Ein Wort für den Messino-Kapitalismus

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 810

Armin Thurnher
am 19.08.2022

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Im Allgemeinen gelte ich als industrie- und wirtschaftsfeindlich. Immer wieder berichtet man mir, ÖVP-geneigte Wirtschaftstreibende würden ihr Haupt verhüllen und exorzistische Formeln vorbringen, wenn mein Name fällt. Damit geben sie ihrem ideologischen Trieb nach, verfehlen aber die Sache. Ich bin im Gegenteil als Miteigentümer des populären Falter-Verlags naturgemäß Kapitalist, wenngleich ein linker. Das heißt, ich betrachte meine erworbene Klassenzugehörigkeit nicht als Imperativ, ideologisch gleichgeschalteten Schwachsinn zu äußern und gebe meinen Verstand nicht an der Parteikassa ab.

Das kapitalbesitzende Bürgertum war einmal die gesellschaftsumstürzende Klasse, und daran ließe sich im Zeitalter der Gier wieder recht gut anknüpfen. Leider gibt es inzwischen mehr als Bürger auftretende Pülcher denn Bürger. Das Pülchertum war mit dem Begriff des Citoyen eher nicht gemeint.

Am Bürgertum anknüpfen ließe sich, wenn man – wie das neben vielen anderen die Ökonomen Markus Marterbauer, Kurt Bayer  und Stephan Schulmeister tun – zum Beispiel auf die unheilige Dominanz des Finanzkapitals über die Realwirtschaft hinweist, aber nicht bloß demonstrativ, sondern in der Absicht, jenes wieder dieser unterzuordnen. Die aktuellen Energiepreise sind, darauf haben beide (und nicht nur sie) ohne Folgen hingewiesen, eine Konsequenz der börseabhängigen Preisbildung. Sie haben nichts mit den österreichischen Kosten, nicht einmal etwas mit der europäischen Wirtschaftsrealität zu tun.

Wo wäre die bürgerliche Partei, die das zum Thema macht, statt nur nach dünnen Deckeln oder schwachen Ausgleichszahlungen zu rufen?


Solche Reden werden aber den Teufel tun, meine Kritiker von meiner Wirtschaftsfreundlichkeit zu überzeugen. Deshalb greife ich heute zu einem anderen Mittel. Bahlsen Messino! Dieser Keks begegnete mir kürzlich bei meinem Encounter mit der Realität, sprich bei meinem Besuch im Supermarkt. Dort lagen wohlverpackt und klug designt Messino Packungen zuhauf vor der Kasse. Es war eine geballte Marketing-Aktion der Firma Bahlsen.

Die Aktion versprach „zahl zwei, nimm drei!“, bei recht günstigem Preis. So nahm ich denn drei und zahlte zwei.

Ich billigte die Aktion aus Innerstem, denn Messino ist eine Originalentwicklung der Firma Bahlsen, und zudem boten die aufliegenden Packungen nicht die laffe Milchschokolade-Variante an, sondern die zartbittere. Die Aktion freute mich spontan, weil mir mein Herz zuraunte, als ich die blauweißen Packungen sah: Endlich tun die was gegen die unverschämten Messino-Fälscher.

Zween Messinos, zartbitter, bittesehr

Wer hätte nicht schon eines jener fetten Klon-Pakete abgegriffen, welche die feine Biskuit-Orangengelee-Zartbitter-Schokokreation, eine Invention von Bahlsen, mehr schlecht als recht, aber umso unverschämter imitieren?

Bei diesen Imitaten ist die Geleeschicht zu dick, aber nicht kompakt genug. Die Schokolade schmierig, das Biskuit aufgeblasen. Ob der geringere Preis solche Unzukömmlichkeiten rechtfertigt, weiß ich nicht. Das Zeug schmeckt immer noch suchtbildend gut, aber eben nicht so überzeugend wie das Original. So geht es uns ja mit dem meisten, mit dem man uns heute abspeist. Mit uns kann man es machen, also macht man es auch. Statt Bürgern Pülcher, statt Mannerschnitten Neapolitaner, statt Messino irgendwas Cleveres. In diesem Fall schaue ich nicht auf den Cent, sondern auf den Geschmack.

Ich empfand also innere Befriedigung, weil sich hier jemand auf dem Markt wehrt und seine originale Kreation verteidigt.


Ich weiß schon, die Firma Bahlsen ist nicht unproblematisch durch die Geschichte gegangen, die Nazizeit hinterließ ihre Flecken (Zwangsarbeit, SS-Kooperation, „kriegswichtiger Betrieb“, später log eine Erbin noch, Bahlsen habe Zwangsarbeiter bezahlt wie andere auch; die Geschichte soll von unabhängigen Experten untersucht werden). Die glänzende Gründungszeit darf dennoch nicht übersehen werden. Es ist nach wie vor kein internationaler Konzern, sondern ein (dreigeteilter) Familienbetrieb, und nicht nur wegen der Erfindung und Benennung des Leibniz-Butterkekses nach dem Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz hat er bei mir einen Stein im Brett (Leibniz hatte für seinen Kurfürsten nach einer dauerhaften Verpflegung für Soldaten gesucht und den Zwieback gefunden).

Auch das Logo, das nicht nur aus einem Schriftzug, sondern aus drei Hieroglyphen besteht, erfreut meinen Sinn. »Im Jahr 1903 wurde das seit 1896 als Markenzeichen eingetragene springende Pferd durch das TET-Zeichen ersetzt, das der Grafiker Heinrich Mittag entworfen hatte. Die ägyptische Hieroglyphe ḏt (dschet, von Bahlsen „tet“ transkribiert), zusammengesetzt aus den Zeichen I10 (Kobra), X1 (Brotlaib) und N16 (Land, Erde, Ewigkeit) der Gardiner-Liste bedeutet „ewig dauernd“, ein Hinweis auf die durch Verpackung in Wachspapier noch gesteigerte Haltbarkeit des Dauergebäcks. Die Idee dazu hatte der hannoversche Museumsdirektor Friedrich Tewes von einer Ägyptenreise mitgebracht.« (Wikipedia)


Ich bin bekennender Messi. Aber auch Messino-Bürger. Messino-Kapitalist. Für Originale, gegen Billigklone. Unbedingt zartbitter.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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