Bürger in Bregenz – ich weiß wohl, was soll’ es bedeuten

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 835

Armin Thurnher
am 17.09.2022

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Blick aus der Pfänderbahn auf Bregenz samt Festspielhaus, Ort des Bürgerstreichs Foto @ Bregenz Tourismus

Wenn ich schon dabei bin, mich über den ORF auszulassen und wie immer bei solchen Auslassungen auch die Feinde des ORF auf den Plan rufe, möchte ich diese Leute auf den Unterschied zwischen Kritik und Feindschaft aufmerksam machen. Was heißt auf den Plan rufen, die haben keinen Plan, sie fühlen sich bloß als Freunde der Freiheit oder so, die meisten jedenfalls, außer denen, die in böser Absicht den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zerstören wollen, nicht so sehr, weil ihnen der reale ORF missfällt, als vielmehr, weil sie die Idee des Öffentlich-Rechtlichen hassen.

Was waren das für Zeiten, als ein Reaktionär wie Gerd Bacher eine progressive Idee wie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk so effizient verteidigte, dass er die politischen Gegner dieser Idee mundtot machte, obwohl diese Gegner sonst in allem mit Bacher d’accord waren? Keine guten Zeiten, denn das Absterben des Mundwerks, zuwegebracht aus welchen Gründen immer, ist nie eine gute Idee.

Bacher war ORF-Chef, als man noch nicht Anpassungsfähigkeit als Voraussetzung für den Job ansah. Das hat sich seit der Jahrtausendwende flott geändert.

Bürger in Bregenz, das las sich gestern hier fast wie eine amüsante Episode. Hat sich halt einer vergaloppiert, der zu niemandem Nein sagen will und kann, weil sein Hauptjob darin besteht, sich selbst gutmütig im Job zu halten. Wozu die Aufregung? Wegen einer verspäteten Charakterstudie Bürgers? Weit gefehlt.


Wenn es wahr ist, dass Bürger im Auftrag seines Generaldirektors in Bregenz war (der Auftrag betraf offenbar den Chefredakteur Matthias Schrom, der ihn kurzfristig an Bürger weitergab, aber Auftrag ist Auftrag, und das Gegenteil anzunehmen, also auftragsloses Handeln von Bürger /Schrom, wäre in Kenntnis der handelnden Personen absurd), bietet sich dem staunenden Auge folgender Tatbestand: Ein dubioses „Medien“-Treffen, inszeniert vom österreichischen Alt-Right-Verschnitt, finanziert von rechten Financiers mit einem durchsichtigen Zweck, wird vom Generaldirektor des ORF durch den Besuch eines leitenden ORF-Redakteurs aufgewertet.

Da schließt sich manches Kurz. Zufällig ist Alexander Schütz, der Geldgeber der zahlenden „libertatem“-Stiftung, Kurz-Spender, Kurz-Financier und neuerdings Kurz-Geschäftspartner. Zufällig ist seine Frau Eva Schütz Hauptgesellschafterin eines Kurz-Jubel- und Revanche-„Mediums“ (dessen schwurbelnder Chefredakteur naturgemäß angewesend war). Und ebenso zufällig ist Roland Weißmann, der Generaldirektor des ORF, ein Geschöpf der Kurz-Ära, ein direktes Ergebnis stolzer Kurz’scher Medienpolitik. Diese Medienpolitik verfolgte, erst mit der FPÖ brachial, danach samtpfötig, aber doch, das Hauptziel, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk kleinzukriegen.

Unter dem Schlagwort „Level Playing Field“ versuchte der weiland Medienminister Blümel, den privaten TV-Sendern (natürlich nicht den nichtkommerziellen) nicht nur mehr Geld zuzustecken, sondern ihnen die Archive des ORF gratis zur Verfügung zustellen (dieses Ziel bleibt aufrecht) und den ORF einer Attraktion nach der anderen zu berauben.

Der ORF sieht davon ab, die öffentlich-rechtliche Idee substantiell zu verteidigen und sich von seinen Gegnern abzugrenzen, einerseits von den kommerziellen Medien, mit denen er leidenschaftlich gern kooperiert, andererseits von den Alt-Right „Medien“. Er sucht, dafür steht der Auftritt Bürgers, offenbar auch dort die Kooperation.

Der Bregenzer Vorfall sollte also nicht als psychologisches Problem oder persönliches Versagen des Hans Bürger gesehen werden, sondern als Mahnmal einer unterlassenen Selbstdarstellung und Abgrenzung des ORF. Der Bregenzer Vorfall zeigt, dass der ORF von innen und von oben her ausgehöhlt wird, und dass der mediale Kurzismus, die Tendenz, Öffentlichkeit zu zerstören, als systemisches Übel weiter wächst.

Es stellt sich nicht einfach die Frage, ob man als ORF (oder als publizistisch orientiertes Medium) am Meeting solcher Leute teilnimmt. Unter bestimmten Umständen kann man das tun – wenn deutlich kommuniziert wird, worum es geht, und wenn es als Auseinandersetzung zweier Welten kenntlich gemacht ist, beispielsweise. Gesprächsverweigerungen werden hier nicht gefordert.

Selbstverständlich ist stets das taktische Interesse der Schwurbler zu berücksichtigen, die mit ihren Provokationen erreichen wollen, dass reichweitenstärkere Medien im Versuch, sie zurechtzuweisen oder zu kritisieren oder sich von ihnen abzugrenzen erst recht stärker machen. Diese Falle ist immer aufgestellt, man muss sich ihrer bewusst sein.

Die schlechteste Alternative aber bleibt, sich freundlich anpassend zu verhalten und abzuducken. Der ORF hat noch immer kein kritisches TV-Medienmagazin (nur das gute Doublecheck auf Ö1). Der ORF tut noch immer nichts, um die Gesellschaft darüber zu informieren, was wichtig an ihm ist und worin der Unterschied zu „Medien“ besteht.

Statt spannende Debatten zu Medienthemen im Fernsehen zu veranstalten, schleicht er zu freundschaftlichen Gesprächen mit denen, die seine Freunde nicht sind. Und statt die Probleme der Herrschaft der Tech-Giganten zu identifizieren und darauf zu dringen, dass auch dort öffentlich-rechtliche Alternativen diskutiert werden (mindestens), sieht er sein Ziel nur darin, sich neuen, jungen Zielgruppen in den Social Media und damit natürlich diesen Medien selbst anzudienen.


Es wäre viel zu tun im ORF. Bürger in Bregenz war nur eines der vielen Signale dafür. Wer will sie hören?


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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