Hier haben wir den Salat. Vorarlberger und andere Petitessen.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 790

Armin Thurnher
am 27.07.2022

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Ich liebe meine Leserinnen und Leser. Eine schickte mir ein Foto des „Salat 36 Grad“, den ich von Stevan Paul geklaut hatte; er ist ihr ansehnlich geraten. Dass er gut schmeckt, weiß ich.

Foto: Elisabeth Pasqualini


Ein anderer schickte mir ein Foto vom Dornbirner Wochenmarkt. Wer immer diese Thurnhers sind, meinen Segen haben sie.

Foto: Reinhard Dorner

Es gibt in Dornbirn zahlreiche Familien Thurnher (zu meiner Zeit waren es 80). Mein Vater emigrierte aus Dornbirn nach Bregenz, ich habe das gewiss schon oft erzählt. Mir war sein Dialekt peinlich, der ihn in meinem Milieu als Outsider kenntlich machte, er sagte zum Beispiel „ghia“ statt „ghett“, wie es sich in der Hauptstadt für „gehabt“ gehört. Das klang in meinen Ohren altertümlich, und ich genierte mich für ihn. So viel zu den Härten der Binnenmigration. Sonst habe ich wirklich wenig an ihm auszusetzen, vielleicht sollte ich noch einmal über meine Vaterbeziehung nachdenken.


In Vorarlberg bin ich immer wieder, habe dort Verwandtschaft. Meine Mutter ist auf Twitter so kultig, dass ich mich beherrschen muss, nicht jeden Tag ein Bild von ihr zu posten, um meine Engagement-Rate zu pimpen. Selbstbeschränkung ist der erste Schritt zur Glaubwürdigkeit.

Kürzlich begingen wir wieder einmal ein Maturatreffen, 55 Jahre, ich muss das erwähnen, weil einige der Herren tatsächlich diese Kolumne lesen. Wir begingen es wirklich, denn ehe wir uns ordnungsgemäß den Getränken und Gesprächen widmen konnten, erhielten wir eine kleine Stadtführung durch Bregenz.

Original-Lourdes-Madonna in Bregenz Foto: Beda Widmer

Dabei erfuhren wir Erstaunliches, zum Beispiel gelangten wir in eine sogenannte Lourdesgrotte (neben der Kapuzinerkirche), in der sich eine Madonna befindet, bei der es sich um die erste, ursprünglich im französischen Lourdes ausgestellte Marienstatue handelt. Da nach dem Wunder der Marienerscheinung bald eine größere Kathedrale benötigt wurde, erwies sich die ursprüngliche Statue als zu klein. Man schenke sie dem Papst, dieser wieder gab sie dem polnischen Grafen Raczynski weiter, der weiß Gott warum in Bregenz das Stift Marienberg erbaute, wo seine fromme Gattin weste. Als sie schwer erkrankte, gelobte er, im Fall ihrer Genesung diese Staue aufzustellen. So kommt es, dass man in Bregenz die originale Madonna von Lourdes besichtigen kann.


Nicht davon will ich aber heute reden, sondern von der Chefin der Vorarlberger Sozialdemokraten. Ja, so etwas gibt es! Sie heißt Gabriele Sprickler-Falschlunger und kritisierte Gesundheitsminister Johannes Rauch heute zu recht öffentlich wegen der Abschaffung der Corona-Quarantäne. „,Je mehr Personen mit dem Virus infiziert werden, desto höher wird die Zahl von Menschen mit dieser Folgeerkrankung sein, die wiederum längere Krankenstände auslösen wird‘, kommentiert Sprickler-Falschlunger die Pläne der Bundesregierung. Hier habe Gesundheitsminister Rauch nicht mitgedacht. Gabriele Sprickler-Falschlunger ist die Ehefrau von Gesundheitsminister Johannes Rauch.“ (orf.at) Diese rosa Madonna muss man einfach mögen.


Ich greife hier dem Epidemiologen meines Vertrauens nicht vor, merke aber an, dass auf die Entscheidung der Regierung, die Quarantäne abzuschaffen, welche sie zugleich mit dem ominös geraunten Wort „Lockdown, wenn nötig“ verband, wieder einmal das Wort vom „konzeptlosen Köchelkonzept“ haarscharf passt, das Robert Zangerle für österreichisches Corona-Regierungshandeln prägte. Naturgemäß stehen die Interessen der Wirtschaft aufdringlich dahinter. Johannes Rauch hätte ich für vernünftiger gehalten, aber ich rede mir leicht. Vermutlich ist er eh vernünftiger, das vermutet vermutlich auch seine Ehefrau, jedoch ist der Druck der ÖVP-Länder nicht zu unterschätzen, und der ingloriose Salzburger Landeshauptmann, der mit seinem unterirdischen oberösterreichischen Kollegen in der Corona-Epidemie schon früher so fatal performte, dass es, wär’s nicht Österreich, Amtshaftungsklagen oder mindestens Rücktritte geben hätte müssen, dieser Haslauer gab als Corona-Experte entspannt Entwarnung. Na dann.


Beim Thema Wirtschaft können wir gleich in Vorarlberg bleiben. Im Rahmen einer jener ominösen Live-Presskonferenzen, welche die österreichische Innenpolitik offenbar deswegen kultiviert, um ihre Selbsttrivialisierung in lichte Höhen zu treiben, stellte der Vorarlberger Wirtschaftsbund das Ergebnis ihrer Selbstuntersuchung, sprich Trockenpelzwäsche vor. Welche Überraschung: es handelte sich um menschliches Versagen zweier Einzelner. Das System stimmt, ein Kollektiv von Einzelnen, der Wirtschaftsbund ist sauber, ihr Herz ist rein, und Russ-Land kann wieder zur Tagesordnung übergehen.

Es wird vielleicht noch des einen oder anderen Gebets vor der Bregenzer Madonna bedürfen, aber nach wie vor gilt in Schwarz-Österreich: „Wenn der Medieneuro im Beutel klingt, die Politikerseel aus dem Fegfeuer springt.“

„Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegefeuer springt“ – so redeten die Ablassprediger zu Zeiten kirchlichen Niedergangs in der frühen europäischen Neuzeit. Dann kam Martin Luther. Ein Reformator der österreichischen, ja der demokratischen Politik überhaupt ist nicht in Sicht. In Ermangelung eines solchen nehmen wir mit der Gegenreformation in Permanenz vorlieb.


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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