Das Abwinken ermüdet. Einleitung zur politischen Herbstsaison.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 811

Armin Thurnher
am 20.08.2022

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Die österreichische Politik hält mich wieder in ihren Klauen, da kann ich machen, was ich will. Klauen und Politik gehören in Österreich eben zusammen. Ein Aperçu, das ich in seiner Allgemeinheit nicht stehen lasse, denn die Wahrheit ist bekanntlich konkret, und von allgemeinen Diskreditierungen von Politik halte ich mich fern, so gut es geht.

Es gibt immer wieder Umfragen, sogenannte Politbarometer, und an ihnen kann man die Korrektheit der Luhmannschen Gesellschaftsanalyse ermessen. Niklas Luhmann war ein deutscher Soziologe, und er lehrte, wir bewegen uns in Systemen, die insofern geschlossen sind, als sich die Akteure aufeinander beziehen und auf nichts sonst, in sogenannten selbstreferentiellen Systemen. Der politmediale Komplex ist so ein selbstreferentielles System, und eine der Achsen, um die er sich dreht, ist die Umfrage.

Das österreichische politmediale Komplex ist anderen politmedialen Systemen insofern voraus, als die Kleinheit des Systems für hohe Intensität der Schmiermittel sorgt. Die Idee einer Umfrage in direkter Zusammenarbeit einer politischen Partei mit einem Umfrageinstitut und einem Medium ist vielleicht nicht hier entstanden, hat aber doch hier zu neuen Formen der Korruption geführt. Gegengeschäft und Fälschung verschmolzen zum Talmi-Glanz einer neuen Ära. Sage keiner, wir seien nicht innovativ! Jetzt löffelt Karl Nehammer die Suppe aus.


Die Beliebtheitsskalen von Politiktreibenden können nicht ganz falsch sein; Sobotka und Kickl liegen stets am unteren Ende. Nicht einmal bei diesen bêtes noires (ich hoffe, der französische Plural stimmt) aber würde ich die Beliebtheit als Kriterium politischer Wirksamkeit oder Bedeutung gelten lassen. Das zeigt allein die Beliebtheit von Sebastian Kurz, deren Bedeutung gerade darin lag, dass sie fabriziert war und nicht echt. Was heißt schon echt in diesem Zusammenhang. Echter Massenbetrug!

Zur Eröffnung der Politiksaison möchte ich nur gern darauf hinweisen, dass Politik der politischen Substanz bedarf. Das läppische Getue um die Wahl Van der Bellens ärgert mich nicht deswegen, weil sich hier links oder progressiv wähnende Minderheitenfeststeller in Subminderheiten aufteilen; das ist das gute Recht aller Menschen, die schlechten Willens und auf Twitter sind (wie ich).

Es ärgert mich, weil nicht einmal ein Anflug von Debatte über die Rolle des Bundespräsidenten in unserer Verfassung dabei ist. Beim letzten Mal hatten Alfred J. Noll und Manfred Welan diesen Versuch unternommen, der Falter hatte sie publizistisch unterstützt und es kam sogar zu einer Debatte, sogar bei Armin Wolf, dem Olymp der politischen Aufmerksamkeit. Bald war der Ofen wieder aus.


Ich bin der tiefen Überzeugung, dass der Satz „ich bin der tiefen Überzeugung“ aus politischen Debatten gestrichen gehört. Aber ich meine ernstlich, dass Politik ihren Selbstentmächtigungsprozess stoppen muss, sonst ist es mit der Demokratie vorbei. Nur mit inhaltlicher Untermauerung ihrer Ziele, nur mit dem Wiedergewinnen geistiger Fundamente wird sie auch wieder Stil gewinnen. Es reicht nicht, wohlgebrieft in Pressekonferenzen oder Talkshows zu gehen und dort Punkte zu machen, die dann irgendein „Politikberater“ in phrasenstarkem und gedankenschwachen Kauderwelsch bewertet. Als Helmut Kohl seine Wende vorbereitete, half ihm eine ganze Armada von Think Tanks und Intellektuellen. Der Politologe Claus Leggewie kommentierte das damals mit dem Buch „Der Geist steht rechts“ (nur mehr antiquarisch erhältlich). Man konnte lernen, wie man die Hegemonie in Debatten gewinnt.

Die landläufig  übliche Behauptung einer linken Hegemonie verfängt heute nicht mehr, weil es sie längst nicht mehr gibt. Die weit überwiegende Mehrzahl der publizistisch Tätigen steht auf den festgeschlossenen atlantisch-kapitalistischen Schultern, und die Mehrzahl von Politikbetreibenden auch. Die Hegemoniefrage wird aber deswegen drängend, weil sich das demokratische System gegen die Kräfte der digital induzierten Irrationalität – von Impfgegnern bis militanten rechtsextremen Umstürzlern – rechtfertigen muss, die Teil dieses Schulterschlusses sind, aber auch wieder nicht.

Die mangelnde politische Substanz der Protagonisten ist auch deswegen beklagenswert. Sobotka und Wöginger suchen neue Horizonte für die ÖVP, was sagt uns das? Wer denkt in der SPÖ nach und wenn ja, und worüber? Braucht Pam Partyvideos? Wo sind die Konturen einer grünen politischen Theorie jenseits des Fleckerlteppichs von Verlegenheiten? Sich nur an Bewegungen anzuhängen reicht nicht. Einmal möchte man wieder eine politische Person sprechen hören, der man aus voller Überzeugung zustimmen oder wenigstens widersprechen kann. Das Abwinken ermüdet.


Selbstporträt des Kolumnisten als von der Heufron schwitzender Mann

Ok, sagen Sie, wissen wir, warum sagt er uns das schon wieder? Er sagt es so lange, bis es besser wird. Am Montag schreibt er vielleicht einen Bericht von der Heufron (heute nur ein Foto des seine Laune abbildenden T-Shirts nach getaner Arbeit) und von den Gewittern; außerdem hat er einen Text in Arbeit, der den schönen Titel trägt: die Robinien kriegen uns alle, und am Wochenende holt er den Kater.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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