Covid-Impfung? Vergessen Sie’s! Nein, besser nicht.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 824

Armin Thurnher
am 05.09.2022

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Die Behörden und der Gesundheitsminister sprechen wieder einmal Unklartext. Epidemiologe Robert Zangerle erklärt, wie die neuen Impfstoffe wirken, berichtet von einer Menge Studien zu Impfungen und sagt: „Jedenfalls sollten sich alle, deren Impfung mehr als 6 Monate her ist, jetzt einen Herbstbooster holen, unabhängig von einer eventuellen Infektion/Covid Erkrankung. Vielleicht mit der Ausnahme derer, die in den letzten 3 Monaten an Covid erkrankten.“ Und er berichtet auch noch, wie er es selbst hält. A. T.

 Jetzt ging doch alles schneller als noch vor wenigen Monaten gedacht: Zum ersten Mal stehen veränderte Impfstoffe zur Verfügung, einerseits sind jetzt zwei Komponenten enthalten (bivalent) und andererseits enthalten die Impfstoffe als 2. Komponente zum Originalvirus eine Omikron-Variante. Bivalente Impfstoffe scheinen insgesamt eine vielfältigere Reaktion („breitere Immunantwort“) hervorzurufen, was man im Blick auf künftige Varianten anstrebt. In Australien, Kanada, Großbritannien, der Schweiz und in den Ländern der EU sind jetzt bivalente Impfstoffe zugelassen worden, und zwar mit der „frühen“ (weil als erstes aufgetreten) Omikron-Variante BA.1 und in den USA mit der „späten“ (weil jetzt zirkulierend) Omikron-Variante BA.5 (ursprünglich identisch mit BA.4, deshalb steht oft BA.4/BA.5). Zu den Unterschieden weiter unten und in einer späteren Kolumne.

Moderna und Pfizer-BioNTech hatten bereits im Juli bei der europäischen Zulassungsbehörde EMA einen Antrag zu Zulassung des BA.1-haltigen bivalenten Impfstoffes gestellt. Einen Tag (!) vor der absehbaren Zulassung dieses bivalenten Impfstoffes in der EU hat das nationale Impfgremium (NIG) in Österreich am 31. August die Ergänzung COVID-19-Impfungen: Herbst 2022 zu den Anwendungsempfehlungen vom 10.08.2022 abgegeben. Mir san mir! Ziemlich unterkühlt steht da: „Sobald bivalente Impfstoffe verfügbar sind, können diese entsprechend der Zulassung und der zugehörigen Anwendungsempfehlung eingesetzt werden. Ob die durch bivalente Impfstoffe erhöhte Immunantwort auch tatsächlich eine Verbesserung der klinischen Impfwirkung zur Folge hat, werden die Anwendungsbeobachtungen zeitnah klären.“ Ausgerechnet das NIG, das sich mehr als einmal hinter EMA Zulassungsbestimmungen, auch unberechtigt oder deren Bestimmungen überstrapazierend, versteckte, stellt klar, dass man der EMA folgen „kann“, aber nicht unbedingt folgen wird. Offenbar für den Fall, dass die EMA, was noch gar nicht entschieden ist, den bivalenten Impfstoff mit BA.5 Anteilen ohne klinischen Daten an Menschen zulässt. Analog zur Grippe.

Erste variantenspezifische Einschränkungen der Wirksamkeit von Impfstoffen wurden in Südafrika beobachtet, wo zu diesem Zeitpunkt (2021) die Virusvariante Beta (B1.351) dominierte. Variantenspezifische mRNA Impfstoffe wurden von Pfizer (monovalent) und Moderna (mono- und bivalent) an Menschen erprobt. Präklinische Studien an Mäusen und Makaken, die dieser und anderen variantenspezifischen Studien vorausgingen, waren jeweils prädiktiv für die Studien an Menschen. In der Abbildung, schwarz der vorige, nicht modifizierte Impfstoff, und blau der variantenspezifische Impfstoff. Das grüne Häkchen bedeutet, dass die Daten eine Schutzwirkung zeigen.

Klinische Daten von bivalenten Impfstoffen gibt es von etwas über 1700 Personen, die große Mehrheit mit der Omikron-Komponente. Es gibt zwar subtile Unterschiede in den Mutationen zwischen BA.1 und BA.4/BA.5 Spike-Proteinsequenzen, es sind aber keine Unterschiede in der Sicherheit oder Reaktogenität der Impfstoffe zu erwarten. Die Gesamtzusammensetzung des Impfstoffs sowie die antigene Gesamtbelastung sind gleich wie bei den derzeitigen Auffrischungsdosen (30 bzw. 50 Mikrogramm, für Pfizer-BioNTech und Moderna, die zwei Komponenten zu gleichen Teilen). All dies, aber vor allem die außergewöhnliche Qualität und Quantität an Sicherheitsdaten beim bisherigen Impfstoff reichte für die weit überwiegende Mehrheit der Impfforscher aus, den Schritt wie beim jährlich adaptierten Grippeimpfstoff zu wagen und diese Impfstoffe an Menschen nicht vor, sondern während der Anwendung zu studieren.

Für einige ist der Schritt aber noch zu groß, weshalb es bei der Diskussion über die Anwendung der neuen bivalenten mRNA Impfstoffe durch das Impfgremium (ACIP) der amerikanischen Seuchenbehörde CDC auch eine Gegenstimme gab, die erste klinische Daten verlangte. Gewissermaßen ein Dilemma: Man kann nicht gleichzeitig klinische Daten verlangen und eine gute Übereinstimmung mit den zirkulierenden Varianten erwarten. Salopp gesagt, bis die klinischen Daten da sind, könnte die Variante vielleicht schon wieder weg sein. Bei der aktuellen Evolution von SARS-CoV-2 scheint man sich entscheiden zu müssen, ob man

  • entweder aktualisierte Auffrischungsimpfungen haben kann, die auf der Grundlage präklinischer Daten einigermaßen gut auf die dominanten zirkulierenden Stämme abgestimmt sind.

ODER

  • Man kann klinische Daten für aktualisierte Impfstoffe verlangen, die aber im Vergleich zu den zirkulierenden Stämmen eine größere Lücke aufweisen.

Diese Lücke wird vermutlich nicht größer als zwei Monate sein, aber in den USA ist es Grund genug, die bivalente Herbstimpfung bereits diese Woche auszurollen und nicht erst 2 Monate später. Der Unterschied zwischen einem Ausrollen der Impfung Anfang September und Anfang November hätte nach Modellen über den Winter hinweg 137.000 Krankenhausaufenthalte und 9.700 Todesfälle mehr bedeutet (unter Annahme, dass keine neue Variante auftaucht). Die Präsentationen von Moderna und Pfizer-BioNTech beim ACIP Meeting sind offiziell für die Öffentlichkeit zugänglich, hier und hier.

Gesundheitsminister Johannes Rauch trat am Mittwoch, 20 Tage nach seiner 4. Impfung gegen Covid und wenige Tage vor Schulbeginn vor die Presse und erklärte, dass ab jetzt alle ab 12 Jahren eine 4. Impfung erhalten sollen. Konfusion und Unverständnis folgten annähernd flächendeckend, hier  und hier. Nicht zuletzt, weil die zentralste Veränderung, die aber nirgendwo artikuliert wird, das Abrücken vom Zählen der Impfungen sein wird bzw. aus der Sicht der Seuchenkolumne sogar sein soll. Vielleicht haben der Minister und das NIG das tatsächlich so intendiert? In dubio pro reo? Es gilt, die Herbst/Winterwelle abzuschwächen, dabei ist es völlig egal, ob es die 3., 4., 5. oder 6. Impfung sein wird. Die Medien haben das nicht verstanden, ohne Qualitätsmedien keine Demokratie, wird betont. Gilt doch nicht bei Covid! Es gibt Wichtigeres, bekommt man bei Nachfragen häufig zu hören, als wäre die Pandemie eine Entweder-Oder Frage.

Irgendwie ist es in den Köpfen nicht angekommen, dass die 4. Impfung völlig versemmelt wurde. Studien zur Wirksamkeit der 4. Impfung wurden Ende März in der Seuchenkolumne ausführlich diskutiert. Das nationale Impfgremium hat Anfang April eine Empfehlung für eine 4. Impfung für alle ab dem 80. Lebensjahr ausgesprochen. Diese Empfehlung wurde praktisch gar nicht umgesetzt. Traurig niedrige Durchimpfung der 85+ Österreicherinnen und Österreicher (siehe Graphik unten). Jedenfalls ist dieser desaströse Umgang mit der 4. Impfung ein Fakt, der die Sprechblasen in Politik und Medien eigentlich gnadenlos entlarvte. Wie hohl die Devise, besonders gefährdete Personen („Vulnerable“) schützen zu wollen, aber nichts dazuzutun, um deren Impfraten deutlich zu verbessern! Wer, wenn nicht über 85-jährige sind vulnerable….? Dazu passte auch der nicht-verschreibende Umgang mit dem sehr wirksamen Medikament Paxlovid.

Was gilt eigentlich? Man verstand und versteht auch die Vertreter der Ärzteschaft nicht, wieso wurde da nicht gehandelt? Augen zu und durch? Eh die letzte Welle oder was? Selbst in Deutschland, wo die 4. Impfung schlecht angenommen wurde, sind bei den 60-Jährigen oder Älteren 25% ein viertes Mal geimpft worden. Das unterschreiten wir deutlich (nächste Tabelle). Der Vergleich mit Großbritannien (schon mit Stand Juli 2022!), das heute mit dem großen Ausrollen des Herbstboosters beginnt, beschämt. Alter Kaffee.

Vielleicht noch was zum richtigen Lesen von Zahlen: 80% oder 90% ist doch eh fast das Gleiche, ob man jetzt die Impfrate oder Wirksamkeit der Impfung heranzieht, oder? Weit gefehlt! Es ist ein Unterschied, wenn bei einer Masseninfektion (das ist es, was bei den Omikron-Wellen abläuft) 10% oder doppelt so viele, nämlich 20% betroffen sind. Auch das wurde und wird ständig vernebelt. So nimmt auch der Schutz vor schwereren Verläufen (Notwendigkeit einer Krankenhausaufnahme) über die Zeit ab. Unter strengsten „wegen“ Bedingungen in der Altersgruppe 65+ von 95,8% auf 86,8% nach 15 Wochen, bedeutet das anders ausgedrückt eine Verdreifachung des Risikos. Das sind bei Masseninfektionen dann immer große Zahlen. Machen wir doch das konkrete Rechenbeispiel mit einer fiktiven Population von 100.00 SARS-CoV-2 infizierten Menschen 65+: Bei einem Schutz von 95,8% bekommen 4,2% einen schweren Verlauf mit Krankenhaus, also 4.200 Menschen. Bei einem „eh fast gleichen“ Schutz von 86,8% haben 13,2% einen schweren Verlauf, das sind 13.200 Menschen. Das ist nicht nichts.

Die aktualisierte Impfempfehlung des NIG sei „ein Versuch, ein einfaches, einprägsames und für alle gültiges Impfschema“ zu schaffen, sagte der bekannte Vakzinologe Herwig Kollaritsch, auch NIG-Mitglied. Es ist beim Versuch geblieben, weil das kompromissloser passieren hätte müssen, so hätte das Impfschema weitgehend einfacher gestaltet werden können.

Hier nur zwei Beispiele: In der Altersgruppe 18-59 wird das Intervall zwischen 2. und 3. Impfung mit 4-6 Monaten angegeben, das Intervall zwischen 3. und. 4 Impfung wird mit 6 Monaten angegeben, und nach einer 4. Impfung werden keine weiteren Impfungen für diese Altersgruppe empfohlen, nichts mit Herbstbooster. Klingt nicht durchdacht, so wie die 4. Impfung ab 12? Bisher sind 22% der 12-14-Jährigen ein 3. Mal geimpft, also gälte es die 3. Impfung ordentlich zu organisieren. Wieso soll das nicht der Herbstbooster sein? So wie in den USA, und dann gleich mit den bivalenten Impfstoffen. In Österreich nicht vorgesehen. Das NIG hätte die Anwendungsempfehlungen 1-2 Wochen nach Zulassung der bivalenten Impfstoffen neu adaptieren müssen, aber dann alles in einem Guss, jetzt sind es drei Teile, weil neben den Anwendungsempfehlungen vom 10. August, in der Ergänzung vom 31. August das Impfschema extra gelistet ist.

Um sich jetzt sich nicht in verwirrenden den Details der Impfschemata in Österreich zu verlieren, hier das Impfschema für Nicht-immungeschwächte und Immungeschwächte in den USA, die Unterscheidung hat aber keine praktischen Konsequenzen mehr, weil es weder in den USA noch in Österreich immungeschwächte Personen gibt, die keine Grundimmunisierung mit den Originalimpfstoffen erhalten haben und offen für weitere Impfungen wären. Jedenfalls alle, die aus medizinischen Gründen keine oder nur eine unvollständige Impfung erhalten haben oder können (selten) sollten monoklonale Antikörper (EVUSHELD) alle sechs Monate erhalten.

Bei diesem Impfschema zum Herbstbooster fallen zwei Dinge auf, der Mindestabstand von zwei Monaten und der fehlende Bezug zu Infektionen mit SARS-CoV-2, also auch in den USA. Mindestabstand darf auf keinen Fall als empfohlener Abstand angesehen werden, das wurde bei der ACIP Sitzung deutlich betont, aber ein Mindestabstand von 3 Monaten hätte geholfen, hier ein unausrottbares Missverständnis zu verkleinern. Die Nicht-Berücksichtigung einer vorigen Infektion hat mir schon bei der „Ergänzung“ vom NIG missfallen, so wie vielen anderen: „Die Impfung kann also bereits nach der Genesung bzw. nach Vorliegen eines negativen PCR-Tests verabreicht werden, wenn es das Impfschema zeitlich so vorsieht. Die Impfung kann nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 auch maximal 4-6 Monate aufgeschoben werden.“ Inzwischen jedoch kann ich das nachvollziehen, einfach weil die komplexe Heterogenität der individuellen Impf- und Infektionsgeschichte nicht in leicht verständliche Botschaften gepackt werden kann, aber sehr wohl angemessenes individuelles Verhalten beim Herbstbooster erlaubt. Bei Personen, die geimpft wurden, aber Covid durchgemacht haben, empfiehlt es sich für die meisten Fälle, den Herbstbooster um 3 Monate nach Beginn der Symptome oder, falls Sie keine Symptome hatten, nach einem positiven Test, zu verschieben.

Das Zuwarten beim Herbstbooster trifft praktisch nur auf Betroffene der „Omikron-Sommerwelle“ zu. Hier ein Versuch, sich mit zwei Beispielen dieser Fragestellung zu nähern. Das erste ist eine relativ sehr kleine Studie bei 27 Personen aber mit 291 Proben aus dem Blut (Seren) und 35 Nasenabstrichen aus Frankreich, geleitet von einem Team um Olivier Schwartz, vom Institut Pasteur. So konnten sie zeigen, dass die Dauer der Neutralisation im Laborversuch bei der Omikron-Variante BA.5 auf 5,5 Monate berechnet werden konnte, während beim Ursprungsvirus („D614G“) dieser Zeitraum noch 11 Monate geschätzt wurde. Es kommt aber nicht nur zu einer Verkürzung der Wirkung, sondern nach der Impfserie waren die Neutralisierungs-Antikörpertiter im Serum für BA.1, BA.2 und BA.5 im Vergleich zu D614G um das 10-, 15- bzw. 25-fache reduziert. Nach einer Durchbruchsinfektion beobachteten die Studienautoren einen starken Anstieg der Neutralisationsantikörper gegen die Ursprungsvariante D614G, die Deltavariante und Omikron-Subvarianten, der bei BA.5 deutlich weniger ausgeprägt war. In den Verlaufsseren beobachtete man nach der Impfserie ein Plateau mit einem langsamen Rückgang nach 4-5 Monaten. In Nasenabstrichen löste die Infektion, nicht aber die Impfung, eine starke IgA-Reaktion und eine nachweisbare Omikron-Neutralisierungsaktivität aus. IgA (Immunglobulin A) sind Antikörper der Schleimhaut.

Eine interessante kleine Studie wurde von März bis Juni bei 41 Angestellten des Gesundheitssystems in Israel durchgeführt. Alle hatten eine Infektion mit der Omikron-Variante BA.1, 30 Tage nach der Infektion wurde das Blut (Seren) auf neutralisierende Antikörper gegen das Ursprungsvirus (hier „WT“, Wildtyp) und die Omikron-Varianten untersucht. Verglichen wurde aber nach Impfstatus und zwar ungeimpft (N = 11) vs. 3x (N = 15) oder 4x (N = 15, nicht abgebildet) mit Comirnaty (Pfizer-BioNTech) geimpft. Diese Seren zeigten geringe Neutralisierungseffizienz gegen BA.4 und BA.5, auch die Seren von BA.1-geimpftem Gesundheitspersonal (ganz rechts in der Abbildung). Die Autoren schlussfolgern, dass die Ergebnisse eine Omikron-spezifische Impfung nahelegen.

Solche Studien mit Seren (Blut) von Geimpften und „Genesenen“ müssen in der Zusammenschau mit aktuellen epidemiologischen Beobachtungsstudien beurteilt werden. Drei Beobachtungsstudien konnten zeigen, dass eine Infektion mit einer Omikron-Variante doch einen nicht unerheblichen Schutz gegen eine Reinfektion mit anderen Omikron-Varianten bietet.

  • Eine Studie aus Katar, wo die Testdichte extrem hoch ist, verwendete ein bewährtes testnegatives Fall-Kontroll-Design und stellte fest, dass eine frühere Omikron-Infektion zu 80 % vor einer Infektion mit BA.4/5 schützt.

  • Eine zweite Studie aus Dänemark, mit einem hervorragenden Surveillance System ergab, dass eine vorherige Omikron-Infektion zu 94 % vor einer erneuten Infektion mit BA.5 schützt.

  • In einer dritten Studie aus Portugal (wo die BA.4/5-Welle besonders groß war) wurde kürzlich festgestellt, dass eine vorherige Infektion mit Omikron BA.1/2 zu 80 % vor einer Reinfektion  mit BA.4/5 schützt.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass Bevölkerungen all dieser drei Länder zu einem hohen Grad geimpft sind und die Ergebnisse in einem Umfeld mit geringer Durchimpfungsrate anders ausfallen könnten, und dass Beobachtungsstudien dieser Art eine gewisse Verzerrung bei der Suche nach Tests aufweisen können (z. B. sind Personen, die bereits vor kurzem infiziert wurden, möglicherweise weniger geneigt, sich anschließend testen zu lassen), doch wäre es sehr weit hergeholt, zu behaupten, dass dies eine Erklärung für so große Wirkungsunterschiede sein könnte, wie sie in den oben genannten Studien beobachtet wurden. Und noch eine wichtige Einschränkung dieser Studien ist zu beachten: sie geben keine Auskunft über die Abnahme des Schutzes über die Zeit. Wie hoch der Schutz nach 6 Monaten in einem solchen Szenario überhaupt noch ist, kann nicht beantwortet werden.

Was könnten wir nun aus dieser Fülle an klinischen Daten mitnehmen? Jedenfalls sollten sich alle, deren Impfung mehr als 6 Monate her ist, jetzt einen Herbstbooster holen, unabhängig von einer eventuellen Infektion/Covid Erkrankung. Vielleicht mit der Ausnahme derer, die in den letzten 3 Monaten an Covid erkrankten.

Wenn das aber alle über 12 Jahre in den nächsten zwei Monate machen täten, dann kämen vermutlich schwer zu bewältigende logistische Herausforderungen auf Österreich zu. Wenn alle so ticken wie die bürgerlich-freiheitliche Mehrheit des Innsbrucker Stadtsenats, dann gute Nacht für den Herbstbooster. „Für Innsbruck“-Stadträtin Christine Oppitz-Plörer, ehemalige Bürgermeisterin von Innsbruck, hielt 1,2 Mio. Euro „für Plakate, Inserate, Agenturen“ in Zeiten wie diesen für „unverhältnismäßig“. Entlarvend das Unverständnis für Impfungen! Andere (leider wenige) Gemeinden haben sich gegen solche Haltungen verwehrt, weil sie über den Sommer begonnen haben, gemeinsam mit zahlreichen Vereinen und Institutionen das Ausrollen der Impfungen zu planen. Dahinter steckt auch der fehlende Wille, die Menschen für eine Impfung gewinnen zu wollen, abgesehen vom Verdienen von politischem Kleingeld, um Koalitionen aufrecht zu erhalten. Nicht ausschließen kann man auch eine zynische Grundhaltung, die verhindern soll, dass sich nicht zu viele den Herbstbooster holen, weil die Verwaltungen schlicht und einfach nicht in der Lage sind, das ordentlich zu organisieren.

Großbritannien hat sich auf die Impfung offensichtlich besser vorbereitet. Es priorisiert den Herbstbooster. Bitte nicht missverstehen, ich unterstütze den Herbstbooster ab 12 Jahren. Aber die Impfkampagne mit einer derart niedrigen Intensität zu fahren, dass ich nicht priorisieren muss, ist schon zynisch, Herr Gesundheitsminister.

Überall dort wo das politische (nicht das soziale oder gar medizinische) Ende der Pandemie mit dem Aufheben der meisten Maßnahmen „Covid ist vorbei“ vorgegaukelt wird, ist die Sorge groß, dass die Inanspruchnahme eines Herbstboosters stark verringert werden könnte. Anhand der bisherigen Handhabung der 4. Impfung bei den älteren Bevölkerungsgruppen ist diese Sorge mehr als berechtigt. Der Herbstbooster steht unter keinem guten Stern.

Wie ich es handhabe? Die 4. Impfung war Ende März, im Oktober werde ich mir den bivalenten Herbstbooster geben lassen, vermutlich BA.1. Sollte der bivalente Impfstoff mit BA.5 vor Mitte November auch für mich verfügbar sein (demnächst 71 Jahre alt) würde ich eventuell bis dann warten. FFP3 Masken habe ich noch zur Genüge. Bis dahin werden wahrscheinlich noch ein paar Seuchenkolumnen Klarheit bringen.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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