Nein, Neophyten sind keine politische Partei.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 829

Armin Thurnher
am 10.09.2022

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„Warum Neophyten bekämpfen?“, schreibt mir der Kurt Strohmeier aus der Steiermark, ein habitueller, scharfer und oft witziger Seuchenkolumnenleserbriefschreiber. „ Tun wir das mit allen Menschlichen auch? Die bekommen ja bevorzugt die Staatsbürgerschaft, oder wie ich gerade in den Nachrichten höre ebenfalls alle aktuellen Zuschüsse …“ Ja, manchmal lappt er ins bedenkliche, wenn er nicht gar sachslehnert, der Strohmaier, aber da hat er was. Nicht einen Punkt, denn einen Punkt hat man, was immer die Redewendung behaupten mag, niemals.

„Also her mit Neophyten jeglicher Art!“ ruft er mir zu, der Strohmaier, was da sei mit dem Sommerflieder oder mit dem Rhododendron, der im Garten wuchere oder dem Feuerdorn. Und überhaupt: „Die Pielach ist mir auch so was von wurscht!“ Ja, er kultiviert gekonnt seine üble Laune, der Mann aus der Mark, aber wer an der Pielach wohnt, dem ist die Pielach naturgemäß gar nicht wurscht.


Japanischer Staudenknöterich Foto: Josef Ackerl

Ich nehme erfreut zur Kenntnis, dass das Thema doch einiges Interesse findet. So schickt mir zum Beispiel Josef Ackerl, der ehemalige oberösterreichische Landesrat, Fotos des Japanischen Staudenknöterichs, einer invasiven Pflanze, mit der Bemerkung: „Ein ziemlich großes Übel ist der Japanische Staudenknöterich, der angeblich einerseits als Zierpflanze und andererseits als Futterpflanze eingeführt wurde. Er verdrängt viele einheimische Arten. Egal wo. So gesehen bei der Schaumburg, Eferding.“

Dem muss ich einerseits beipflichten und kann ihm andererseits widersprechen. Ich kenne diese Pflanze aus meiner Kindheit. Das Gasthaus Zoll, in dem ich auf die Welt kam, lag an der Bregenzer Ach, an der Mündung des Werkskanals der Kennelbacher Schindlerwerke und der Vorarlberger Kraftwerke in die Ach. Das gesamte Mündungsgebiet war ein einziger Wald von Japanischem Staudenknöterich, der dort allerdings niemanden störte.

An späteren Wohnorten an der Donau und dann an der Thaya traf ich ihn wieder; weil er unsausrottbar schien, bekam er den Spitznamen „der Faschist“.

Jetzt aber, im südostlichen Waldviertel, an schattigem Standort auf sehr lehmigem Boden, kommt er kaum auf; wenn die paar Pflänzchen es zu etwas bringen, essen wir sie. Zart gedämpft und mit Butter, schmeckt leicht säuerlich, zwischen Spinat und Spargel. Gar nicht übel.


Dann stellte sich noch Franz Dorn, Lanius-Mitglied wie seine beiden Kollegen mit den nützlichen Robinien-Tipps mit folgender Mitteilung ein: „Neben Robinien und Schwarznuss breitet sich übrigens bereits der nächste Neophyt hemmungslos aus, der Götterbaum.“

Welchem Wiener fiele da nicht der berühmteste aller Götterbäume ein, der am Südturm des Stephandsdoms? „Der hier wachsende ,Götterbaum‘ wurde etwa um 1850 aus China importiert, da sich auf diesem Baum ,Alianthus-Spinner‘ ansiedeln.

Ziel war es, in Wien eine Seidenproduktion aufzuziehen. Funktioniert hat das nicht, aber immer noch schlüpfen die Falter, die eine Flügelspannweite von 15 cm haben, Mitte Juni, und fliegen am Stephansplatz umher“, weiß dazu die Website „City ABC“.

Der Standard wird geradezu poetisch: „Aber auch der große Götterbaum neben dem albertinischen Chor bewegt sich sanft im Wind. An seinen Ästen pendeln Schmetterlingskokons wie Girlanden an langen Schnüren: es sind die Winterquartiere der prachtvollen Ailanthusspinner. Diese chinesischen Riesenfalter kamen gemeinsam mit dem Götterbaum aus dem Fernen Osten in die Wiener Innenstadt. Hier ist es jene entscheidenden Zehntelgrade wärmer als in den Außenbezirken, die den Faltern das Überleben sichern.“

Faltern das Überleben zu sichern, das ist doch ein edles Ziel, für das es sich zu existieren lohnt. Über Neophyten lassen Sie mich als Hobby-Biosoziologen nur noch sagen: das Bedenkliche ist nicht ihre stolze Eigenart. Bedenklich sind sie nicht, wenn sie herkommen und koexistieren. Wir werden noch froh sein, dass sie da sind, und dass wir Pflanzen haben, die mit veränderten klimatischen Bedingungen zurechtkommen. Auszuufern und ansässige Pflanzen zu verdrängen können sie allerdings sparen. Tun sie das, bringen sie mein Zwetschken- und mein Apfelbäumchen um, werden sie mit allen fairen Mitteln bekämpft („fair“ schließt Pflanzengifte aus).

Insgesamt taugt der Neophyt zu manchem, zur Metapher eher nicht.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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