Noch einmal Wiener Zeitung. Eine Antwort auf die grüne Mediensprecherin Eva Blimlinger

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 795

Armin Thurnher
am 02.08.2022

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Erste Ausgabe des Wiennerischen Diariums vom 8. August 1703

Vor kurzem erschien im Falter mein Plädoyer für den Erhalt der Wiener Zeitung als Tageszeitung. Eva Blimlinger, Sprecherin der Grünen in medienpolitischen Fragen, schrieb dem Falter daraufhin folgenden Leserbrief, den ich hier gerne kommentiere, weil er einige Missverständnisse sogenannter progressiver Medienpolitik exemplarisch präsentiert (Blimlingers Text erscheint im folgenden kursiv):


Erstens: Die Republik Österreich ist Eigentümerin der Wiener Zeitung, deren Aufsichtsrat wie der Stiftungsrat des ORF selbstverständlich politisch – also durch Bundesregierung oder Bundeskanzler:in – besetzt wird.

In Ordnung, die politische Besetzung aber gehört problematisiert. Ich bin nicht der Ansicht, dass Parteienzugriff absolut zu verhindern ist (der demokratische Staat, wie wir ihn kennen, ist ein Parteienstaat), aber die Beaufsichtigung medialen Republikeigentums muss eine Balance von öffentlicher, also staatlicher Kontrolle und Kompetenz beinhalten. Kompetenz, das heißt Besetzung mit Leuten aus Medienbetrieben, die nicht nur durch kommerzielle Medienerfahrungen legitimiert sind, sondern durch nichtkommerzielle. Das stellt uns vor gewisse Schwierigkeiten, denn der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist in weiten Teilen durchkommerzialisiert. Woher sollten also solche Leute kommen? Ich habe im Zusammenhang mit Medienförderung einmal den Vorschlag gemacht: kleine Gremien, besetzt zu zwei Drittel mit ausländischem Fachpersonal, zu einem mit österreichischem.

Zweitens: Ja, es muss die Macht der Öffentlichkeit erhalten bleiben und sogar gestärkt werden, die die Wiener Zeitung aufgrund ihrer äußerst niedrigen Auflage nicht hat, um nicht zu sagen, sie erscheint gewissermaßen fast unter Ausschluss dieser Öffentlichkeit.

Der Machterhalt der demokratischen Öffentlichkeit sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Es ist aber ein Irrtum zu meinen, dies geschehe durch Kontrolle über die Reichweiten allein. Ein Medium wie die Wiener Zeitung ist nicht aus Gründen der Reichweite wichtig, sondern weil sie die Substanz der Demokratie erhält und bereichert. Die durch Social-Media-Macht, Datenmenge und Quoten geprägte hiesige Politik schluckt, wenn sie so etwas liest. Bitte noch einmal lesen. Nicht die Reichweite, sondern die Substanz entscheidet über die demokratische Relevanz eines Mediums.

Drittens: Eine republikanische Öffentlichkeit kann durch eine gute Medienförderung und Medientransparenz erreicht werden, aber nicht durch eine Zeitung, die für ein Minderheitenpublikum ist oder deswegen abonniert wird, weil es das Amtsblatt gibt.

Nein. Republikanische Öffentlichkeit wird nicht erreicht, indem man eines gegen das andere ausspielt. Der Begriff des „Minderheitenpublikums“ ist ähnlich zu betrachten wie jener von ethnischen oder identitätspolitisch von Ihnen umsorgten Minderheiten, denen aufgrund ihrer Minderzahl Rechte vorenthalten werden. Mit Minderheit scheint überdies etwas wie „Elite“ gemeint zu sein, etwas, dem man meint, abschätzig begegnen zu müssen.

Viertens: Warum Öffentlichkeit/Demokratie und kommerzielles Interesse von Medienunternehmen ein Gegensatz sein muss, ist nicht nachvollziehbar. Lieber New York Times als Prawda.

Diesen Gegensatz muss es nicht geben, aber die in jedem Medium vorhandenen Interessen laufen einander meist zuwider. Selbstverständlich sind Qualitätsmedien wichtig, die auf verlegerischer Initiative und meist auf verlegerischer Selbstbeschränkung (publizistisch und kommerziell) beruhen. Im Übrigen sollten Sie sich über die New York Times etwas besser informieren  (Noam Chomskys „Manufacturing Consent“ ist diesbezüglich immer noch lohnend).

Fünftens: Tägliche Nachrichten in verlässlicher und sachlicher Qualität auf eine Papierzeitung zu reduzieren ist weltfremd. Die Wiener Zeitung erscheint Dienstag bis Samstag und wird unter der Woche kaum gelesen, am Wochenende signifikant häufiger. Das spricht stark für einen neuen Erscheinungszyklus als Wochenzeitung, weil sie offenbar schon jetzt von vielen als solche konsumiert wird.

Es geht nicht um die täglich erscheinenden Nachrichten. Es geht um den Organismus einer Redaktion, die sich mit dem Tagesgeschehen auswählend und kommentierend auseinandersetzt. Und ja, es geht um ein täglich kristallisiertes, objektiviertes, festgeschriebenes Ergebnis, ein Gegengewicht zum uferlosen Datenstrom. Und sei es nur als Symbol.

Sechstens: Der Tradition kann ich ja noch was abgewinnen betreffend älteste Tageszeitung der Welt, der Argumentation jedoch nicht.

Nur zu, gewinnen Sie ab, wo Sie können.

Siebtens: Warum eine gedruckte Zeitung im Gegensatz zur digitalen ein stärkeres Bekenntnis zur Pressefreiheit sein soll, erschließt sich mir nicht. Und in den letzten Jahren, um nicht zu sagen Jahrzehnten, hätte sich die Erkenntnis „beim Publikum“ ganz leicht durchsetzen können, die Wiener Zeitung zu lesen, hat sie aber leider nicht.

Siebtens: von „stärkerem Bekenntnis“ war nicht die Rede, nur von qualitativem Unterschied. Die gedruckte Welt geht unter, aber nicht ganz. Es werden Entscheidungen getroffen, was bleiben soll. Um die Erkenntnis, dass etwas bleiben soll, beim Publikum argumentativ zu unterstützen, könnte mehr getan werden. Das lag und liegt am Eigentümer, der sich in Gestalt seiner Eigentümervertreterinnen aber lieber in allerlei Sackgassen flüchtete und flüchtet.

Achtens: Ja, die Wiener Zeitung soll erhalten bleiben. Ihre derzeitige Reichweite und gesellschaftliche Relevanz wollen wir aber erhöhen. Das könnte und sollte ein gemeinsamer Nenner sein.

Mit der Umstellung der Wiener Zeitung auf eine – womöglich nur digital erscheinende – Wochenzeitung machen Sie das Kreuz über diese Zeitung schneller als sie dreimal „Medienpolitik“ sagen können. Soviel zur gesellschaftlichen Relevanz.


Sehr geehrte Frau Abgeordnete zum Nationalrat, liebe Eva Blimlinger!

Ich glaube, es war der katholische antinationalsozialistische Schriftsteller Reinhold Schneider, der ungefähr sagte, es gebe in manchen Zeiten in manchen Gegenden nur zwei, drei Gerechte; diese aber prägten, ja retteten ihr Zeitalter vor dem Bösen.

In einer reichweitenfixierten und quotenverwirrten Öffentlichkeit, die nur in Quantitäten und vor allem in Kategorien des täglichen Machterhalts denkt, klingen solche Gedanken lächerlich und wie aus der Zeit gefallen.

Ich hingegen empfinde Ihre acht Punkte als Manifestation einer geistlosen Medienpolitik, die sich scheut, das Besondere zu fördern und das Abseitige zu pflegen. Die nicht den Markt korrigieren will, sondern sich dem (oft genug nur eingebildeten) Diktat der Mehrheit fügen will. Die außerdem nicht weiß, wofür redaktioneller Journalismus steht.

Aus alternativen Quellen speist sich oft der später am stärksten reißende Mainstream.


Distance, hands, masks, be considerate! Ihr Armin Thurnher

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