Citizen Bürger

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 834

Armin Thurnher
am 16.09.2022

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Screenshot © ORF

Da sitzt er vor uns, mit seinem besorgten Gesicht, es scheint besorgt über die besorgniserregenden Zeitläufte, die er ab und zu kommentieren muss im ORF, er macht dort etwas mit Politik und Anzügen, und ich dachte immer, sein besorgtes Gesicht beziehe sich auf die besorgniserregende Welt. Jetzt aber weiß ich, der Zirkel der Bekümmernisse, der den Bürgerhans umzirkelt, wenn er es uns so besorgniserregend besorgt, ist viel enger. Er kümmert sich vor allem um sich, und zwar denkt er dabei etwas wie ,Jetzt muss ich aber aufpassen, was ich sage, denn ich möchte auch noch nächste Woche da arbeiten.‘ Oder in seinen eigenen Worten: „Aber ich werde hier mit Sicherheit die Meinung vertreten, die mir bis Montag einen Job noch ermöglicht. Weil ich möchte schon noch ein paar Jahre dort arbeiten.“

Beim Kommentieren heißt es naturgemäß ein Maximum an Balancegefühl aufbieten, vom schwarztürkisen GD abwärts lauscht jetzt alles, die interventionsfrohen Parteisekretariate, die missgünstigen Kolleginnen, die glauben, sie könnten es besser, die betroffenen Pfründner, wie man die Stakeholder in der modernen Welt nennt. Man könnte verrückt werden beim Gedanken, dass man es ihnen allen recht machen muss. Hubschrauberpilot ist Grobarbeit an Balance, verglichen mit dem, worauf ein ORF-Kommentator Rücksicht nehmen muss.

Allen Recht machen kann man es sowieso nicht, aber man muss es so machen, dass keiner was sagen kann, zumindest nicht sagen kann, Sie, Bürger Bürger, haben gegen diese oder jenes verstoßen, und deswegen verstoßen wir jetzt Sie. Da kann die Zuversicht schon einmal in Verstoß geraten, da kann man schon einmal ins Besorgt-Schauen kommen, da kann das kummervolle Dackelgschau schon zum Emblem werden.


Kürzlich saß, wie jetzt bekannt wird, der Bürgerhans bei einer Veranstaltung, die schon da und dort als sehr merkwürdig hervorgehoben wurde, einer Art Mediendiskussion in Bregenz, of all places, meiner Geburtsstadt, die nun wirklich nichts dafür kann, dass sie die Hauptstadt von Russland ist, wo Mediendiskussionen ungefähr so beliebt sind wie öffentliche Prügelstrafen für säumige Steuerzahler.

Der Falter hat über diese „Diskussion“ berichtet, das Bürger-Zitat oben stammt aus diesem Bericht, er hat es wörtlich gesagt, wäre ja auch nichts dabei, so ist es, man weiß es. „Diskussion“ wie auch „Medien“ setze ich im Zusammenhang mit dieser Veranstaltung in Anführungszeichen, weil die Einladenden und die Eingeladenen nicht Medien im gewöhnlichen Sinn repräsentierten, sondern vielmehr jene Art von Medien, die nach amerikanischem Muster dazu beitragen wollen, unsere Medienöffentlichkeit  zu zerstören.

Es ist tatächlich ein Muster: rechte Millionäre oder Milliardäre (hören Sie die Stimme von Bernie Sanders – „the Millionaires and the Billionaires“?) finanzieren rechte bis rechtsextreme Publikationen, um damit die Vorherrschaft liberaler Publizistik, der sogenannten Legacy Media zu brechen. Diese Vorherrschaft ist zwar bei uns nur halluziniert, in einem Land mit ORF und Kronen Zeitung, mit 95 Prozent konservativem Medieneigentum, aber es geht in den Medien für den Geschmack dieser Leute immer noch bei weitem zu rational zu.

In den USA reicht das Spektrum der Diskurszerstörer von Webmedien wie Breitbart über rechte Radios bis zur TV-Station Fox-News des Tycoons Rupert Murdoch. All diese Unternehmen haben als Geschäftszweck die Zerstörung von öffentlicher Vernunft, sie sollen rationalen Diskurs unmöglich machen und ihn durch ein Primat des Glaubens ersetzen. Statt einer von Aufklärung, Wissenschaft, Legalismus und Rationalität angekränkelten Welt propagieren sie den Glauben an den Plan des Schöpfers, die Gottberechtigung Donald Trumps, Wahlen zu gewinnen, den Glauben, dass Corona nur eine Erfindung ist und das Wissen, die Klimakrise sei nur ein Gerücht.

Vernünftigen Dialog und wissenschaftsgestützte Erkenntnis wollen sie durch alternative Fakten und durch Hetze ersetzen, sie wollen die Freund-Feind-Unterscheidung unvermeidlich machen und den verhassten politisch liberalen Gegner (von Links bis in die Mitte) in einer zuletzt unvermeidlich gewalttätigen, entscheidenden Auseinandersetzung von der Macht vertreiben (in den USA geschehen am 6. Jänner 2021).

Die Bregenzer Zusammenkunft war bezahlt von einer Liechtensteiner Stiftung namens „libertatem“, von der bekannt ist, dass sie vom Wiener Finanzunternehmer Alexander Schütz, Financier und nunmehr auch Geschäftspartner von Sebastian Kurz mitfinanziert wird. Schütz’ Frau Eva gibt auch das „Medium“ Exxpress heraus, dessen „Kopf“ Richard Schmitt in Bregenz mit am Tisch saß. Weiters zugegen waren der Schwurbelkasperl des Mateschitz-Senders Servus TV, Ferdinand Wegscheider, und der deutsche publizistische Rechtssteifnacken Roland Tichy. Und Bürger.

Bürgers Anwesenheit war so, als würde sich ein prächtiges Milchkalb zu einer gemütlichen Metzgerrunde setzen und glauben, es sei alles gut, weil es sich eine weiße Plastikschürze umgebunden hat.

Dem Standard zufolge sagte Bürger, er sei in Bregenz gewesen, weil sein Chefredakteur keine Zeit gehabt habe. Glaubhaften Informationen zufolge bat ihn ORF-Generaldirektor Weißmann, nach Bregenz zu gehen. Wo sich Bürger dann benahm, wie üblich, nämlich als kommentiere er ein besorgniserregendes Ereignis im ORF: „Aber ich werde hier mit Sicherheit die Meinung vertreten, die mir bis Montag einen Job noch ermöglicht. Weil ich möchte schon noch ein paar Jahre dort arbeiten.“


Was ist das für ein Land, in dem den verantwortlichen Menschen grundsätzliche Gewissheiten nicht nur nichts gelten, sondern wo sie ihnen offenbar unbekannt sind? Medien samma olle, und wir möchten doch alle noch ein bisschen dort arbeiten. Was wir dort tun, wo unsere Grenzen sind, das wissen wir nicht und das kümmert uns nicht, es sei denn, es könnte unseren Job gefährden.

Da bleibt einem der Mund offen stehen, aber wahrscheinlich ist es bloß so, dass die Unverschämtheit einfach groß genug sein muss, dann kann man sie auch für Dummheit halten. Und die ist ja nicht verboten, oder?


 Morgen vielleicht mehr dazu.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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