Völker, hört die falschen Signale! Fußball, Sozialismus undsoweiter.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 794

Armin Thurnher
am 01.08.2022

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Mitteilung. In der Presse vom Samstag erschien unter dem Titel „Welpenschutz für Wiener SPÖ? Ein seltsames Missverständnis“ eine Art Polemik von Anneliese Rohrer. Sie richtete sich vorgeblich gegen mich, in Wahrheit aber gegen Frau Rohrer selbst. Wie es sich gehört, habe ich jedoch nicht mit sofortistischen Tweets oder dergleichen geantwortet, sondern gedenke das an jenem Ort zu tun, an dem ich angegriffen wurde, in meiner Kolumne „Seinesgleichen geschieht“ im kommenden Falter.


Zur Fußball-Europameisterschaft der Frauen gibt es viel zu bemerken; ich weiß noch nicht recht zu entscheiden, ob es beruhigend ist, dass sich auch Frauen als moralisch zweifelhafte Wesen erweisen, wenn es um die Wurscht geht. Sie zerrten an Trikots, stiegen einander auf die Füße, klopften einander auf die Rehrln, beschimpften einander, zogen beim Torjubel das Leiberl aus, höhnten einander, lachten einander aus und wasserten wie manche südländlischen Kicker der übelstbeleumundeten Sorte. Alles in bester Kick-Ordnung also, die Engländerinnen siegten übrigens verdient, obwohl die Deutschen genau so gut verdient hätten zu gewinnen, schließlich wurde ihnen ein Handselfmeter vorenthalten. Auch die österreichische Seele erhielt ein Quantum Trost; die stärkste deutsche Spielerin Alexandra „Poppi“ Popp war verletzungsbedingt vor dem Spiel ausgefallen. Sie hatte Österreich den Todesstoß versetzt und Frankreich quasi im Alleingang rausgeworfen. Mit ihr hätten die Deutschen vermutlich bessere Karten gehabt, so aber wurde der Lineker’sche Lehrsatz außer Kraft gesetzt (Fußball ist ein Spiel Elf gegen Elf und am Ende gewinnen die Deutschen). Es gab aber trotzdem eine Merkwürdigkeit in diesem Finale. In der Pause des EM-Finales wurde der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz interviewt. Nationalspielerinnen und Nationalspieler sollten gleich viel verdienen, sagte er. Er sagte zwar auch, die Deutschen würden gewinnen, aber die Equal-Pay-Ansage hatte etwas, nicht nur angesichts der 87.000, die im Wembley Stadion Tickets gekauft hatten. Es war nicht klar, ob Scholz nur die Spiele der Nationalmannschaften meinte oder den bezahlten Fußball generell, ich jedoch dachte gleich an diesen. Den anzugreifen traut sich niemand, sei er Sozialdemokrat oder sonstwas, denn das wäre wirklich unpopulär. Dabei sind die außer jeder vernünftigen Welt stehenden Gehälter der Spitzenprofis längst ein gesellschaftliches Ärgernis. Nicht aus Neid ist das gesagt, sondern weil sie das Publikum ins Leben unter oligarchischen Verhältnissen einstimmen. Man gewöhnt uns an das Absurde mit etwas, indem etwas, das wir lieben, der Sport, nach absurden Gesetzen funktioniert.


Dabei leben wir in Wendezeiten, in denen gesellschaftliche Fragen dieser Art zur Wahl stehen, nein stehen sollten. Die Debatte über die Verstaatlichung von Energiefirmen zum Beispiel, oder überhaupt von allen der Grundversorgung dienenden Betrieben, muss geführt werden. Gut, dass der Chef der niederösterreichischen SPÖ den Anstoß dazu gab, gut, dass die Grüne Klubchefin bei aller Regierungstreue nicht gleich abweisend mauerte. Man erinnert sich: ohne die verstaatlichte Industrie, nicht zuletzt die verstaatliche Energieindustrie, hätte es keinen Wiederaufbau gegeben. Von Privatisierung war keine Rede, als diese Konzerne ihren Beitrag zum Werden der Wirtschaft leisteten. Könnten wir eine nüchterne Bilanz dessen vertragen, was die (Teil)Privatisierung solcher Betriebe der österreichischen Bevölkerung gebracht hat? Könnte jemand eine solche Bilanz ziehen? Und könnte jemand auch hier die Gehaltsfrage stellen: welche Gehälter müssen Manager „unserer“ Energiekonzerne wirklich einstreichen? Und wie energisch treten die Eigentümervertreter der Republik auf, wenn es nicht um Besetzung solcher Posten mit Parteigünstlingen geht, sondern um strategische Fragen, also letztlich um das Erreichen eines volkswirtschaftlichen Nutzens?


Naja, meine üblichen Illusionen halt. Die konservative Antwort von Liz Truss bis zur südosteirischen ÖVP lautet, das wäre „das falsche Signal.“ Ja, was wäre denn das richtige Signal? Am Tag, da diese Kolumne erschient, tagt eine Art nationaler Rat zur Energiefrage. Man könnte das zum Anlass nehmen, zu fragen, warum erst jetzt? Ich aber frage euch: warum sind die privaten „Player“ nicht mit am Tisch? Jene Gashändler zum Beispiel, denen das Gas gehört, das sich in unseren sich langsam füllenden Speichern befindet? Warum leistet die Privatwirtschaft, die jederzeit gern staatliche Hilfe kassiert, nicht freiwillig einen Beitrag, der da lautet: wir beteiligen uns bei teilweisem Gewinnverzicht an allen Krisenmaßnahmen, die helfen, den mörderischen Druck Putins von der Bevölkerung Europas abzuwenden? Jawohl, Europas, denn es geht um die EU. Um jenen gemeinsamen Markt, der doch nicht daran scheitern sollte, dass Marktegoismen stets als das einzig „richtige Signal“ verstanden werden.

Dass die Onkel und Tanten in Brüssel sich vor allem als Signalträger der Wirtschaft und deshalb als insgesamt der Lage nicht eben gewachsen erweisen, in der die Nationalstaaten doppelzüngig agieren wie eh und je – wenn sie untätig sind, ist die Untätigkeit Brüssels schuld, das sie ja selber sind – ist dabei kein wirklicher Trost.


Distance, hands, masks, be considerate! Ihr Armin Thurnher

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