Dort stand ich, das Handy am Ohr, und hörte das Übel kommen.

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 787

Armin Thurnher
am 23.07.2022

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Hier fing das Übel an. Hier stand ich, auf diesem slowenischen Flecken, an der Buchenhecke samt Maschendrahtzaun zum Nachbargelände, der noblen Gartenanlage eines Wirtshauses. Maschendrähte sind hier nicht die Regel. Grundstücke bleiben weitgehend unumzäunt, Grenzen sind eine Frage der Konvention und der Konversation, man redet miteinander, sie haben sich immer schon verschoben, dieses haben unsere Großeltern jenem Nachbarn geschenkt, der noch weniger hatte als sie, jenes hat sich der böse Neffe erschlichen, dieses der gierige Cousin gerafft.

So steht man nahe an den Grenzen, der Knoblauch reicht herüber, und neben der Maschendrahtgrenze liegt der offene Gemüsegarten, einstmals des Großvaters und der Großmutter, nunmehr irgendwelcher nach Deutschland Ausgewanderter und ihrer Nachkommen.

Dort, auf dem Fleckchen stand ich, das Handy am Ohr, und hörte das Übel kommen, das Unglück, das mich sprachlos machte. Das Fleckchen ist kaum zehn Quadratmeter groß, aber ich hatte darauf schon allerhand erlebt. Den Vater mit seiner Lust an Gästen, an Freundinnen und Freunden, am Doppler, am aufgeschnittenen Weißbrot, an der Fleischsuppe, früh um sechs für die Angereisten auf dem Herd gekocht.

Hier vor seinem Gartenhäuschen, dem einstigen Ziegenstall und Holzschuppen, hier hatte er sich ein Bänklein hinstellt und ein Gerüst für den Grill aufgebaut, auf den er die Cevape legte, gerollt nach eigenem, auf dem ganzen Balkan bekannten Geheimrezept, und hier hatten wir sie gegrillt, im prallen Sonnenschein, den Blick auf die prächtig behangenen Bohnenstangen.

Hier hatte er ein Gärtchen angelegt, aufgehäuft aus Flusssteinen, die ich eigenhändig nach seinem Tod wieder ausgrub und in den Fluss zurückwarf. So klein mir der Haufen anfangs erschienen war, so groß mutetet er mich an, als ich ihn abzutragen begann, Scheibtruhe um Scheibtruhe voller Flusssteinen zurück in den Fluss. Darunter ein Nest von Blindschleichen.

Die Forsythie, die hier stand, schnitt ich bisweilen, ehe sie endlich ganz entfernt wurde. Die Nachbarin erledigte die große, orangefarben blühende Rose. Sie behauptete, sie habe das Schneiden von Pflanzen gelernt. Davon erholte sich die Rose nimmermehr, auch sie ist dahingegangen.

Die Steinplatten, die der Vater unter den Grill gelegt hatte, waren ganz verwachsen, auch sie legte ich einmal frei, für einen neuen Grill, den wir noch nicht aufgestellt haben. Sie beginnen schon wieder zuzuwachsen.

Hier also stand ich, ich weiß es noch ganz genau, barfuß im Gras, gerade zu irgendeiner häuslerischen Tätigkeit schreitend, in der Hitze, als ich das Handy am Ohr hielt und die Stimme von Eva Rotter in einem dumpfen Ton sprechen hörte, der jede Möglichkeit eines schlechten Scherzes gnadenlos ausschloss: Der Hansi ist tot.

Er hallt noch immer in mir, dieser Satz. Mit Nachfragen brachte man ihn nicht mehr weg. Der Hansi ist tot. Ja wie? Wieso?

Nach Rom war er geflogen, in der Hitze, obwohl er sich nicht gut fühlte, hatte einen Herzinfarkt erlitten, weil er trotz brüderlicher Warnungen nicht sofort ins Spital geeilt war, sondern glaubte, es würde schon wieder, wie immer bisher.

Es wurde nimmer, und später sagte mir ein Freund von Hans Hurch, von diesem spreche ich nämlich, von Hans Hurch, dieser habe ihm mehr als einmal mitgeteilt, er fühle sich alt und krank. Mir hatte er nie etwas dergleichen gesagt. Ich wusste nur von seiner Apnoe, über die er sich scheinbar nonchalant hinwegsetzte, obwohl um deren Lebensgefährlichkeit wissend. Ich hielt ihn für körperlich robust, seinen Körper so widerstandsfähig wie seinen Geist.

Nun war er tot. Gestorben in Erfüllung seiner Pflicht, einem bösartigen Filmregisseur Geld zu bringen, damit dieser nicht sein Versprechen breche, einen Trailer für die Viennale zu machen. Derlei gehörte zum Geschäft, für einen guten Film biss der Hansi immer die Zähne zusammen, nahm er immer das Messer zwischen die Zähne, scheute er keinen Raufhandel und keine Verwundung.

Ich stand auf dem Flecken, den ich im Schweiße meines Angesichts bearbeitet hatte, und wusste, nun fing das Übel an. Eine Lücke tat sich auf, die sich nie mehr schließen würde. Wir traten in sie ein, einer nach dem anderen, eine nach der anderen. Als wäre eine böse Schleuse aufgegangen mit diesem alle vollkommen überraschenden Tag, begannen nun die Freunde zu sterben, und wenn ich heute das Fleckchen anschaue, das slowenische Fleckchen, längst wieder von Gras bewachsen, von einer kümmerlichen Taglilie, von etwas Salbei, der sich als einziger von den Küchenkräutern gehalten hat, von Brennnesseln, und mit ein paar Steinen und einer kleinen Holzbank besetzt, dann zähle ich mindestens zehn unzeitige Tode von Freunden seitdem, und ich kann nicht sagen, dass ich es seitdem lieber gewonnen hätte, das Fleckchen.

Der Garten rundum ist wunderbar gestaltet, mit Steinwegen, Pflaumenbäumen, Äpfeln, Zwetschken, Ziergehölzen, prangenden Weintrauben. Nur das Fleckchen wächst vor sich hin, ohne dass es gediehe.

Heute vor fünf Jahren war es, als dieses Übel begann. Am 23. Juli 2017. Und es höret nimmer auf.


Noch immer übrigens ist der von Claus Philipp, Christian Reder und mir herausgegeben Band von Hans Hurchs Schriften zum Kino im Falter Verlag erhältlich.

Hans Hurch – vom Widerschein des Kinos Texte aus dem FALTER 1978–1991 Claus Philipp (Hg.), Christian Reder (Hg.), Armin Thurnher (Hg.) Falter Verlag 248 Seiten, € 22,90


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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