „Die nasalen Impfstoffe wären jetzt wichtig“. „Man kann doch nicht die ganze Bevölkerung alle 4-6 Monate impfen“. Alles richtig, aber für die Bewältigung von Herbst und Winter nicht hilfreich. Wir leben in einer prekären Balance, die offenbar durch mehrfache „mRNA-Booster“ die Fallzahl von Covid „überschaubar“ zu halten vermag. Mit der Einführung von v1.1 (bivalent) hoffen wir, dass wir diese Frist verlängern können.

Wir brauchen wirklich (!) weitere Innovationen für v2.0. Es müssen Auffrischungsimpfungen entwickelt werden, die gegen ein breites Spektrum aktueller oder künftiger SARS-CoV-2-Varianten wirken, sowie gegen andere Coronaviren, die künftige Pandemien verursachen könnten. Coronaviren haben in der Geschichte mehrfach den Sprung vom Tier auf den Menschen geschafft, was zu Pandemien führte. Impfstoffe, die auf breiter Basis gegen eine Vielzahl von Coronaviren schützen können, werden auch künftige Pandemien verhindern. Es sei betont, dass sehr wohl Forschung in diese Richtung betrieben wird (auch in Bezug auf Grippeimpfungen), nicht zuletzt auch von unserem österreichischen „virologischen Aushängeschild“, Prof. Florian Krammer in New York. Er meinte im Dezember 2021 dazu: „Der Erfolg der Covid-19 Impfstoffe hat vielen von uns das falsche Gefühl vermittelt, dass Impfstoffentwicklung für jede beliebige Infektionskrankheit relativ leicht wäre. Ich glaube, wir sind jetzt alle verwöhnt von SARS-CoV-2. Die übliche Entwicklung von Impfstoffen dauert Jahre.“ Das gilt auch im September 2022 noch.

Es gibt klare Anzeichen dafür, dass ewiges Boostern möglicherweise nicht zweckmäßig ist. Nicht weil ein Imprinting („Primary addiction“, „originale Antigenerbsünde“) dem im Weg steht, d.h., weil die Immunantwort gegen das Originalvirus eine Immunantwort gegen neuere Virusvarianten dämpft. Das ist zwar möglich, aber mit Impfstoffen gegen Omikron entweder nicht sehr ausgeprägt oder nicht sehr wahrscheinlich, wie Modelle nahelegen („Primary addiction“ decreases as a function of antigenic distance). Eine wesentlich größere Hürde für das Boostern ist die nachlassende Nachfrage. Jetzt muss endlich ein alter Gemeinplatz heraus: auch der beste Impfstoff hilft nicht, wenn er denn nicht verimpft wird. Wir nähern uns dieser Situation. Zwei Gründe für dieses Nachlassen sollen hervorgehoben werden.

– Unter den Kritikern der aktualisierten Impfstoffe scheint der Glaube zu herrschen, dass eine kritische Haltung zum Herbstbooster zu „besseren Impfstoffen“ (z. B. nasale Impfstoffe, andere Plattformen usw.) führen wird. Ist man sich darüber im Klaren, dass die Erreichung dieser Ziele bestenfalls mehr als ein Jahr entfernt ist? Die Behauptung, die derzeitigen Impfstoffe seien nicht gut genug, ist nicht nur unbegründet, sondern dient buchstäblich nur dazu, die Menschen zu verwirren, die Akzeptanz zu verringern und den Impfgegnern Auftrieb zu geben.

– Die größte Hürde für die Akzeptanz kommt aber von der Politik: Es ist eine unglaublich gemischte Botschaft, zu sagen, dass wir uns nicht mehr isolieren müssen und dass große Versammlungen uneingeschränkt möglich sind, während man der Bevölkerung einen Herbstbooster anbietet. Jetzt, wo die Bedrohung als verschwunden empfunden wird, hört man leider zu oft, wozu soll ich mich jetzt noch impfen lassen? Habe mich eh 3x impfen lassen und Omikron gehabt.

Bei mindestens 2x Geimpften zählt auch der Abstand zur letzten Infektion. Die Dauer der Abstände, (3) – 6 Monate, richtet sich nach dem Risiko schwer zu erkranken, dem Infektionsgeschehen und der dominierenden Variante.

Der Reviewer der Kolumne und der Seuchenkolumnist werden sich in den nächsten 2-3 Wochen mit dem bivalenten Impfstoff mit BA.5 impfen lassen. Ist jetzt doch schneller gegangen als erwartet.

Das Problem in der nächsten Welle wird sehr wahrscheinlich nicht die Zahl der vielen Todesfälle sein, sondern die hohe Zahl der kranken Menschen. Diese werden zwar weniger die Intensivstation oder das Krankenhaus im Allgemeinen brauchen, ihre Abwesenheit von der Arbeit und der Schule wird jedoch zum Problem. Sind wir für einen gesamtgesellschaftlichen Blick vorbereitet? Und Long Covid? Hallo, hört jemand zu?

P.S.:

1) Zulassung der Impfung für Kinder im Alter von 6 Monaten und 4 Jahren könnte noch im Oktober erfolgen.

2) Dritte Impfung wurde für 5-11-Jährige mit Originalimpfstoff zugelassen! Der bivalente Impfstoff könnte für diese Altersgruppe auch noch im Oktober zugelassen werden.

3) Die Zulassung des bivalenten Impfstoffes von Moderna mit BA.5 Anteilen wird für die erste Oktoberhälfte erwartet.

4) Zur Erinnerung:

  1. a) Schüler sollten die 3. Impfung mit dem bivalenten Impfstoff erhalten. Wäre so die große Mehrheit geimpft, wäre das effektiver als die Verbesserung der Raumhygiene. Wer jetzt annimmt, dass die Seuchenkolumne gegen Verbesserung der Raumluft sei, bekommt lebenslanges Leseverbot!

    b) Evusheld, der monoklonale Antikörper, der bisher alle 6 Monate zur Prophylaxe bei Immunschwäche eingesetzt wurde, ist jetzt auch zur Therapie für diese Personengruppe zugelassen.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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