Blutbank und Schulbank: zweimal Covid-Ignoranz in Österreich

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 821

Armin Thurnher
am 01.09.2022

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Wie schaut das Immunitätsprofil der Bevölkerung in Österreich aus, fragt Epidemiologe Robert Zangerle, und antwortet: „Wissen wir nicht. Brauchen wir auch nicht, wir simulieren das!“ Wie eine covid-sichere Schule aussähe, wissen wir hingegen genau, aber es ist „uns“ egal. Wir sind ja nicht so. Oder doch? A. T.

»Nach der Finsternis der Zahlen kommen wir zu einem in Österreich ebenfalls dunklen Kapitel, zum Immunitätsprofil der Bevölkerung. Zur Erinnerung: in der vorletzten Kolumne wurde die Entwicklung der Antikörperbildung bei den verschiedenen Altersgruppen von Blutspendern (17 Jahre alt oder älter) in England vorgestellt. Das soll hier ergänzt werden. Die folgende Abbildung stammt aus dem COVID-19 vaccine surveillance report der UK Health Security Agency vom 4. August 2022. Die vorgestellten Ergebnisse basieren auf der Untersuchung von Proben mit Roche Nukleoprotein (N) und Roche Spike (S)-Antikörper-Tests. Nukleoprotein-Assays (Roche N) weisen nur postinfektiöse Antikörper nach, während Spike-Assays (Roche S) sowohl Post-Infektions-Antikörper als auch Impfstoff-induzierte Antikörper nachweisen. Die bevölkerungsgewichtete (nach Altersgruppe, Geschlecht und Region) Antikörperprävalenz bei Blutspendern ab 17 Jahren in England betrug 68,6 % unter Verwendung des N-Assay von Roche und 99,7 mit dem Roche S-Assay im Zeitraum vom 1. Juni bis 24. Juli 2022.

Im Folgenden werden Schätzungen der Seroprävalenz (% Seropositivität) nach Altersgruppen unter Verwendung des Roche-N-Tests vorgestellt. Basierend auf der Untersuchung von Proben mit dem Roche N Assay als Infektionsmarker wird die höchste Seroprävalenz weiterhin bei den 17- bis 29-Jährigen und die niedrigste im Alter zwischen 70 und 84 Jahren gefunden.

Wie schaut das in Österreich aus? Wissen wir nicht. Brauchen wir auch nicht, wir simulieren das! Es gibt aber eine rühmliche Ausnahme, Studien bei Blutspendern in Tirol, geleitet von Peter Willeit, einem Epidemiologen der Medizinischen Universität Innsbruck und der Blutbank in Innsbruck. Diese Gruppe hat die Seroprävalenz von Anti-S Antikörpern bei Blutspendern in Tirol im Sommer 2020 gemessen und dann zwischen Juni 2020 und September 2021. Jetzt haben sie eine aktualisierte Analyse für den Zeitraum Oktober 2021 bis April 2022 veröffentlicht. In diesem Zeitraum erhöhten sich die Anti-S-IgG-Antikörperspiegel signifikant. Der geometrische Mittelwert stieg von Oktober 2021 bis April 2022 von 283 BAU/ml auf 1437 BAU/mL (BAU= binding antibody units), hat sich also mehr als verfünffacht. Darüber hinaus untersuchten die Innsbrucker Forscher den prozentualen Anteil der Personen in verschiedenen Kategorien der Anti-S-IgG-Antikörperspiegel für jeden Monat. Im Verlauf der Studie nahm der Anteil der Studienteilnehmer mit nicht nachweisbaren Werten von 15% im Oktober 2021 auf 4% im April 2022 ab. Umgekehrt nahm der Anteil der Gruppe mit den höchsten BAU Werten von Oktober bis April von 3% auf 32% zu.

Den höchsten geometrischen Mittelwert für Anti-S-IgG-Antikörperspiegel zeigte die Altersgruppe der unter 25-Jährigen mit 2013 BAU/mL; alle anderen Altersgruppen hatten signifikant niedrigere Antikörperspiegel, siehe folgende Tabelle. Antikörperspiegel nach der Impfung gegen SARS-CoV-2 sind Studien zufolge altersabhängig und bei jüngeren Personen robuster. Eine weitere mögliche Erklärung ist, dass die durchschnittliche Zeitspanne seit der letzten Impfung bei jüngeren Personen wahrscheinlich kürzer ist, was auf die altersgestaffelte Einführung des Impfprogramms zurückzuführen ist.

Bei fast allen geimpften Personen (99,7 %) waren Anti-S-IgG-Antikörper nachweisbar. Etwa zwei Drittel der ungeimpften Personen waren seropositiv, das ist gegenüber früheren Schätzungen der Seropositivität in Österreich viel höher, als die 26,1% aus der Vorstudie der Gruppe um Peter Willeit oder die Ende 2021 gemessenen 21,7% einer anderen Gruppe.

Darüber hinaus waren die Anti-S-IgG-Antikörperspiegel bei geimpften Personen im Vergleich zu ungeimpften Personen 16,8-mal höher als bei ungeimpften Personen. Dafür könnte es verschiedene Erklärungen geben. Erstens könnte eine Infektion mit den Omikron-Varianten niedrigere Antikörperspiegel hervorrufen als eine Impfung. Zweitens könnte die hybride Immunität, die aus einer Kombination von SARS-CoV-2-Exposition durch Impfung und Infektion resultiert, durch höhere Antikörperspiegel gekennzeichnet sein als die Immunantwort auf die Infektion allein. Die Innsbrucker Studie konnte das aber nicht beantworten, da keine Informationen über frühere SARS-CoV-2-Infektionen verfügbar waren (anti-N Antikörper wurden nicht bestimmt). Da jedoch in der österreichischen Bevölkerung die Zahl der Infektionen bei Geimpften steigt, kann man davon ausgehen, dass ein signifikanter Anteil der geimpften Blutspender eine infektionsbedingte Immunantwort bildete. Insgesamt gibt es inzwischen viele Hinweise darauf, dass Personen mit hybrider Immunität eine robustere Immunantwort und einen höheren Schutz vor Infektionen und schweren COVID-19-Erkrankungen haben als Personen, die entweder nur geimpft sind oder die eine frühere Infektion alleine, d.h. nie geimpft, durchgemacht haben (hier und hier).


Themenwechsel: Der Besuch der Schule und der weiterführenden Bildungseinrichtungen kann weitgehend Covid-sicher gestaltet werden, darüber gibt es inzwischen genügend Studien. Man müsste es nur tun. Der Grund für die geringe Resonanz auf Forderungen nach einer sicheren Schule liegt nicht in erster Linie darin, dass die Öffentlichkeit Ansätze dazu ablehnt, und auch nicht darin, dass die Menschen ihr eigenes Leben oder das Leben anderer nicht schätzen. Es liegt daran, dass sich die Verantwortlichen dagegen wehren.

Krankheitserreger wie SARS-CoV-2, die durch Aerosole übertragen werden, haben in schlecht belüfteten Innenräumen ein leichtes Spiel. Jedes Jahr erkranken Hunderttausende in Österreich an der Grippe, mit allen daraus resultierenden gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen. Darüber hinaus sind schlecht belüftete Räume nicht nur für erhöhte Aerosolübertragung von Krankheiten verantwortlich, sondern sie schränken auch die kognitiven Fähigkeiten ein. Dabei kann die Aerosolübertragung mit einfachen, nicht einschränkenden Maßnahmen effizient reduziert werden. Dazu braucht es:

  • Systematische Installation besserer mechanischer Belüftungs- sowie Filtersysteme oder UV-Luftdesinfektionssysteme in öffentlichen Räumen;

  • Ausstattung der öffentlichen Räume mit CO2-Sensoren, damit Nutzer bei schlechter Luftqualität Maßnahmen ergreifen können.

  • Eine breit angelegte Informationskampagne zur Aufklärung der Bevölkerung über die Übertragung von Krankheitserregern durch Aerosole.

Der Arbeitskreis Innenraumluft im Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) behandelte 2021 auf einer Fachtagung das Thema „Die gesunde Schule“. Der Vortrag von Rainer Pfluger, Arbeitsbereich für Energieeffizientes Bauen, Universität Innsbruck hatte besondere Wirkung auf mich, weil er mir half, Vorurteile abzubauen (WRG = Wärmerückgewinnung):

Im Bildungsministerium wird diese Initiative erfolgreich ignoriert, vermutlich auch im Gesundheitsministerium. So kann das natürlich nichts werden. Aber das Bohren dicker Bretter war noch nie leicht. Obwohl uns wider besseres Wissen Geschichten über schnelle und wirksame Lösungen zur Beendigung von Epidemien vorschweben, etwa jene von John Snow, der angeblich den Pumpengriff („Schwengel“) in der Broad Street in London im Jahr 1854 entfernt haben soll, um einen Choleraausbruch zu beenden. Snow konnte nachweisen, dass sich die Todesfälle im Bereich einer Wasserpumpe in der Broad Street konzentrierten, während es gleichzeitig Areale in der Nähe der Pumpe ohne Cholerafälle und -tote gab wie in der Lion-Brauerei, deren Mitarbeiter kein Wasser tranken.

Solche Geschichten sind oft Märchen. Snow entfernte den Griff nie, und die Cholera war zu dieser Zeit auch aus anderen Gründen rückläufig. Die wahre Geschichte über das Ende der Cholera in London geht so: es verlief schrittweise und erforderte politische Verhandlungen darüber, wie die städtische Infrastruktur und die sanitären Einrichtungen neben langsamen sozialen Fortschritten verbessert werden konnten. Es ging also wirklich um das Bohren dicker Bretter.

Was heißt das für das beginnende Schuljahr? 2022 ist nicht 2021 und schon gar nicht 2020, aber um wieviel ist es besser? Wie schaut das Immunitätsprofil von Schülern aus? Darüber gibt es ganz wenig gesichertes Wissen. Wir wissen, wie viele geimpft sind, obwohl die Alterskategorien der zur Verfügung gestellten Daten wieder jene kindisch-lächerlichen Züge tragen, die wir schon bei den Inzidenzen gesehen haben. Bei den Inzidenzen hätte man sich an die Schultypen anpassen müssen, nämlich 6-10, 10-14 und 14-18; bei den Impfungen an die Zulassung der Impfstoffe, z.B. 5-11 Jahre. Bei den Impfungen kann man diese Hürde aber leicht umgehen, wenn man die Impfungen der 0-11-Jährigen einfach den 5-11-Jährigen zuordnet (weil die wenigen unter 5-Jährigen, die eine Impfung erhalten haben, das Ergebnis praktisch nicht beeinflussen).

So gerechnet haben 25% der 5-11-jährigen zwei Impfungen gegen Covid erhalten, 3 oder mehr Impfungen hat lediglich eine verschwindende Minderheit von etwa 2% erhalten. Bei den 12-14- Jährigen betrugen diese Raten 54% und 22%. Wenn man beurteilen will, wie viele der 5-14-Jährigen einen positiven SARS-CoV-2 Test hatten, kommt man ins Stottern, weil in den öffentlich zugänglichen Daten zu Österreich kumulative Befunde ausgewiesen werden. Konkret: Unter den 851.736 5-14-Jährigen gab es bis zum 29. August 635.956 positive SARS-CoV-2 Befunde, wir wissen aber nicht, wie viele Personen das betroffen hat, weil in einem kumulativen Befund auch Reinfektionen enthalten sind (innerhalb von 90 Tagen jedoch nur einmal).

Die Erfassung von Reinfektion zu epidemiologischen Zwecken ist kein einfaches Unterfangen. Weil Virus-RNA (außer bei schwer Immungeschwächten nicht mehr von vermehrungsfähigen Viren) lange persistieren kann, bedeutet ein positiver Befund innerhalb einer Regelfrist von 90 Tagen nicht zwingend eine erneute Infektion. Eine Reinfektion innerhalb von 90 Tagen ist natürlich möglich, wenngleich sehr selten, deshalb ist auch die Dokumentation der Reinfektionen durch die AGES im internationalen Vergleich als sehr korrekt zu werten, weil eben diese „90-Tage-Regel“ zur Anwendung kommt. Man sieht in der folgenden Tabelle, dass die Reinfektionen in der BA.4/5 Welle im Juli anteilsmäßig noch einmal anstiegen. Trotzdem sei auch hier noch einmal betont, dass die bisherigen Omikron-Wellen durch Erstinfektionen dominiert wurden. Auch wenn Reinfektionen unvollständig erfasst wurden.

Deshalb ein Blick nach Genf: dort wurde zwischen dem 29. April und dem 9. Juni 2022 eine Seroprävalenzstudie (Häufigkeit von Antikörpern, hier auch neutralisierenden)  durchgeführt, bei der Kinder und Erwachsene aller Altersgruppen aus Zufallsstichproben der Gesamtbevölkerung rekrutiert wurden (n = 2521). Die Gesamtprävalenz der Antikörper (Impfung und/oder Infektion) lag bei 93,8 % (Dreiecksymbol, roter Kreis) und bei 72,4 % für infektionsinduzierte Antikörper (Punkt, blauer Kreis). Die Prävalenz von neutralisierenden Antikörpern reichten von 79,5 % gegen die Alpha-Variante (Quadrat, grüner Kreis) bis 46,7 % gegen die Omikron BA.4/BA.5-Subvarianten (Quadrant, grünes Oval). Trotz hoher Seroprävalenz von 76,7% infektionsinduzierter Antikörper bei Kindern im Alter von 0-5 Jahren und 90,5 % bei Kindern im Alter von 6-11 Jahren, wiesen Kinder im Alter unter 12 Jahren eine wesentlich geringere neutralisierende Aktivität auf als ältere Teilnehmer, insbesondere gegen die Omikron-Subvarianten.

Ich würde als Hypothese postulieren, dass diese Ergebnisse im Wesentlichen für Österreich auch so zutreffen. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Impfung älterer Menschen, sowie andere Präventionsmaßnahmen und Verhaltensweisen sie vermutlich vor einer Infektion während der durch Delta- und Omikron BA.1- und BA.2 ausgelösten Wellen geschützt haben. Sie zeigen auch, dass das höchste Maß an neutralisierender Kapazität gegen die neuen Omikron Varianten durch eine hybride Immunität erreicht wird, also eine Impfung, insbesondere eine Auffrischungsdosis, kombiniert mit einer kürzlichen Infektion. Da neue Varianten auftauchen werden, die neue Pandemiewellen auslösen, können aktuelle Momentaufnahmen der Immunitätslage der Bevölkerung helfen, rationale Strategien zur Risikominderung zu entwickeln.

Es ist möglich, dass es bis zur nächsten Welle eine „längere“ Pause gibt und die nächste Welle schwächer als die letzte Omikron Welle ausfällt, deswegen den Schulbeginn aber bei den Schutzmaßnahmen derart entspannt anzugehen, ist doch ein wenig ein Hazard. Andererseits ist es auch nicht leicht, bei weitgehender Aufhebung von Schutzmaßnahmen, eine Ausnahme für die Schule zu argumentieren. Jedenfalls bietet das in Kombination mit der Aufhebung der Isolationspflicht ein unnötig erschwerter Start in den Herbst.

Sollte es doch wieder bedrohlicher werden, dann bleibt zu hoffen, dass ein wenig gelernt wurde. Was in der Not dann Vorrang hätte, müssen aber schon die demokratischen Institutionen lösen. „Museum oder Bibliothek? Kirche oder Theater? Albertina oder Staatsoper? Christkindlmärkte oder Kunst & Kultur? Restaurants & Cafés oder Beherbergungsbetriebe? Fitnessstudio oder Bordell? Nachtgastronomie oder Skihütte? Ausstellungen & Messen oder Fußballspiele? Skilift oder Hallenschwimmbad?“ Das sind nicht Wortfetzen aus einer Diskussion zur Bewältigung der Energiekrise, sondern aus der Seuchenkolumne Zu wenig, zu spät, zu schlampig: die …….-Politik bleibt sich treu vom November 2021.

Die Hoffnung, auch die auf bessere Lösungen von Krisen, stirbt zuletzt. Vielleicht sollten wir Sanna Mirella Marin, finnische Ministerpräsidentin, fragen, was die Stadt Lahti bewogen hat, ein olympisches Becken unter die Sprungschanze zu bauen. Könnte vielleicht für Franz Hörl interessant sein, den lautstarken Lobbyisten der Seilbahnen. Jedenfalls sollte die Einschätzung von Sanna Marin nicht wieder ignorant in den Wind geschlagen werden.

P.S.: Wie soll man einem wachsenden Gruppenzwang, in Innenräumen keine Maske zu tragen, begegnen? So wie es die meisten bei Dränglern auf der Autobahn handhaben. Am besten ihn (gendergerecht?, siehe „DM“ ) vorbeizulassen und nicht selbst schneller zu fahren.« R. Z.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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