Inside S-Kolumne. Digitalisiert euch endlich, ihr alten Trottel!

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 804

Armin Thurnher
am 12.08.2022

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Gestern kehrte ich von meinem Intermezzo als Mutters Koch zurück und musste wieder einmal widerwillig auf die Autobahn. Studierte dort, da ich die Route München-Passau-Linz wählte, die Psyche des Deutschen Menschen (DM), wie er uns in motorisierter Gestalt entgegentritt. Man kann das Ergebnis wie folgt zusammenfassen: rechts denken, links fahren.

Auf deutschen Straßen wird übrigens jedes lenkende Wesen zum DM, es kommt also nicht auf Nationalität und Kennzeichen an, Voraussetzung ist bloß das Fehlen einer Geschwindigkeitsbeschränkung.

Sieht der DM rechts vor sich einen LKW, der naturgemäß langsamer fährt als er selbst, hält er es für unmöglich, sich hinter diesem einzureihen und erst knapp hinter dem LKW zum Überholen anzusetzen. Der DM könnte dabei von anderen DMs überholt werden, die schneller unterwegs sind und ihn NIE MEHR in die linke Spur wechseln lassen, und das möchte er vermeiden, ehe er selbst den LKW überholt hat. Da die rechte Fahrspur aber in Permanenz von LKWs besetzt ist, verlangsamt sich auch das Tempo auf der linken Spur. Das wiederum schränkt den Bewegungsdrang jener übermotorisierten Klasse des DM ein, welche gern in großen, schwarzen Wagen sitzt, wie sie Harry zu holen pflegte, und die sich, in ihrem Bewegungsdrang gehemmt, durch knappes Auffahren, aggressive Blinksignale und andere adrenalingetriebene Formen der Lebensgefährdung bemerkbar macht.

In Österreich ist der Spuk dann vorbei, man fährt halt ungefähr 130, wenn man nicht ein paar Gorbach-Gedenkkilometer einlegt.


Schweinsnetz, ohne Hass. Foto: Wikipedia

Sie haben es vielleicht gesehen, Familienarbeit hinterlässt Spuren. Die gestrige Kolumne musste schnell geschrieben werden und wies ungewöhnlich viele Tippfehler auf, ja, man kann sagen, sie strotzte vor solchen. Das wiederum alarmierte mein Volkskorrektorat, einen wahren digitalen Segen. Sie wissen, dass ich digital gesehen eine Nestroyfigur bin, zerrissen wie nur. Das Volkskorrektorat trat gestern in fünffacher Gestalt auf. Das war Rekord. Jede Einsendung wies mich auf mindestens vier Fehler hin, doch waren es in Summe mehr als zehn, und ich bin sicher, das waren noch nicht alle.

Normalerweise bekomme ich zwei, drei Einsendungen gleich am Morgen und korrigiere dann die Kolumne, so schnell es geht. Gestern aber war ich Autobahn (kein Fehler, sondern Slang), also traf die hohe Zahl an Fehlern mit einer sehr späten Korrektur zusammen. Sorry dafür.


Als ich in die schöne Wachau einbog, ging gerade die Skandalberichterstattung im Mittagsjournal zu Ende, und eine Debatte über mein Lieblingstema begann, den „Hass im Netz“. Ich denke dabei an Kochrezepte, in denen man empfindliches Bratgut mit einem Schweinsnetz zusammenhält, das sich beim Bratvorgang dann einigermaßen auflöst.

Die sensiblen und klugen jungen Menschen in der Call-In-Sendung „Punkt Eins“, eine Sprachwissenschaftlerin und ein Jurist, pflegten jenen sorgsam samtpfötigen Jargon der „digital natives“, der mir bei aller Gutwilligkeit und Klugheit ziemlich auf die Socken geht. Zum Beispiel werden Drohungen im Netz nicht ausgestoßen, sondern „ausgespielt“, wie ich hörte. So klingen sie irgendwie neuartig und irgendwie scheinbar auch verträglicher.

Die Sonderstellung der Tech-Konzerne wurde ganz richtig als „Haftungsprivileg“ bezeichnet, was jedoch nur en passant damit erklärt wurde, „man“ habe anno Schnee „das Fortkommen der digitalen Unternehmen begünstigen wollen“.

Als altanaloger Unternehmer ziehe ich vor, das etwas drastischer zu formulieren: eine neue Klasse von Unternehmen wurde mit einem Wettbewerbsvorteil ausgestattet, der nicht nur die Geschäftsgrundlage ihrer Konkurrenz, der klassischen Medien zerstörte, sondern gleich auch das Primat des Rechtsstaats in der Demokratie abschaffte. Danke herzlich für solche Privilegien. Warum ist es so schwer, Klartext zu reden? Weil der stumpfsinnige Imperativ „digitalisiert euch!“ uns längst zu Teilhabern unserer eigenen Entdemokratisierung und Vertrottelung gemacht hat?


Ich bin ja, wie gesagt, als Kritiker der Digitalisierung ein Zerrissener. Als ich gestern die Arroganz der Designer von Fernbedienungen und Handys kritisierte, erhielt ich digital gleich zweierlei Arten freundlicher Zuschriften. Die einen halfen mir mit zahlreichen Tipps, wie ich meiner Mutter eine One-Fits-All-TV-Steuerung besorgen könnte, die sie lesen und bedienen kann, weil im Alter die Feinmotorik halt nachlässt. Danke! Ich habe Mutter sofort so ein Gerät bestellt, schauen wir, ob es funktioniert.

Die zweite Art der Zuschriften beschäftigte sich mit Ausgrenzung. Dass Fernbedienungen, die kommentarlos per USB-C-Anschluss aufgeladen werden müssen und Schwarz in Schwarz designt sind, eine große Gruppe der Bevölkerung ebenso ausschließen wie ein digitalisiertes Banken-, Gesundheits-  und Verwaltungswesen, scheint das ach so achtsame Jungvolk wenig zu kümmern. Digitalisierung ist zu allem anderen auch eine Machtfrage, die eine Generation gegen die andere „ausspielt“ und das Fortkommen der einen auf Kosten der anderen „begünstigt“. Gerontophobischer Rassismus („alte weiße Männer“) ist eine (die einzige?) erwünschte Form der Diskriminierung. Die Alten? Kommen eh von selber fort.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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