Von Stelzer bis Liz Truss – mehr Material zur Katastrophe des Bürgerlichen

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 831

Armin Thurnher
am 13.09.2022

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Man kann zur Zeit von einer Katastrophe des Bürgerlichen und einem Zusammenbruch des Konservativismus sprechen. Wenn etwas rechts auf dem Vormarsch ist, sind es die Faschisten. Pardon, die Faschistinnen und Faschisten. In Oberösterreich hat der oberschlaumeierische Landeshauptmann Stelzer es geschafft, dass rechts von der ÖVP nichts mehr wächst, außer der FPÖ, von der die ÖVP in Umfragen gerade überholt wurde. Stelzer hat stets, die Scheuklappe auf dem rechten Auge, mit der FPÖ paktiert und versucht, sie vielleicht doch noch rechts zu überholen. Ein Franz Josef Strauß ohne Format und Fortüne.

Soviel zu Konzessionen an Bastipolitik, Coronaleugnergeschmuse, mieses Migrantenschikanieren, neue Kulturpolitik und andere segensreiche Oberösterreichereien.


Vergangene Woche war ich bei Freunden. Gemeinsam beklagten wir den Niedergang der Konservativen, aus linker Sicht selbstverständlich, aber dieser Niedergang kann niemandem recht sein. Zugleich aber klagten wir über Medien, denen zum Tod der Queen nichts Würdiges einfiel und wie man nur in den Printmedien wiedergekäut las, was man im Fernsehen schon vorgekäut gehört hatte. Umso kläglicher, weil die alte Dame ja deswegen soviel Rührung auf sich zog, weil sie als rares Beispiel für das Nichtauseinanderklaffen von Amt und Würde geradezu solitär aus der Zeitgeschichte hervortrat.


Foto: Wikipedia

Naja, wollen wir nicht übertreiben. In punkto Abstieg des Konservativismus leisten die Engländer Pionierarbeit. Aber beim Abschied von der Queen brachten sie ein paar wunderbare Texte, oder besser, sie holten sie aus dem Archiv. Mein persönlicher Lieblingsabschiedstext erschien in der London Review of Books. Die druckte eine Geschichte des Schriftstellers Alan Bennett wieder ab. Er erzählt, wie die Queen eines Tages unversehens zur Leserin wird, weil sie, ihren Hunden auf der Spur, in einer selten besuchten Ecke des Palastgartens auf den Bücherbus der City of Westminster trifft, der an das Buckingham-Palace-Personal Bücher verleiht.

Die Queen lernt dort einen vifen Küchenjungen kennen, den sie befördert und der ihre literarische Karriere begleitet, die nicht nur damit endet, dass die Queen wie viele andere vor ihr von der Leserin zur Schriftstellerin wird, sondern … Aber das wird hier nicht gespoilert. Eine großartige Erzählung von Mister Bennett jedenfalls, wert gelesen zu werden.


Wenn ich schon bei dieser feinen Publikation bin, kann ich auch nicht die messerscharfe Zurichtung der neuen Premierministerin Liz Truss durch den Redakteur James Butler aussparen, die dort soeben erschien. Abgang Elizabeth, Auftritt Liz – da haben wir des Schlamassel in nuce. Ich habe mir erlaubt, ein paar Absätze daraus zu übersetzen, weil hier in aller Schärfe und Klarheit jenes konservative Leiden benannt wird, das auch unsere Zwerggranden befallen hat, ohne dass sie und ihre Kritiker es so klar zu benennen wüssten wie ihre englischen Kollegen. Sie werden die traurigen Bezüge nicht überlesen können.

»Es ist schwer, Wahlkampfgerede für die Parteibasis von ernsthaften Plänen für die Regierung zu unterscheiden, aber auch andere Quellen sind stumm. (…) Liz Truss hat kein einziges größeres Gesetz oder eine Reform auf den Weg gebracht; ihre Amtszeit im Außenministerium war von enthusiastischen, wenn auch unterinformierten Konfrontationen mit Sergej Lawrow und Angriffen auf das Nordirland-Protokoll geprägt. In Whitehall hat sie den Ruf, eine „unverbesserliche Informantin“ zu sein, die auf die Aufmerksamkeit der Presse scharf ist und immer einen persönlichen Fotografen dabei hat. Es wäre höflich, ihren Lebenslauf als dürftig zu bezeichnen.

Es gibt aber einige Konstanten. Truss’ Vorliebe für die Ideologie der freien Marktwirtschaft, Deregulierung und Steuersenkungen macht sie zur offensichtlichsten Tory-Führerin der Thatcher-Ära in diesem Jahrhundert. Diese Einstellung teilt sie mit Kwasi Kwarteng, ihrem neuen Finanzminister und engen Verbündeten. Beide waren prominente Mitglieder der Abgeordnetengruppe ,Free Enterprise‘ (Freies Unternehmertum); in ihrem Buch ,Britannia Unchained‘ erklärten sie, dass die britischen Arbeitnehmer ,zu den schlimmsten Faulenzern der Welt‘ gehören. Ihr neues Kabinett, das sich aus Loyalisten und ideologischen Mitstreitern zusammensetzt, deutet darauf hin, dass ihr Modell für die Regierung die zweite Amtszeit Thatchers ist, und ein von Spinnern gesäubertes messagekontrolliertes Kabinett.

Kritiker verweisen auf Truss‘ offensichtlich wechselnde politischen Positionen als Beweis für Unbeständigkeit und Opportunismus: von der studentischen Liberaldemokratin zur feuerspeienden Thatcher-Anhängerin, von der Cameron- Remainerin zur Brexit-Gläubigen. Sie ist eine Opportunistin, wie die meisten erfolgreichen Politiker. Doch seit ihrer Mitgliedschaft in der Hayek-Gesellschaft der Universität Oxford ist der Wirtschaftsliberalismus ihr wichtigstes Anliegen; ihre Begeisterung für Europa war die einer Marktliberalen. Ihre Positionen, die zuweilen explizit reaganistisch klingen, markieren eine Abkehr von jenem Konsens, der die britische Politik seit 1997 bestimmt hat. Am deutlichsten brachte sie dies in einem BBC-Interview am 4. September, zwei Tage vor ihrem Wahlsieg, zum Ausdruck. Als sie mit dem Hinweis konfrontiert wurde, dass ihre Steuerpläne den Reichsten zugute kämen, sagte sie, es sei falsch, ,alles durch die Brille der Umverteilung zu betrachten‘.«

Frau Truss wird keine türkise Brille brauchen.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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