Krieg an der Heimatfront: Ein Schub für den Überwachungskapitalismus

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 797

Armin Thurnher
am 04.08.2022

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Das muss man mögen: Ein Energiekonzern teilt mir mit, dass mein Tarif nun ordentlich angepasst wird. Das öffentliche Gesülze im Ohr, das vor Deckeln und Zuschüssen nur so klappert und klingt, als gebe es noch die Lohn-Preiskommission und als lebten wir im Sozialismus, erwarte ich eine Senkung. Nix da. Gesalzen geht’s hinauf, ein paar hundert Euro im Jahr mehr werden fällig, das sieht man auf einen Blick.

Ich könne aber sparen, teilt mir der Konzern mit, indem ich mich zum Beispiel im Kundenportal registriere, digitale Rechnungen akzeptiere, vielleicht auch beim Smart Meter mitmache (als Paranoiker wählte ich die Variante alter Zähler, Einmalablesung im Jahr wie bisher), und was weiß ich noch alles.

Ich denke, so gehen die Energieversorger in allen Bundesländern jetzt vor. Widerrede ist sinnlos, eine amtliche Strompreisregelung „ginge in die falsche Richtung“, verkünden die Wirtschaftsschwurbler aller Kontinente wie auf Verabredung.

Besonders hat mich der Zusatz am Ende des Mails gefreut: „Energie vernünftig nutzen: Bevor Sie dieses E-Mail drucken, denken Sie bitte an die Umwelt.“


Wozu sollen wir unsere Beziehung zum Konzern auf Datenbasis stellen, wozu gibt es Smart Meter, wozu wollen die Konzerne unsere Daten? Die amerikanische Publizistin Shoshana Zuboff hat das Ganze als „Überwachungskapitalismus“ beschrieben und erklärt dessen Prinzip in ihrem gleichnamigen Buch einmal so: „Überwachungskapitalismus beansprucht einseitig menschliche Erfahrung als Rohstoff zur Umwandlung in Verhaltensdaten. Ein Teil dieser Daten dient der Verbesserung von Produkten und Diensten, den Rest erklärt man zu proprietärem Verhaltensüberschuss, aus dem man mit Hilfe künstlicher Intelligenz Vorhersageprodukte fertigt, die erahnen, was sie jetzt, in Kürze oder irgendwann tun. Und schließlich werden diese Vorhersageprodukte auf einer neuen Art von Marktplatz für Verhaltensvorhersagen gehandelt, den ich als Verhaltensterminkontraktmarkt bezeichne. So erpicht, wie zahllose Unternehmen darauf sind, auf unser künftiges Verhalten zu wetten, haben Überwachungskapitalisten es mittels dieser Operationen zu immensem Wohlstand gebracht. Faktisch zwingt heute die Wettbewerbsdynamik die Überwachungskapitalisten zum Erwerb immer aussagekräftigerer Quellen für Verhaltensüberschuss, wie sie etwa unsere Stimmen, Persönlichkeiten und Emotionen darstellen. Und schließlich sind sie dahintergekommen, dass man die aussagekräftigsten Verhaltensdaten überhaupt durch den aktiven Eingriff in den Stand der Dinge bekommt, mit anderen Worten, indem man Verhalten anstößt, herauskitzelt, tunt und in der Herde in Richtung profitabler Ergebnisse treibt.“ Smart Meter sind nur für wenige smart, am wenigsten für jene, die sie sich in ihren Wohnungen installieren lassen.


Ein dänisches Büro plant nun die Waterfront Toronto, Rendering: © SLA Design Studio

Statt kollektiv zu beratschlagen, wie man als Konzern im öffentlichen Eigentum der Grundversorgung und dem Zusammenhalt von Gesellschaft dient, versuchen unsere Konzerne den Anschluss an etwas zu finden, von dem man woanders bereits wieder Abstand zu nehmen beginnt. Mit uns kann man es ja noch machen. Mit den Kanadiern zum Beispiel nicht mehr. Der Smart City Stadtteil „Quayside“ in Toronto, ganz der amerikanischen Firma Sidewalk überantwortet und als überwachungskapitalistisches Projekt der Zukunft geplant, wurde vor zwei Jahren gestoppt und durch das Projekt einer begrünten, belebten, nicht durchdigitalisierten Ökostadt ersetzt (Putin, berichtet das MIT-Journal, ist außer allem anderen ein Fan von Smart Cities. Wen wundert’s).


Ich denke also an die Umwelt und möchte meine Energierechnung einmal im Jahr abgerechnet haben und viermal per Post zugeschickt bekommen. Überhaupt könnte die Krise doch wirklich den Anlass für eine gesellschaftliche Diskussion über Volks- und Betriebswirtschaft bieten. Die großartigen Manager der Energieversorger sollen einmal ihre Karten auf den Tisch legen und uns zeigen, wieviel das Management dort verdient, welche Boni und Sonderzahlungen sie bekommen, und was davon gestrichen werden könnte, statt es uns aufzupelzen. Die Managementgehälter sind nämlich in den flexiblen Kalkulationen der Konzerne die einzig fixe Größe; fix in dem Sinn, dass sie nur steigen dürfen.

In unserem Zeitalter der Gier ging es einfach durch, dass astronomische Managementgehälter (Schwurbelverabredung: „International zahlt man ja ein Vielfaches …“) tabu sind. Dass das Management für Maßnahmen gefeiert wird, die kurzfristige betriebliche Einsparungen bedeuten, aber zugleich soziale Kosten in weit größerer Höhe verursachen. Die Schließung eines Postamts zum Beispiel zieht dem sozialen Geflecht eines Dorfs den Nerv; solche Postämter werden oft auch nur geschlossen, weil sie abstrakten Profitvorgaben nicht genügen, obwohl sie für sich genommen durchaus profitabel sind. Die abstrakten Profitvorgaben aber dienen vor allem dazu, die Bezahlung der Managerklasse hochzuhalten.


Ich sage das so volkstümlich, weil ich der Meinung bin, es braucht in der Krise eine Debatte über Kriterien des Wirtschaftens, des privaten und des öffentlichen. Ja, wir müssen alle sparen, das ist unser neuer kategorischer Imperativ. Fangen wir doch ausnahmsweise oben damit an! Ich sehe gar nicht ein, dass Betriebe der Grundversorgung sich in unser Leben mischen, ohne dass wir uns in ihres mischen dürfen.


Distance, hands, masks, be considerate! Ihr Armin Thurnher

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