Im Gaswahn. Wo bleibt der gratis Volkspullover?

Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt 786

Armin Thurnher
am 22.07.2022

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Manchmal habe ich das Gefühl, man kann es wieder gut sein lassen. Irgendwo haben alle ein bisserl das Gehirn an der Kassa abgegeben. Es ist nicht nur die Hitze. Es ist das Gas. Ich habe die geschmackvolle Idee des Kanzlers Nehammer still bewundert, Israel um Gas anzuschnorren, und gewartet, ob jemand die Abgrundtiefe dieser Idee auffiel. Sie fiel offenbar niemandem auf, also frage ich mich, ob vielleicht ich das Gehirn an der Kassa abgegeben habe. Es ist heiß.

Die Krone hat das Gas schon längst entdeckt, schuld ist die EU, die „uns zum Sparen zwingen will“. Dabei wollen wir doch nur investieren.

Kürzlich las ich eine Aussendung des Thinktanks Agenda Austria. Er ist das industriell-handelsmäßige Gegenstück zum Momentum Institut; wird aber dieses in den Nachrichten des öffentlich rechtlichen Rundfunks zitiert, fehlt nie der Hinweis, es handle sich um ein gewerkschaftsnahes oder AK-finanziertes Institut. Wird hingegen das Institut Agenda erwähnt, fehlt ganz gewiss der Zusatz „der industrie- und handelsfinanzierte Thinktank“. Es lebe die Ausgewogenheit des Hinsichtl-Rücksichtl-Journalismus, denke ich mir dann und auch sonst so manches.

Diesmal aber war die Agenda-Meldung gar nicht übel. Sie sagte klipp und klar, dass die privaten Haushalte überhaupt nicht dass Problem beim Gasverbrauch sind. Im Vergleich zum Anteil der Industrie ist ihr Anteil verschwindend gering. Originaltext: „,Vor allem die Industrie muss nun alle Hebel in Bewegung setzen, um aus dem Gas herauszukommen‘, sagt Agenda Austria-Ökonom Jan Kluge. Den Privathaushalten die Verantwortung zuzuschieben, greift zu kurz, da diese nur wenig Gas verbrauchen und viele auch kaum ihre Heizungsart wechseln könnten. Bei ihnen wird es eher darum gehen, die sozialen Folgen der Preisexplosion abzufedern.“ Jawoll.

Grafik: Agenda Austria

Die vom politmedialen Komplex geschürte Gasangst trifft hingegen die kleinen Leute voll. Es war, als würde Putin dem Gemeindebau in Kikeritzpotschen persönlich die Gas odrahn. Das ist natürlich nicht der Fall, zu bemerken ist aber mindestens zweierlei.

Erstens scheint man sich allgemein die Ansicht des Viktor Orbán anzuschließen, dass Sanktionen zwar dem Gegner schaden müssen, aber die Sanktionierenden nichts kosten dürfen. Die Klartextfabrikanten an der Spitze unserer Gemeinwesen haben das unter Aufbietung der gesamten Skala ihrer Beschwichtigungsartistik so dargestellt, und nun sind wir wirklich überrascht, dass es diese Art warmer Eislutschker nicht gibt.

Zweitens werden Ängste und Besorgnisse sozialisiert. Wo ist die Angst der Industrie?  Die ja offenbar die Energiepolitik der vergangenen Jahrzehnte massiv beeinflusst hat und von den billigen Gaspreisen bestens lebte, sodass sie nicht nur nicht daran dachte, Alternativen aufkommen zu lassen, sondern diese geradezu verhinderte? Die Angst ist ganz bei den kleinen Leuten, die ja auch den Preis des Ganzen bezahlen dürfen, mit der Differenz zwischen Inflation und Zinsen zum Beispiel und mit dem nächsten ganz harten Sparpaket, denn wir müssen bald sparen, weil wir zu viel ausgeben undsoweiter.

Aber zuvor kümmert sich die ÖVP massiv um die kleinen Leute. Vor allem die ÖVP Niederösterreich, die uns ja alles beschert hat, was gut und nicht billig ist, angefangen vom Kanzler Sebastian Kurz, von Erwin Pröll persönlich aus Lehm geformt, über den Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka, den Schübling des besagten Pröll, der ihn nicht als Nachfolger sehen wollte und nach Wien abschob, bis zu Karl Nehammer von Johanna Mikl-Leitners Gnaden, den von ehemaligen Bildzeitungsjournalisten in allerlei wahnsinnige Kapriolen getriebenen aktuellen Bundeskanzler.

Man kann also sagen, Österreich ist total verniederösterreichert. Stellt sich die interessante Frage, warum Niederösterreich mit seiner Subventionierung der Stromrechnung den Umweg über Niederösterreich nimmt. Blöde Frage: Landeshauptfrau Mikl-Leiter sieht ihre Felle bei der kommenden Landtagswahl davonschwimmen und muss sich als sorgende Landesmutter präsentieren; alles, bloß nicht als Mitverantwortliche für das Gesamtdesaster dastehen.

Ich warte nur auf die nächste Königinnenidee. Darf ich helfen: Wie wärs mit der Ausgabe von Gratis-Volkspullovern für die kalten Tage, vielleicht in schickem Blaugelb, passend für die Herzensländer dieser Tage: Niederösterreich und die Ukraine?

Ich war übrigens als einziges Mitglied meiner Alterskohorte nicht beim Rolling Stones Konzert in Wien, kann also nicht sagen, ob dort die heimliche Hymne unserer Tage gespielt wurde: Jumping Jack Flash. Sie wissen schon, It’s a Gas…


Distance, hands, masks, be considerate!

Ihr Armin Thurnher

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