Andenken an Lothar Knessl (15. 4. 1927 – 6. 8. 2022)
Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 802
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Lothar Knessl Foto: Heribert Corn
Vergangenen Samstag starb Lothar Knessl in Wien. Statt eines Nachrufs auf diesen bedeutenden Mannes der neuen Musik erscheint hier jene bisher unveröffentlichte Laudatio, die ich am 23.4. zur Feier seines 90. Geburtstags (15.4.1927) im Wiener Konzerthaus halten durfte.
»Lothar Knessl zu rühmen ist leicht und schwer zugleich. Wer ihn nur ein wenig kennt, spürt das Formproblem, das in dieser Aufgabe liegt, vielleicht stärker als alles andere.
Wie soll man einen ehren, der nicht nur ein Autor ist, sondern nur halb insgeheim auch ein Dichter? Ich habe den Verdacht, dass der Auftrag auch deswegen an mich erging, weil darin sich die – allerdings nicht ausgesprochene – Hoffnung verbarg, ich würde eine Form finden, die dem Jubilar angemessen wäre.
Ich habe jüngst einmal gewagt, das diskreditierte Genre der Lobrede durch den Versuch zu retten, die Versform wiederzubeleben; in der avanciertesten Lyrik sind derzeit vermehrt Rückgriffe auf antike Formen zu beobachten. Als Amateur der Poesie bin ich unsicher, aber gewiss, mich mit Knessl, wenn nicht auf dem gleichen Dampfer, so doch auf dem gleichen Ozean zu befinden. Als Dilettanten sind mir strengere Formen gerade recht, um ein missbrauchtes Genre wie die Preisrede wiederzubeleben, diese glatte Piste freundlich gemeinter Verlogenheiten.
Im Vergleich zu Pindar’schen Versmaßen, zu alkäischen und asklepiadischen Strophen kommt der Hexameter einigermaßen zu Fuß daher; doch mag er mir helfen, Geschwätzigkeit zu vermeiden, womit ich Knessls Temperament hoffentlich entgegenkomme.
Die Schwierigkeiten dabei sind vermutlich jenen verwandt, die zeitgenössische Komponisten beim Schreiben einer Fuge empfinden würden. Ich tröste mich damit, dass es eben einem Gebrauchsgenre dient, in dem die Prosa bessere Dienste, also schlechtere Arbeit leistet als das Versmaß, das sie ordnet und diszipliniert. Ich will sie also wagen, die Form des hexametrischen Preislieds.
Ein Nebenproblem ist dabei der Name des zu Preisenden. Lothar ist ein Spondeus, wenn ich je einen sah, aber was ist Knessl? Ein kompletter Trochäus: Knes-sel? Oder doch nur ein katalektischer, ohne die Senkung: Knessl? In zweifelhaften Fällen wie diesem bleibe man flexibel.
In der Hoffnung auf Ihr Verständnis halte ich mich in meinem heutigen Preisversuch, wie Sie hören werden, an die aufgeweichte Klopstock’sche Form des Hexameters. Wer verträgt schon zum 90. Geburtstag einen Daktylenregen! Ich hoffe, der Jubilar wenigstens erträgt die folgenden Verse einigermaßen.
Wenig nur weiß ich zu sagen zur Neuen Musik; aber manches
über den hiesigen Herold dieser Musik, Lothar Knessl. Ihm
hängen Epitheta an wie Vorkämpfer, Protagonist, ja auch
Pate; er selber bevorzugt die schmucklose Sprache. Knapp ist sein
Stil und einfach zu redigieren; angenehm ist’s, denn
meistens gibt’s nichts zu redigieren. Einiges bleibt zwar
schwierig, wegen der Knappheit. „Unüblich“ lautet’ ein Titel,
den als Redakteur ich kaum einem durchgehen ließe. Bei
Knessl war’s möglich. Gestatten sie mir ein Beispiel aus seiner
Prosa: „… entdeckt ein ins Inn’re der Klänge horchender Kompo-
nist, dass Orgelpfeifen, bläst man sie direkt an, über
eigene Klangqualitäten verfügen, aufgerauht nur durch
schattenhaftes Spektrengeräusch. Um das zu vermitteln,
gründet er ein Orgelpfeifenenorchester (und widmet
ihm in Stille, mit einem Beckett-Text über das Schweigen).
Unüblich.“
Solche Prosa ist nahe am Versmaß, nur kleinste
Eingriffe braucht es, sie gänzlich zu versifizieren. Allein das
„Viertelton-Akkordeon“ widersetzt sich, nicht aber „Zither,
Hackbrett und Blockflöte“; die benützt der von Knessl Gelobte
gerne. „Kein Liebäugeln mit Populärem“, konstatiert Knessl und
freut sich der „Klangprofile, der ausgeloteten und deren
live-elektronischen Reichtums.“
Schluss des Zitats. Unser Kritiker
schreibt, wie das Beispiel zeigt, nicht bloß von und über Musik, er
schreibt gleichsam musikalisch. Kein Wunder, begann er, wir wissen’s,
kompositorisch. Als „meisterlich“ lobte Friedrich Cerha
Knessls Motetten; doch der macht Schluss damit, denn er muss von was
leben, vom Chorgesang beispielsweise. Hätt’ er nichts and’res ge-
fertigt, schreibt Cerha, als diese Motetten, ihm wär seine Hochachtung
sicher. Aber er hat ja, der Knessl. Wien, seine Stadt, steht im
Banne der Frage, was es wohl wäre ohne die Wiener, zum
Beispiel. Oder jener, was die Musikstadt Wien wohl
wär’ ohne Knessl. Denkbar, lautet die Antwort, wäre ein
Wien ohne Wiener; vielleicht sogar schöner; nicht aber denkbar ist
Wiens Musik ohne Knessl, der ist außerdem Brünner.
Irreal, dieses Was-Wäre-Wien-ohne Knessl, es wäre ein
Wien ohne Zeitton, ein Wien ohne Wien Modern, und ein Wien ohne
Mica – um weniges nur zu nennen. Andererseits, wo
pflegt man die Weltanschauung des Irrealismus wie hier, in der
Metropole des Hättiwari. Was wäre wenn, wie
oft bleibt in Wien das saftloser Wunsch und laffes Sich-Schicken ins
scheinbar ohnehin Unvermeidliche! Nicht aber diesfalls.
Uns dient der Irrealis der frohen Bekräftigung einer
Realität. Wir haben ihn ja, den Knessl, und gegen die
Realität hat er all das geleistet. Bewundernd können wir
fragen, wie er’s getan. Seine Antworten machen ihm alle
Ehre. „Ich wár’s nicht, Herr Lehrer“, sagte er auf die Frage, wie’s
zuging bei der Gründung von Wien Modern. Wir Heutigen
wissen es besser; er war dabei, stets als Mann im Hintergrund,
nicht gerade der unsichtbar Dritte, aber zweifellos der am
wenigsten wichtig sich machte. Nicht leichten Herzens, doch ohne
große Geste schob er das Komponieren beiseite.
Studium folgte, von Musik und Theater. Im jungen Österreich,
Republik Zwo, da westen die alten Nazis, Kindermann
etwa, bei dem studierte Theaterwissenschaft er. Bess’re
gab es, Schiske zum Beispiel, der Knessl und andre nach Darmstadt
schickte, den Ort der Moderne. Stockháusen erzürnt dort Professor
Wiesengrund Adorno, und Knessl erlebt sie live, die
Kränkung des Teddy, die diesen zur Abrechnung motivierte mit
serieller Musik; in Darmstadt, der jährlichen Welthauptstadt
musikalischen Zeitgeists, „Gedankenlaboratorium“,
mittendrin Junior Knessl, nachzählend, aufschreibend, mitdenkend.
Vor sich Boulez und Cage, Maderna, Henze und alle andern,
Schwertsik und Cerha zur Seite, Nono als Gegenüber, was
später als brauchbare Referenz sich erwies bei Abbado, und
nützlich der Gründung von Wien Modern. Kühl und nüchtern bei allem
Enthusiasmus blieb Knessl; das macht ihn für uns nur zum besseren
Zeugen. Undogmatisch, wohlinformiert, stand er an der
Front des Geschehens, im Zentrum, wo man die neuen Gedanken
schmiedet. Hängt án keiner Richtung, lässt sich von neuem immer auf
Neues ein – berühmt seine Premieren-Berichte der
Uraufführung von Intolleranza; da war er schon Kritiker,
renommierter dazu, der Erste für neue Musik in
Wien. Journalisten sollten Knessls Berichte von diesem
Fall gut studieren: Knessl spricht mit dem Komponisten.
Statt ihn verdoppelnd zu feiern, seziert den Skandal er und macht uns
transparent, worin die neue Freiheit besteht, die sich
Nono erkämpft; im seriell Innern und gegen Zensur im
Äußern. Das ist, was Friedrich Schlegel vom Kritiker fordert: er
schreibe das Werk fort mit anderen Mitteln; so wird zum Mitautor
endlich Knessl, der Kritiker. Findet den eigenen Ton nun, des
freundlich-unerbittlichen Einsatzes für die Moderne,
niemals ohne die Ironie, und die gilt nur, schließt sie
frisch den Ironiker selbst mit ein. In Konzertkritik findet
Knessl zur Stimme, metaphorisch und physisch wohl auch, als
vielvermisste im Radio, als Zeittonstimme, Nachtstück und
Prachtstück einer nach Analysen begierigen Hörerschaft.
Unüblich lobt er, der Knessl; erlöst von dem Übel hat es uns
nicht, doch geschützt vor dem Schlimmsten, vor gedanklicher Trägheit.
Selten ist’s eher in unseren Breiten, dass Kenntnisse einen
qualifizieren für Tätigkeiten. Hier war es anders.
Lektor, Kritiker, Lehrer, Leiter des Pressebüros der
Bundestheater, IGNM-Präsident und Gründer von
Wien Modern, Professor, Pensionist, und als solcher
segensreicher Kurator des Kunstministers (als noch der
Bindestrich Politik und Kultur zusammenzufügen ver-
mochte). Präsident des mica, nicht zu vergessen die
Ehrenzeichen in Silber und Gold, die gut gemeinten,
von ihrem Träger milde belächelten. Was sind äußere
Ehren, verglichen mit selbstlosen Akten der Förderung anderer?
Leute neben sich aufkommen lassen – das schaffen nicht viele.
Jung-Kuratoren sind neben Lothar Knessl gewachsen, er
hat sie gefördert voller Vergnügen; es blieb ihm mehr Raum, als
hätt er ihn eifersüchtig beansprucht. Das Geld als Kurator
hat er sinnvoll verteilt; und Komponisten, Ensembles
– nennen das Klangforum ruhig wir – hatten den Nutzen. Als die Schwarz-
Blaue Regierung daranging, zur Blasmusik umzuverteilen,
sagte er trocken ade. Sunt certi denique fines,
heißt es beim alten Horaz. Ja, irgendwann gibt es Grenzen,
Nein zu sagen ist wohl die schlichteste Form von Moral, doch
bleibt sie unzugänglich den meisten. Knessl vermochte das
selbstverständlich. Im Urteil nie hart, doch immer, das Wort Walter
Benjamins abzuwandeln, an die Wurzel gehend.
Niemals konsequent, doch immer radikal, als
Motto dieses Lebens. Vollendung? Nein. Noch immer sieht
Knessl uns vor, nicht nach der Moderne. Wär hier noch mehreres
Gleichgestimmte mit Benjamin, nämlich fast messianisches
Warten aufs endliche Eintreffen einer wahren Moderne, des
Ends der von Knessl beklagten, kläglichen Prämoderne? Ich
frage nur. Seine Antwort wäre sardonisch bescheiden. Nicht
unerbittlich klagt er, nein, augenzwinkernd und freundlich.
Klar aber immer, und ohne Ausflucht in Zweideutigkeiten.
„Unerbittlich“ bedeutet gerade das Gegenteil von ver-
bittert; fehlt Knessl doch die unverbindliche Weichheit des
Capua kleiner Geister. Nein, anders ist er als die, deren
Sinn nur steht nach Verhindern, die hiesigen Haxlsteller.
Knessl ist einer, der Dinge ermöglicht. Der Erste-Bank-Preis für
Kompositionen, das Festival, Essays, die Sendung im Radio –
nie ging’s um Knessl, immer um des ersehnten Neuen
Förderung. Solcherart neu-gierig, treu den Gefährten, offen den
kommenden Horizonten, mit einem Wort, Zeitgenosse zu
sein, und nicht bloß dahinzuleben mit seiner Epoche, das ist
Knessls Leistung. Und mehr: Sein Werk ist es, zahllose Werken
Leben verschafft zu haben. Was ist schon, damit verglichen, die
Leistung, neunzig geworden zu sein. – Gestatten Sie mir am
Ende, eines seiner Gedichte zu paraphrasieren. Die
„Neujahrssprüche“ erweisen Knessl als echten Lyriker.
Neunzehnneunundachtzig schrieb er die folgenden Verse:
Aus ständig kreisenden Gedanken,
aus schwarzen Tönen der Vergangenheit
führe heraus des Lebensschiffes Bug
in ein Gewässer ohne Trug.
Im lichten Segel fängt sich Heiterkeit. –
Der Steuermann darf Hoffnung tanken.
Hoffte zum Wendeneujahr Knessl auf sein Glück, so
gibt mein Echo seinem Zweifel dies zurück:
Du zweifeltest? Kein Grund zu schwanken!
In deiner glänzenden Vergangenheit
spürst Dunkles du. Wir sehen es nicht,
nur Urteile von Lichtgewicht,
Kritik von heiterer Entschiedenheit. –
Dem Lotsen Knessl haben wir zu danken.«
Distance, hands, masks, be considerate!
Ihr Armin Thurnher