Wer sich krank fühlt, kann auch nach positivem Corona-Test das Haus verlassen!

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 800

Armin Thurnher
am 08.08.2022

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Epidemiologe Robert Zangerle kommt in Teil 2 seines Dreiteilers zum „Ende von Corona“ nicht darüber hinweg, dass der Bundeskanzler nicht nur schwurbelt, sondern objektiv Gesetzesfernes von sich gibt. Das kommt davon, wenn man, wie sie die Philosophin Isolde Charim konstatiert, Corona privatisiert. Das heißt: die Regierung unterwirft sich Interessen, vor allem jenen „der Wirtschaft“, aber ohne das klar zu sagen. Und sie hat ihre Lektionen einfach nicht gelernt. Fazit: trotz aktuell entspannter Situation kein Grund zu Jubeln. A. T.

»Nach einem positiven Test gleich wieder zurück an den Arbeitsplatz: Mit Maske ist das seit 1. August nach den neuen Regeln erlaubt. Mit oder ohne Symptome! Das ist nämlich nicht geregelt, die medizinischen und rechtlichen Risiken sind jedoch unüberschaubar. Selbst wenn Bundeskanzler Karl Nehammer irgendwie bemüht von „Wer sich nicht krank fühlt, kann auch nach positivem Corona-Test das Haus verlassen“ daherredet, und obwohl das landauf, landab allen erzählt wird, ist es inhaltlich und rechtlich nahezu substanzlos. Die COVID-19 Verkehrsbeschränkungsverordnung „gilt für Personen, für die ein positives Testergebnis auf SARS-CoV-2 vorliegt“. In der rechtlichen Begründung der Verkehrsbeschränkungsverordnung wird das konkret ausformuliert: „Der Anwendungsbereich der COVID-19-VbV ist unabhängig davon erfüllt, ob eine infizierte Person Symptome aufweist oder nicht, zumal es in Bezug auf die grundsätzliche Übertragungsfähigkeit, die von symptomatischen und asymptomatischen Personen ausgeht, keine zentralen Unterschiede im Tatsächlichen gibt. Wenn das kein eklatanter Widerspruch zu Nehammers „Empfehlung“ ist? Und weiters, „es ist davon auszugehen, dass Personen mit einer Symptomatik, die die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt, wie bei sonstigen Krankheiten auch Krankenstand beanspruchen.“

Und was hat das mit dem Haus verlassen zu tun? Nur sehr indirekt. Eine das Verlassen des Hauses betreffende Regelung wird gelegentlich bei der Krankschreibung vorgenommen, wenn Ausgehzeiten vereinbart werden. Was da gestattet oder nicht gestattet wird, hängt von der Art der Erkrankung und vom krankschreibenden Arzt oder der Ärztin ab. Ist jemand wegen Depressionen krankgeschrieben, kann ein Spaziergang mit Freunden sehr hilfreich sein, andererseits ist bei einer Grippe und hohem Fieber „Betthüten“ angesagt. Grundsätzlich dürfen Arbeitnehmer nichts tun, was die Genesung beeinträchtigt. Der Österreichische Gewerkschaftsbund empfiehlt, um vor Beanstandungen sicher zu gehen, auf der Krankenstandsbestätigung fixe Ausgehzeiten festhalten zu lassen. Ärztekammer-Präsident Burkhard Walla aus Vorarlberg sagt jedenfalls, dass man großzügig Krankschreibungen ausstellen wird. Lieber eine Krankmeldung zu viel als eine zu wenig, weil dadurch andere Menschen vor einer Ansteckung geschützt werden. Auf Covid-Krankschreibungen steht jedoch keine Ausgehzeit, so Walla weiter. Ob er für alle Ärzte Vorarlbergs gesprochen hat?

 

Für mich als Pensionist gilt das alles ohnehin nicht. Was aber für alle gilt ist, dass ich niemanden anstecken darf. Das sagen nicht nur der Hausverstand und der Anstand, sondern auch das Strafrecht. Die durchaus umstrittenen Paragraphen 178 oder 179 des Strafgesetzbuchs verfolgen ein potentielles Gefährdungsdelikt. Zur Verurteilung sind weder Ansteckung noch konkrete Gefährdung notwendig, die typische Gefahr alleine genügt schon. Das haben einige westeuropäische Länder so nicht – dort braucht’s mehr; erst eine konkrete Gefährdung ist strafwürdig. So viel zum ständigen Vergleich von Äpfel mit Mangos.

Isolde Charim, Philosophin und Publizistin, hat nicht nur die Aufhebung einer der Isolationsplicht für Menschen mit Infektion im letzten Falter kommentiert , sondern auch die gesellschaftlichen Folgen der Argumentation zum Ende der Isolationspflicht geprüft: „Der Bundeskanzler meinte: Wer sich nicht krank fühlt, kann auch nach positivem Corona-Test das Haus verlassen. Das eigene Fühlen hat also mehr Aussagekraft als ein medizinischer Test. Vernünftig ist nun das Gefühl. Eigenverantwortung reduziert sich auf den gesunden Menschenverstand – und sei er das einzig Gesunde, was wir dann noch haben. Damit aber wird das gefühlte Kranksein von der nicht-gefühlten Ansteckung getrennt. Corona ist hiermit privatisiert (fett durch Seuchenkolumne). Reduziert auf ein persönliches Krankfühlen, abgeschnitten von ihren gesellschaftlichen Wirkungen, wie eben der Ansteckung“.

Und Charim legt nahe, dass die jetzige Entscheidung der Regierung mit einem Fähnchen im Wind gegenüber den Querdenkern und Unternehmern, einer „„Allianz“, die „nur auf den ersten Blick erstaunlich ist“, verglichen werden kann. „Tatsächlich fanden sie sich in dem, was man Neoliberalismus nennt – dem einen seine persönliche ,Freiheit‘, dem anderen sein persönlicher Gewinn. Allerdings einmal mit Anführungszeichen – und einmal ohne. Denn der Gewinn ist real. Als Querdenker könnte man nun ein Gefühl von Sieg haben – angesichts der Privatisierung der Krankheit, angesichts der Vereinheitlichung des öffentlichen Lebens in diesem Sinne. Könnte man – würde sich dieser Sieg nicht einem bestimmten Umstand verdanken. Dem Umstand, dass ihre Intentionen ungewusst mit den Interessen der Unternehmer übereinstimmten. Sie haben also deren Geschäft betrieben. Im wahrsten Sinne des Wortes.“

Mitte Juli, etwa eine Woche bevor die Verkehrsbeschränkungsverordnung „geleaked“ wurde, stand in der Seuchenkolumne: Verkehrsbeschränkungen sind z.B. Ausschluss aus der Gastronomie – für die Konsumenten, aber nicht für die Arbeitnehmer. Das wurde dann „eleganter“ gelöst, man darf jetzt mit Maske beim Essen und Trinken zuschauen, aber in anderen Bereichen wie in Krankenhäusern und Pflegeheimen hat das die Regierung weniger „elegant“, dafür mit viel Konfusion und Unsicherheit gelöst. Vor einem Jahr habe ich das noch mit Aufräumen mit Covid-Absurditäten gefällig? Hört jemand zu in Absurdistan?  falsch charakterisiert, weil das damalige Vorgehen schon jener Logik folgte, die Isolde Charim so treffend für das jetzige Vorgehen beschrieb. Natürlich ist es verständlich, dass ich das im letzten Sommer als absurd einstufte, dass die 3G Regel die längste Zeit für Konsumenten, aber nicht für Arbeitnehmer galt. Auch jetzt muten die Unterschiede für Besucher und Arbeitnehmer bei den Verkehrsbeschränkungen noch absurder an. Es scheint aber nichts anders zu sein als dass eine Regierung sich Interessen unterwirft.

Seit dem Amtsantritt spricht Gesundheitsminister Johannes Rauch von der Vorbereitung auf den „Herbst“. Ich fand das immer irritierend, weil im März bis etwa Mitte April die Omikron Welle mit BA.2 schwere Belastungen für Menschen und Gesundheitsstrukturen nach sich zog (im März starben mindestens 1070 Personen und im April 707; es waren bis zu 3315 Krankenhausbetten mit Covid Patienten belegt) und der „andere Sommer“ (obwohl seit April klar angekündigt, auch in der Seuchenkolumne) wurde gezielt ausgeblendet. Und dann war auf einmal der Variantenmanagementplan  (allein der Name lässt schaudern) da, am 27. Juli wurde er präsentiert. Im Plan selber kein Datum, kein Hinweis auf Versionsnummer oder auf Äquivalentes. Herausgeber: Bundeskanzleramt und Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz.

In diesem Plan versucht man die Möglichkeiten der weiteren Entwicklungen der Pandemie im Herbst/Winter 2022/2023 mit Details auszuschmücken und mögliche Maßnahmen zu nennen, um Schaden für Mensch und Infrastruktur abzuwenden. Virusvarianten gelten derzeit als maßgebliche Treiber des pandemischen Geschehens, aber über die Wahrscheinlichkeit der weiteren Entwicklung können keine definitiven Aussagen getroffen werden, sondern es können nur anhand von Szenarien mögliche Situationen beschrieben werden. Diese Szenarien sind plausible Einschätzungen aus heutiger Sicht, deren Eintrittswahrscheinlichkeit nicht quantifiziert oder an einzelnen Parametern präzise festgemacht werden kann. Bei letzterem macht die Regierung es sich zu einfach, denn so krass verallgemeinernd gilt dies erstens nicht und zweitens ist das Papier dann eh schrecklich konkret: Im Ausblick auf den Winter 2022/2023 wird das Ausmaß und Schweregrad der letzten Omikron Wellen als günstiger Fall im Szenario 2 („Central Optimistic“) zutreffen. Ist denen wirklich wurscht, was im März und April passiert ist? War das „günstig“? Maßnahmen so wie jetzt werden für dieses Szenario empfohlen, also lediglich eine Maskenempfehlung in Innenräumen im weitesten Sinn. Zynisch.

Und im Idealfall? Aus Sicht der Regierung wohl die jetzige Situation, wobei erwähnt wird, dass Masseninfektionen vorkommen können („hohe Anzahl an Infektionen“). Für dieses Szenario gibt es keine verpflichtenden Maßnahmen und keine Bewegungseinschränkungen. Das Besondere, nämlich wie die Welle der Masseninfektionen 2022 aufgetreten ist und das Ausmaß, das auch historisch praktisch neu ist, wird nicht reflektiert. Selbst bei deutlich reduzierter Pathogenität, deren Hauptgrund ja die Impfungen und nicht die jeweiligen Virussubvarianten waren/sind, führt die „hohe Anzahl an Infektionen“ zu neuen Problemen, bzw. beseitigen sie bestehende Probleme keineswegs: weder nicht abzuschätzende Zahl an Long Covid noch die unberechenbaren Folgen von Krankenständen. Wenn solche Phänomene bei wenigen Maßnahmen mit dem Auftreten von „saisonalen“ Erregern (z.B. Grippe) zusammenfallen, dann können bei aller „Milde“ „unerwartete“ hohe Belastungen im Gesundheitssystem auftreten. Bei Kindern gilt das ganz besonders, weil hier Nachholeffekte das Ganze noch einmal verschärfen können.

Dass diese Lektionen nicht gelernt wurden, sieht man am Szenario 4: wenn es ganz schlimm kommt, setzen wir halt auf einen Lockdown (was immer das heißen möge) und massive Einschränkungen im grenzüberschreitenden Reiseverkehr. Genau das hat Adam Kucharski in einem sarkastischen Ton vor kurzem angekreidet: die Regierungen werden zwar das Gegenteil behaupten, aber angesichts der mangelnden Anpassungen ist es sehr wahrscheinlich, dass die Einführung einiger willkürlicher Reiseverbote, und wenn es schlimm kommt, dann eben ein Lockdown, vielerorts die Standardreaktion auf die nächste Pandemie (gälte auch für eine heftige „Welle“) sein wird. Eine Aufarbeitung der Pandemie jenseits von „jede Maßnahme war schrecklich“ oder „alles richtig gemacht“ fehlt weitgehend. Oder werden Rechnungshofberichte unverhofft beherzigt?

Diese Prozesse sind noch nicht dort angekommen, wo man entspannt „durchlaufen“ lassen kann. Eine Politik der Masseninfektion ist zum jetzigen Zeitpunkt deshalb kein verantwortliches Handeln. Das unverändert notwendige ordentliche Optimieren von

  • Impfungen,

  • Sauberer Atemluft und

  • Isolierung, wenn positiv getestet

geschieht nicht in adäquater Weise, sondern wird politischen Zwängen unterworfen, wird verhältnismäßige „Realpolitik“, wie der Gesundheitsminister ständig betont. Ceterum censeo, der Besuch der Schule und der weiterführenden Bildungseinrichtungen kann weitgehend Covid-sicher gestaltet werden, darüber gibt es inzwischen genügend Studien. Man muss es nur tun. Der Grund für die geringe Resonanz auf Forderungen nach einer sicheren Schule liegt nicht in erster Linie darin, dass die Öffentlichkeit Ansätze dazu ablehnt, und auch nicht darin, dass die Menschen ihr eigenes Leben oder das Leben anderer nicht schätzen. Es liegt daran, dass sich die Verantwortlichen dagegen wehren.

Zahlreiche Punkte im Variantenmanagementplan enthalten entweder zu viel Polit-PR oder man hat vor lauter Wunsch, „die Bevölkerung“ optimal anzusprechen, das Kind mit dem Bad ausgeschüttet. Das analoge Expertenpapier aus Deutschland entkommt diesem Dilemma (PR vs. einfache Botschaften) besser, obwohl das in einer 23-seitigen Übersicht eigentlich schwieriger zu bewältigen ist, als in einem 64-seitigen „Managementplan“. Hier ein winziger Vergleich zum Lüften (mehr steht im ganzen Variantenmanagementplan nicht drinnen):

Leider scheint es immer schwieriger zu werden, Diskussionen darüber zu führen, wie sich bestimmte Covid-Maßnahmen auswirken würden, ohne in die Schublade „es funktioniert offensichtlich“ oder „es funktioniert offensichtlich nicht“ oder „wenn man sich nicht für X einsetzt, muss man dagegen sein“ zu geraten. Man könnte einfach versuchen, Fragen offener anzugehen und sie auch anders stellen, z.B. so: „Wie stark würden Belüftungssysteme von Veranstaltungsorten des Typs X das Ausmaß von Covid-Ausbrüchen verringern?“ oder „Wie stark würden Schnelltests und mehr Krankschreibungen die Übertragung in der Branche Y eindämmen“? Zweifellos, da gibt es noch viel zu lernen. Wenn z. B. Belüftungssysteme schrittweise auf breiter Front eingeführt werden, warum dann nicht ein Stufenplan oder ein ähnliches Konzept verwenden, damit auf dem Weg mehr über ihre Wirksamkeit erfahren wird. Man kann Dinge ausprobieren UND mehr Erkenntnisse gewinnen – es ist kein Entweder-Oder.

Die Sommerwelle mit der zuletzt aufgetretenen Omikronsubvariante BA.5 scheint jetzt mehr oder weniger auf der ganzen Welt abzuflauen. Auch in Österreich, dafür sprechen nicht einfach die sinkenden 7-Tagesinzidenzen, sondern auch dass

  • die Inzidenzen stärker sinken als die Testzahlen,

  • die Abwasserbelastung durch SARS-CoV-2 überall abnimmt,

  • und auch die Krankenhausbelegung abnimmt.

Und außerdem scheint eine neue Variante, die eine neue Welle in 2-3 Monate erwarten ließe, außer Sicht zu sein, oder täusche ich mich da? Morgen endlich mehr darüber.« R. Z.

 

Teil drei folgt morgen.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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